Cornelia Härtl

Leise Wut


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Frankfurt.«

      »Nun ja, das ist noch kein Beweis, dass die Häuser und Grundstücke mit Schwarzgeld erworben wurden.«

      »Die finden Sie in dem besagten Haus. Schwarze Buchhaltung, Kanäle, Auslandskonten. Dazu Bargeld, der ganze Keller ist voll davon, gefälschte Papiere, Waffen und vermutlich auch ein Arsenal an Drogen. Da war sich meine Informantin nicht ganz sicher.«

      Von Hagen schwieg, in seinem Gesicht arbeitete es.

      »Es wird ein Notruf über die 110 eingehen. Eine Frau wird um Hilfe bitten. Es wird von mehreren bewaffneten Männern die Rede sein. Damit hätten Ihre Leuten guten Grund, in das Gebäude einzudringen, die Räume und alle Anwesenden zu filzen.«

      »Wie belastbar ist das Ganze?«

      »Die Zeugin weiß, dass sie unter Druck geraten könnte. Sie wird aussagen, aber sie will einen Deal. Kronzeugenregelung. Eine neue Identität für sich und ihre Tochter, mit der sie zukünftig im Ausland leben wird. Das müssen Sie mit den zuständigen Stellen klären, das ist mir klar. Aber die Frau will raus da. Zwangsverheiratet, unglücklich, hat Angst um ihre Tochter, die wohl nach Meinung des Clanältesten mit 14 Jahren bereits im heiratsfähigen Alter ist.«

      Keiner der beiden verzog eine Miene, sie wussten beide schon zu lange Bescheid.

      Von Hagen hatte sein Wasser ausgetrunken. »Was ist Ihr Preis für diese Art von Überzeugungsarbeit?«

      Rohloff richtete sich auf und atmete tief durch. Dann griff er erneut in sein Jackett und entfaltete einen Zeitungsartikel.

      »Der tote Junge aus Dietzenbach?«, murmelte der Polizeipräsident, während er las. Sein Blick verriet, dass er sich darauf keinen Reim machen konnte.

      »Ich will wissen, was ihm geschehen ist. Alles. Welcher Art die Misshandlungen waren, denen er ausgesetzt war, wie er gestorben ist. Jedes Detail.«

      Von Hagen blickte sein Gegenüber irritiert an. »Das fällt nicht in meine Zuständigkeit. Diese …«

      Rohloff schnitt ihm das Wort ab. »Der Junge wurde in der Rechtsmedizin Frankfurt obduziert. Als Polizeipräsident haben Sie kein Problem, an den Bericht zu kommen. Geben Sie ihn mir, dann bekommen Sie die Aussage der Zeugin, den Termin, den Ort, die Sicherheitsvorkehrungen und einen Keller voller Beweismaterial. Alles, was Sie benötigen, um einen Coup für die Frankfurter Polizei zu landen, bevor das BKA übernimmt. Ein Deal, von dem Sie mehr profitieren als ich. Wesentlich mehr.«

      Von Hagen schaute einen Moment ins Leere.

      »Gut. Ich sehe, dass Ihnen die Sache wichtig ist. Auf welchem Weg möchten Sie die Unterlagen übermittelt haben?«

      »Auf dem guten alten Papier.«

      Van Hagen lächelte leicht, das erste Mal, seit er da war.

      »Geben Sie es in einem verschlossenen Umschlag mit dem Vermerk persönlich bei Marek in der Kinky-Bar ab, er wird mich informieren.«

      »Haben Sie den Club denn noch?«

      Rohloff schüttelte den Kopf. »Gerade verkauft. In ein paar Tagen wird der neue Besitzer dort einziehen. Aber dem Personal kann ich vertrauen.«

      Sie erhoben sich gleichzeitig. Nach kurzem Zögern reichte von Hagen Rohloff die Hand. »Eigentlich schade. Mit Ihnen verlässt einer der letzten Geschäftsmänner vom alten Schlag das Bahnhofsviertel. Sicherlich werden meine Leute Ihre ehemaligen Clubs in Zukunft wesentlich häufiger filzen müssen.«

      Er ging, aufrecht und mit langen Schritten. Rohloff blickte ihm hinterher und trank seinen Whisky. Er wusste, dass er sich auf von Hagen verlassen konnte. So, wie der sich auf ihn.

