zeugt dies doch auch wieder von der essentialistischen Geschlechterkonzeption, die dem Roman zugrunde liegt.
Gleichzeitig ist die Inklusion von Frauen als Pilotinnen im Militär ein Paradebeispiel für die Militarisierung der abgebildeten Gesellschaft und besonders die Militarisierung von Frauen. Wie Cynthia Enloe oft kritisiert hat, zum Beispiel in Does Khaki Become You? The Militarisation of Women’s Lives (1983), geschieht die fortschreitende Einbindung von Frauen in das Militär nicht primär aus dem Wunsch heraus, größere Gleichberechtigung herzustellen und Frauen in die auf Machiavelli und Rousseau zurückgehende Tradition der Bürgersoldaten einzuschließen, die in den USA fest verankert ist, sondern aus dem Drang zur Kontrolle.[7] Einen zweiten Grund, weshalb die Milizen der herrschenden Megakonzerne nicht zwischen Männern und Frauen unterscheiden, liegt auch darin begründet, dass sie Frauen brauchen, um ihre militärische Kampfkraft aufrechtzuerhalten. Hier also spinnt Hurley die Folgen der Umwandlung des U. S. Militärs in eine Freiwilligenarmee weiter, genauso wie den immer weiter verbreiteten Einsatz von privaten Milizen während des sogenannten »War on Terror«.
Genauso wie andere Genretraditionen evoziert The Light Brigade die in der Kriegsliteratur und Military SF mit dem Soldaten eng verknüpfte Hypermaskulinität bewusst, um mit den Lesegewohnheiten und Genreerwartungen der Leser zu spielen. Die Welt, in der der Roman spielt, und der Kriegsplot, aber auch die Referenzen zu Dietzs Exfreundin und Beziehungen, die sie mit anderen Soldatinnen und Soldaten hat, erlauben es Leserinnen und Lesern anzunehmen, dass es sich bei Dietz um einen männlichen Charakter handelt. Dies ist natürlich auch dadurch bedingt, dass die Figur des Soldaten in der amerikanischen – aber auch der weiteren westlichen Welt – fast ausschließlich männlich gelesen und dargestellt wird. Diese Zuschneidung liegt einerseits darin begründet, dass Soldaten lange Zeit Männer waren, allerdings nicht ausschließlich. In allen Kriegen der USA, vom Unabhängigkeitskrieg bis zu Konflikten in der heutigen Zeit, nahmen Frauen teil, oft in »klassischen« Rollen als Ehefrau, Wäscherin oder Sexarbeiterin, doch Frauen oder als weiblich gelesene Menschen zogen auch in den aktiven Kampf. Erst mit stringenten Musterungsverfahren im 20. Jahrhundert wurde es Frauen quasi unmöglich gemacht, sich in Kampfeinheiten einzuschleusen. Und obwohl Deborah Sampson, die als Robert Shirtliff im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg kämpfte, zumindest in ihrer eigenen Zeit für ihren Kampfeinsatz bekannt war – vor allem durch die Biografie The Female Review (1797) von Herman Mann – sind ihre und ähnliche Geschichten heutzutage größtenteils unbekannt.
Hurley nutzt dieses kulturell dominante Narrativ über männliche Soldaten in The Light Brigade und lässt den Leser erst kurz vor Ende des Romans herausfinden, dass Dietz eine Frau ist. Es ist ein narrativer Trick, der Leser und Leserinnen nicht nur mit ihren eigenen Annahmen konfrontiert, die durch Traditionen des Genres zu einer bestimmten Rezeptionen ge- oder besser verleitet werden. Die retrospektive Erzählung und vor allem die ausführlichen Beschreibungen der Grundausbildung und Kampfhandlungen, aber auch die vielen Referenzen zu anderen bekannten Military-SF-Romanen wie Starship Troopers verstärken diesen Effekt nur noch. Gleichzeitig werden sich einige Leser in Anbetracht der späten Aufdeckung der Tatsache, dass Dietz eine Frau ist, an den Charakter Samus Aran des Videospiels Metroid (1986) erinnert fühlen.
Wenn man Hurleys bisheriges Oeuvre kennt, dann ist dieser erzählerische Trick vielleicht weniger überraschend, sind doch sowohl ihre Vorgängerromane The Stars Are Legion (von der Autorin in den Sozialen Medien auch liebevoll »Lesbians in Space« genannt) als auch die THE BEL DAME APOCRYPHA-Reihe für ihre Protagonistinnen bekannt. Und auch in ihrer Essaysammlung The Geek Feminist Revolution (2016) und besonders im darin enthaltenen preisgekrönten Essay »We Have Always Fought: Challenging the Women, Cattle, and Slaves Narrative« – zuerst 2013 auf dem Blog A DRIBBLE OF INK und später in LIGHTSPEEDs Sonderausgabe »Women Destroy Science Fiction« veröffentlicht – geht Hurley auf die Darstellung von Frauen im Krieg ein – und vor allem darauf, dass Frauen so oft als Nicht-Kämpfer dargestellt werden. In diesem Essay schreibt Hurley unter anderem und frei übersetzt:
Und wenn wir über Krieg sprechen, sprechen wir über Soldaten und weibliche Soldaten.
