einfach nicht, nicht böse sein.
Was lange wie Liebe zwischen uns aussieht, ist für mich zu einem Fluch geworden, der wie ein dunkles Tattoo auf meiner Seele liegt. Dabei hat Monika mein Herz in der Hand, wie es so schön in einem Schlager heißt, und sie wird es nicht mehr freigeben. Das für mich wirklich Schlimme daran ist, außer Monika interessiert mich keine Frau.
Blick in den Rückspiegel der Zeit:
Mit dem Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages schließt sich ein Staatenbund mit mehr als einer halben Milliarde Menschen zusammen, die EU. In Den Haag wird bedingt durch schlimme Vorkommnisse im ehemaligen Jugoslawien das UN-Kriegsverbrechertribunal gegründet.
Monika
Monika lächelte aus dem Fenster auf mich herunter. Ihr leise lächelndes Gesicht versetzte mich für kurze Momente in einen euphorischen Taumel, in dem ich meinte zu schweben, es fehlte nur der goldene Glorienschein, um das schöne ebenmäßige Antlitz und ich würde sofort an eine Vision glauben.
Monika, meine verlorene Liebe.
Von ihr verschmäht, war ich zu einem überzeugten Single, zu einem im Zölibat lebenden Mönch im selbstbestimmten Kloster meines einsamen Inneren geworden. Was mir aber in Augenblicken wie diesem zu Bewusstsein kommt, ist, ich leide nicht wirklich daran.
Die Haustür ging auf und Monika stand vor mir, sah mich mit einem Mona-Lisa-Lächeln an, unergründlich eben. War sie zufällig im Haus, lebte sie hier? Was wusste ich denn noch von ihr?
Sie reichte mir die Hand, ich ergriff sie, hielt sie nicht länger als zu einem leichten Druck fest. Ich schüttelte verneinend den Kopf, als sie mich ins Haus bat, ich wäre nur gekommen, um mich zu erkundigen, wie ich Fabian erreichen könne, hätte ihn weder im Adressbuch noch im Telefonbuch gefunden.
Er schotte sich privat so gut wie möglich ab, sagte Monika, Kontakt wäre jederzeit über das Parteibüro möglich.
Ich hob fragend die Augenbrauen.
Fabian ist Stadtrat, erklärte Monika.
Sieh an, dachte ich, gab keinen Kommentar ab, fragte nach Anschrift und Rufnummer.
Dafür müsse ich allerdings doch kurz eintreten.
Im Flur stand die Chippendale-Kommode wie damals, als ich von diesem Möbelstil noch keinen Schimmer hatte, und auf der einen Seite zur Tür hin der geflochtene runde Korb, in dem Visitenkarten gesammelt wurden. Daneben auf dem Bild meiner Erinnerung das Telefon, heute lag nur noch das Deckchen dort, auf dem es einst stand, darauf eine kleine leere grüne Vase. Monika zog eine Schublade auf, legte eine Karte auf die Kommode, schrieb mit feinen Buchstaben, gab mir die Karte, legte mit der anderen Hand den Stift zurück in die Schublade, die sie mit der Hüfte zuschob, eine laszive Bewegung, die mir durch und durch ging.
Ohne einen Blick auf die Karte, dankte ich ihr, fragte, wie es ihr gehe.
Gut, lautete die lakonische Antwort. Mehr nicht.
Monika war sehr höflich, sehr distanziert, an einer Unterhaltung mit mir offenbar wenig interessiert, gestattete sich auch keine Reaktion, als ich mich gleich darauf verabschiedete.
Auf der Straße, gegenüber dem Haus, knapp an der Flussböschung, nahm ich die Karte in Augenschein, zunächst die Schrift, danach erst Kenntnis von dem, was sie geschrieben hatte.
Auf der anderen, der bedruckten Seite der Karte, las ich Monique von Faber, Faber Fashion Style, Brienner Straße, München.
Erstaunt hob ich die Augen, betrachtete versonnen eine Weile das gelbe Haus mit dem roten Dach, nahm dabei in Kauf, dass sie mich vielleicht im Blick hatte, was ein amüsanter, im Augenblick auch wärmender Gedanke war.
Dann erst ging ich.
Blick in den Rückspiegel der Zeit:
Tsunami nach einem Erdbeben im Indischen Ozean. Durch die Flutwelle kommen mehr als 230.000 Menschen ums Leben. Der britische Künstler Peter Ustinov stirbt. Der Literaturnobelpreis wird der österreichischen Schriftstellerin Elfriede Jelinek verliehen.
Fabian wohnte in einem verwunschenen Bauwerk, dem Wasserschloss, das ich natürlich aus meiner Kindheit her kannte. Ich erinnere mich, dass ich mich als kleiner Kerl über den Namen wunderte, denn in der Nähe des mit Efeu überwucherten Gebäudes mit Erkern und Türmchen war von Wasser, geschweige einem Graben nichts zu sehen.
