Patricia Vandenberg

Chefarzt Dr. Norden Staffel 4 – Arztroman


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Huber reckte den Daumen der rechten Hand in die Luft, ehe er sich wieder auf den Weg machte.

      In der Zwischenzeit hatte Dr. Gruber die Patientin untersucht.

      »Ich tippe auf eine Fischvergiftung«, teilte er dem Chef der Notaufnahme mit. »Vielleicht aber auch ein akuter Blinddarm.«

      »Dann lassen Sie mal sehen.« Dr. Weigand nahm den Platz des Assistenzarztes ein. Legte die Hände auf den Bauch der Patientin. Besonders charakteristisch war der Loslassschmerz, der entstand, wenn die Hand des Untersuchers langsam den rechten Unterbauch eindrückte und rasch losließ. »Spüren Sie das, Frau Krakowitz?«

      Anette sah hoch. Zuerst zu ihrem Mann, dann zu Matthias.

      »Aber mein Name ist Pastor.«

      »Verzeihung«, entschuldigte sich der Notarzt schnell und verscheuchte Sophie aus seinem Kopf. »Haben Sie das gespürt?«

      »Ehrlich gesagt tut es überall gleich weh.«

      Dr. Weigand zog ihr Shirt wieder herunter und wandte sich an seinen Kollegen.

      »Ich denke, mit der Fischvergiftung liegen wir richtig. Gut gemacht, Gruber.«

      Rote Flecken leuchteten auf Benjamins Wangen.

      »Danke. Aber sollen wir nicht vorsichtshalber einen Ultraschall machen?«

      »Ultraschall ist ohnehin wenig hilfreich bei einem Appendizitis-Verdacht. Dazu bräuchte es schon ein CT. Aber warum mit Kanonen auf Spatzen schießen, wenn die Diagnose feststeht?« Dr. Weigand ging hinüber zum Schrank und holte Stauschlauch und Kanülen heraus.

      »So, Frau Pastor, Sie bekommen jetzt von mir eine Infusion gegen den Flüssigkeitsverlust.« Er setzte sich auf einen Hocker und rollte zur Liege. »Gleich piekst es ein bisschen.«

      *

      »Sie würden sich wirklich wieder so einen Gleitschirm umschnallen? Obwohl Sie damit abgestürzt sind?«, fragte Daniel Norden.

      Er musste die Stimme nicht heben, um die Musik zu übertönen. Der Barjazz aus unsichtbaren Lautsprechern war nicht zu laut. Die Beleuchtung nicht zu hell. Das Ambiente weder zu sachlich noch zu modern. Kurzum: Die Bar war perfekt für ein gepflegtes Feierabendbier in angenehmer Atmosphäre.

      Ohne Milan Aydin aus den Augen zu lassen, hob Daniel sein Bierglas an die Lippen. Der Schaum prickelte auf seiner Oberlippe. Den dezenten Malzaromen und Honignoten gelang es nicht, ihn vom Gespräch ablenken. Anders Milan. Er schien nicht ganz bei der Sache zu sein. Während er erzählte, wanderte sein Blick immer wieder hinüber zu der Blondine am anderen Ende des Raums.

      »Natürlich«, antwortete er auf die Frage seines Chefs. »Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«

      Daniel wusste nicht, ob diese Phrase auf das Paragliden oder die junge Dame gemünzt war, sie sich den Schaum von der Lippe leckte. Licht aus unsichtbaren Quellen zauberte goldene Reflexe ins Rapunzelhaar. Und Milan Aydin bediente das Klischee und fiel mit Pauken und Trompeten darauf herein. Zumindest ließ sein Gesichtsausdruck darauf schließen. Daniel sah demonstrativ auf die Uhr.

      »Gehe ich recht in der Annahme, dass es Ihnen nichts ausmacht, wenn ich jetzt nach Hause gehe? Ich muss noch an meinem Vortrag feilen.«

      Endlich gehörte ihm Milans ungeteilte Aufmerksamkeit.

      »Ich dachte, das wäre nur ein Spaß gewesen.«

      »Mit so was mache ich keine Witze«, scherzte Daniel Norden und leerte sein Pils. »Aber ich bin mir sicher, dass Ihnen auch ohne mich nicht langweilig wird.« Er nickte hinüber zu der Blondine.

      Das Lachen war ihr vergangen. Sie betrachtete ihr leeres Glas wie ein Kind ein zerbrochenes Lieblingsspielzeug. Diese riesigen Augen! Der Schmollmund! Kein Wunder, dass Milan schwach wurde. In einem anderen Leben, einer anderen Zeit wäre es Daniel Norden vielleicht ähnlich ergangen. Doch die Frau, die seiner Fee gefährlich werden konnte, musste erst noch geboren werden. Daniel war froh darüber.