Da wir so sprechen, wenn wir über Geschichte sprechen, und das Wort ›Soldaten‹ nutzen, werden alle Frauen, die gekämpft haben, sofort ausradiert. Daher kommt es nicht überraschend, dass die Leute, die Wikingergräber ausheben, sich nicht darum gekümmert haben zu überprüfen, ob die Gräber für Männer oder Frauen waren. Es waren Gräber, in denen Schwerter gefunden wurden. Schwerter sind für Soldaten. Soldaten sind Männer.
The Light Brigade kann zum Teil als Hurleys fiktionale Weiterschreibung dieses Essays gesehen werden. Indem sie vermeidet, Dietz ein eindeutiges Geschlecht zuzuschreiben, aktiviert der Roman genau die kulturellen Narrative, die Hurley im obigen Zitat anspricht. Der Roman demonstriert die Wirkmacht dieser Narrative umso mehr, da ein Großteil der Nebenfiguren Frauen sind. Dennoch, und dies deuten zumindest viele Reviews des Buches an, ist die Auflösung, dass Dietz eine Frau ist, für viele Leser eine Überraschung und zeigt, dass die Annahme, dass ein Soldat und Protagonist in einem Military-SF-Roman ein Mann sein muss, noch immer weit verbreitet ist.
Die Tatsache, dass Dietz nicht die einzige Soldatin in diesem Roman ist, bewahrt sie außerdem davor, zu einem Token-Charakter zu werden, und stellt die tief sitzende Genretradition der Unterscheidung in kämpfenden Soldat und wartende Frau und die damit verknüpften Werte noch auf eine andere Weise infrage. Jean B. Elshtain spricht in ihrer Monografie Women and War (1995) im Zusammenhang mit Kriegsdarstellungen von den Figuren des »Just Warrior« und der »Beautiful Soul«, die mit Bezug auf Gender die dominanten Subjektpositionen darstellen.[8] Dadurch, dass eine der prominentesten Gegenspielerinnen, mit denen Dietz sich auseinandersetzen muss, auch eine Frau ist, destabilisiert sich die Annahme, dass Frauen in der Position der »Beautiful Soul« zu gut für die Welt sind, aber absolut notwendig.[9] Wenn der Roman neben den anderen weiblichen Nebenfiguren sowohl eine Protagonistin als auch eine Antagonistin hat, ist es schwerer – wenn nicht sogar fast unmöglich – beide als Ausnahme der Regel darzustellen. Dietz ist keine positive Ausnahme unter den Soldatinnen, ebenso wenig ist ihre Antagonistin eine negative. Stattdessen bricht The Light Brigade mit der Annahme, dass Frauen »bessere Menschen« sind und deswegen ein militärisches System radikal verändern würden. Ganz im Gegenteil, eine weitere Stoßrichtung des Romans ist, dass das militärische System jeden vereinnahmt. Oder zumindest fast jeden, denn Dietz schafft es am Ende, aus der Zeitschleife, in der sie gefangen ist, auszubrechen, und so kann sie versuchen den endlosen Krieg zu beenden. Vielleicht ist The Light Brigade ja ein Wendepunkt für die Military SF und zieht mehr Interventionen in eingefahrene Genre- und Geschlechtertraditionen nach sich.
[1] Moher, Aidan. »War is Hell: The Light Brigade by Kameron Hurley.« Tor.com, 20. März, 2019, https://www.tor.com/2019/03/20/book-reviews-the-light-brigade-by-kameron-hurley/; Dina. »A Forever War: Kameron Hurley – The Light Brigade.« SFF Book Review, 23. Sept., 2019, https://sffbookreview.wordpress.com/2019/09/23/a-forever-war-kameron-hurley-the-light-brigade/; Liptak, Andrew. »The Light Brigade is a Worthy Successor to Starship Troopers.« The Verge, 28. März 2019, https://www.theverge.com/2019/3/28/18276076/kameron-hurley-the-light-brigade-military-science-fiction-book-review
[2] Merrick, Helen. »Gender in science fiction.« In The Cambridge Companion to Science Fiction, edited by Edward James and Farah Mendlesohn, Cambridge UP, 2003: 245–246.
[3] Hantke, Steffen. »Surgical Strikes and Prosthetic Warriors: The Soldier’s Body in Contemporary Science Fiction.« Science Fiction Studies, 25.3 (1998): 499.