Ich näherte mich auf der stillen Straße und was ich sah, war allein nur mit einer blühenden Fantasie als Schloss zu beschreiben. Nichts mehr zu sehen von den Erkern, den Türmchen, vom Efeu entkleidet, war auch von der Mächtigkeit, dem steinernen Klotz, der Trutzburg nicht mehr viel übrig geblieben. Beim Näherkommen wirkte das Gebäude fast elegant, hell und freundlich, nicht mehr abweisend wie ehemals, vielleicht in den Proportionen etwas zu hoch zur Breite. Ich verminderte unbewusst meinen Schritt, um mir Zeit zum Staunen über die frappante Veränderung, einer regelrechten Verwandlung zu verschaffen. War es möglich, dass mich mein früheres, mein erinnertes Bild täuschte?
Der erfreuliche Eindruck wurde nach wenigen Schritten auf dem Fußweg Zum Wasserschloss wieder weggewischt. Ein sportlich gekleideter Mann in Begleitung von zwei Windhunden kam mir entgegen, runzelte bereits auf Abstand seine Stirn, stellte sich mir mit den Hunden entgegen, verweigerte mit strenger Freundlichkeit den Weiterweg. Erst der Name Fabian von Fernau bedeutete mein Passierschein. Mit verblasenem Gehabe trat er zur Seite, dieser selbst ernannte Cerberus. Später einmal würde ich ihn nicht mehr kennen, als ich häufiger Besucher des Wasserschlosses war.
Dem Klingeltableau zufolge hatte Fabian seine Wohnung in der vierten Etage. Eine Frauenstimme – war es Sibils Stimme, die ich hörte? – meldete sich auf mein Klingeln über die Gegensprechanlage. Nein, ich könne Fabian nicht sprechen, da er nicht zu Hause sei. Ob er sich bei mir melden könne? Ja, bitte. Ich nannte noch einmal meinen Namen, auf den sie nicht reagierte, und meine Handynummer.
Gerade einmal war der Stundenzeiger um das Ziffernblatt gelaufen, da meldete Fabian sich, war also noch immer verlässlich, wenn er das wollte. Wir wechselten einige Begrüßungsworte, bevor ich ihm kurz zusammengefasst schilderte, weshalb ich mich bei ihm meldete. Die alte Frau Bruch, die Witwe unseres ehemaligen Fußballtrainers, war von städtischen Ämtern in den Schwitzkasten genommen worden. Unsere Fußballmutter Frieda hatte hinter ihrem kleinen Häuschen gleich neben der Jugendsportanlage einen großen Streuobstgarten, und auf ungefähr die Hälfte des Grundstücks hatte der Verein ein Auge geworfen. Die alte Frau wehrte sich, wollte ihn nicht hergeben. Zufällig hatte ich davon erfahren, als ich vor zwei Tagen von einer Auslandsreise zurückgekehrt war. Wer konnte in diesem Fall helfen? Fabian würde sicher eine Idee haben. Und als Stadtrat, wie ich gehört hätte, böten sich ihm vielleicht noch weitergehende Möglichkeiten.
Er ging auf meine Erzählung mit keinem Wort ein, schlug vor, uns nachher, sagen wir in zwei Stunden, in der Taverne Costa zu treffen – so wie früher.
Fußball
Unser Spielfeld war damals die Hälfte eines normalen Fußballplatzes. Mit unseren acht oder neun Jahren war auch dieses Kleinfeld ein ziemlich weites Feld, auf dem wir herumrannten wie die Wilden. Von einer Raumaufteilung und anderen Fußballweisheiten hatte unser Trainer Sepp Bruch bereits erzählt, viel anfangen konnten wir mit solchen Feinheiten kaum etwas, es interessierte uns auch nicht wirklich. Wir wollten dem Ball hinterher, und da die gegnerische Mannschaft das ebenso machte, ballten sich die Spieler in unmittelbarer Nähe der Lederkugel und Sepp Bruch tanzte gemeinsam mit dem anderen Trainer am Spielfeldrand wie Rumpelstilzchen.
War das Spiel beendet, ob Sieg oder Niederlage, sammelten wir uns im Garten hinter dem Haus des Trainers, stürzten uns auf den Kuchen, den seine Frau, Tante Frieda, für uns gebacken hatte, und schlugen uns den Bauch voll.
In den ersten zwei oder drei Jahren war das Spiel für uns wirklich noch ein Spiel, von der Ernsthaftigkeit des Sports hatten wir noch keine Ahnung, zum Glück. In dieser Zeit gehörte Fabian ebenfalls zur Mannschaft, was mir Fotos beweisen.