      »Nur kein Neid, Herr Kollege.« Milan deutete seinen Gesichtsausdruck falsch.

      Lachend stand Daniel Norden auf.

      »Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, Aydin. Aber ich bin froh, dass diese Zeiten ein für alle Mal vorbei sind.«

      »Mir zu nahe treten?« Milan Aydin lachte mit seinem Chef. »Keine Sorge. Für mich gibt es keine schlimmere Vorstellung, als mein ganzes Leben mit einer einzigen Frau zu verbringen. Was mir da alles entgehen würde!«

      »Ein Glück, dass wir alle verschieden sind.« Daniel bückte sich nach seinem Aktenkoffer und hob die Hand zum Gruß. »Ich wünsche noch einen angenehmen Abend.«

      »Danke. Ich denke, dem steht nichts im Wege.« Aydin wartete eine Anstandsminute ab, ehe er dem Kellner winkte. »Ich möchte die Dame an der Bar kennenlernen«, machte er kein Geheimnis aus seinen Absichten. »Welchen Drink können Sie mir empfehlen?«

      Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

      »Ein Cocktail zum Flirten sollte immer leicht sein«, erwiderte der Ober ohne den Anflug eines Lächelns. »Nicht zu schwer, um einzuschläfern. Aber auch nicht zu leicht, um locker genug zu werden um sein Gegenüber kennenzulernen und in Flirt-Laune zu kommen. Deshalb empfehle ich einen Rose & Berry.«

      »Alle Achtung. Sie scheinen Ihr Geschäft zu verstehen.« Milan zwinkerte dem Kellner zu. »Wenn es nicht klappt, mache ich Sie persönlich verantwortlich.«

      *

      »Und du bist sicher, dass du nach Flensburg gehen willst?« Mit angezogenen Beinen saß Nina auf der Couch in der Wohnung, die Sophie Petzold nach der Trennung von Matthias Weigand allein mit ihrer kleinen Tochter Lea bewohnte. Mit dem Trinkhalm aus Metall rührte Nina in ihrem Glas Tee. Die Eiswürfel klirrten leise. Die Balkontür stand weit offen. Ein leises Brummen wehte herein. Beweis dafür, dass die Stadt hinter den Wohnblocks noch lange nicht schlief.

      »Warum nicht?« Sophie zuckte mit den Schultern. »Solange Lea so klein ist, ist es ihr egal, wo sie wohnt. Und die Flensburger Klinik nimmt mich mit Kusshand.«

      »Du weißt genau, was ich meine«, sagte Nina ihrer Freundin aus Jugendtagen auf den Kopf zu.

      Sie lebte noch immer in dem kleinen Dorf. Hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen, wie Sophie gern über ihre Heimat lästerte. Schon lange hatte sie der Enge den Rücken gekehrt. Die Freundschaft zu Nina hatte trotzdem Bestand. Die beiden sahen sich nicht häufig. Doch selbst wenn Monate oder sogar ein Jahr zwischen den Treffen lag, fühlte es sich jedes Mal an, als wären nur ein paar Stunden vergangen. Niemand verstand Sophie besser als Nina. Noch nicht einmal sie selbst hatte einen so klaren Blick auf sich wie die Frau, die ihre Freundin war, seit sie sich beim Streit um einen Bagger die Sandschaufeln um die Ohren gehauen hatten.

      Deshalb widersprach Sophie auch nicht, wie sie es bei jedem anderen getan hätte.

      »Zwischen Matthias und mir ist es vorbei«, erklärte sie im Brustton der Überzeugung. »Ein für alle Mal.«

      »Das habe ich schon mindestens vier Mal gehört. Und trotzdem seid ihr danach immer wieder zusammen gekommen. Oder habt euch gar nicht erst getrennt.« Der Trinkhalm gurgelte, als Nina den letzten Rest Eistee aufsaugte.

      »Diesmal ist es wirklich vorbei.« Sophie klang nicht halb so überzeugend, wie sie es sich wünschte.

      Nina schnitt eine Grimasse.

      »An deiner Stelle würde ich mir das gut überlegen. Kein Mann hat es so lange mit Frau Neunmalklug ausgehalten wie Matthias. Und das will was heißen.«

      Jeden anderen hätte Sophie nach so einer Bemerkung zum Teufel geschickt. Bei Nina ärgerte sie sich noch nicht einmal. Fromm wie ein Lamm saß sie im Sessel und drehte das Glas zwischen den Händen.

      »Schon möglich. Aber so kann das nicht weitergehen. Wann immer wir aufeinanderprallen, gibt es Streit. Das will ich weder Lea noch uns antun.«

      »Aber wenn ihr euch doch liebt … schon mal über eine Paartherapie