      16

      Lena trank bereits den dritten Café con leche, während sie ihre Tour für den heutigen Tag plante. Sie war in einer Pension unweit des Hafens untergekommen. Ein kleines, weiß gekalktes Gebäude, die Zimmer luftig und sauber. Die Pensionswirtin hatte ein üppiges Frühstück serviert. Sie sprach nur ein paar Worte Deutsch und schien nicht neugierig zu sein, warum Lena alleine unterwegs war. Es gab nicht viele Alleinreisende in diesem Ort. Allerdings vermietete man nicht für eine Nacht, sie hatte drei Übernachtungen buchen müssen. In Anbetracht des Umstands, dass sie einen guten Standort darstellte, um die nähere Umgebung auszukundschaften, und sie keine Ahnung hatte, wie lange sie benötigen würde, um ihre Informationen zu sammeln, war das kein Problem für sie.

      Lena sah auf die Uhr. Es war kurz vor neun. Sie schob ihre Sachen zusammen und hatte sich bereits halb erhoben, als sie sich doch noch einmal auf den Stuhl des Cafés sinken ließ. Ihre Fingerspitzen schwebten über der Tastatur des Handys. Sie kämpfte mit sich, ob sie die aktuelle deutsche Tagespresse lesen sollte oder nicht.

      Das Thema war jedenfalls noch nicht durch.

      »Schreckliche Details. So qualvoll musste Toby sterben«, kündigte das Krawallblatt an. Lena schüttelte sich. Was, um alles in der Welt, war in diese Journalisten gefahren? Als sie sah, dass die seriöseren Blätter ebenfalls leicht spekulative Artikel veröffentlicht hatten, biss sie die Zähne zusammen. Einmal wurde sogar die Frage formuliert, ob die zuständige Sozialarbeiterin – hier war ausnahmsweise mal kein Name genannt – überfordert gewesen sei. Ein anderer Journalist berief sich auf Quellen, die nicht genannt werden wollten, sich aber herausnahmen, über Lenas Lebenswandel zu spekulieren. »Man hatte das Gefühl, sie sei auch im Dienst oft mit Dingen beschäftigt gewesen, die nichts mit ihrer Arbeit zu tun hatten«, wurde jemand aus dem »beruflichen Umfeld« zitiert.

      Norbert Müller, dachte Lena. Nur ihm waren solche Äußerungen zuzutrauen. Niemand aus dem Team würde derartig dreist lügen. Angesichts dieses Berichtes konnte die Maibaum noch so sehr behaupten, Lena stünde nicht im Mittelpunkt. Solange sich andere über angebliche Verfehlungen ereiferten, ungeachtet der Tatsache, dass sie gar nicht mehr zuständig gewesen war, würden diese an Verleumdung grenzenden Artikel nicht aufhören. Sollte sie auf der Insel nichts erreichen, musste sie nach Hause fliegen und einen Anwalt einschalten.

      Sie schloss die Fenster und schob das Telefon in ihre Tasche. Diese blöden Spekulationen würden erst aufhören, wenn Klarheit über das herrschte, was wirklich vorgefallen war. Einer, der mehr über Tobys letzte Monate wissen könnte, war der Unbekannte, den sie suchte.

      Eine halbe Stunde später passierte sie eine kleine Bucht. Ein Kleinbus stand dort auf dem sandigen Seitenstreifen neben der Straße. Obwohl der Wagen überlackiert worden war, konnte man noch deutlich die hellblauen, geschwungenen Buchstaben auf den Seitentüren erkennen. Dort hatten einmal die Worte »Naranja Azul« gestanden. Plötzlich klopfte Lenas Herz heftig. Sie bremste ab und parkte ihren Wagen hinter der nächsten Biegung. Sie stieg aus, ging die paar Schritte zu dem Bus zurück und blickte auf den Strand hinunter, den sich drei Familien teilten. Es stand kein weiterer Wagen dort, also waren die Leute alle gemeinsam hergekommen. Die Kinder waren unterschiedlich alt. Eine Frau hielt ein Baby im Arm, die zweite fütterte ein Kleinkind, die Jungs der dritten Familie, ein Zwillingspaar, dürften sechs oder sieben sein. Die Leute würden wissen, wo das Hotel lag.

      Lena ging zu ihrem Wagen zurück. Sie schulterte ihre Tasche, schob eine Baseballkappe über die Haare, setzte ihre Sonnenbrille auf, und lief kurz darauf den schmalen Pfad hinunter, der von der Straße zur Bucht führte. Einer der Zwillinge wurde als Erster auf sie aufmerksam. Er rief seinen Eltern etwas zu und im selben Moment schien das Leben dort unten einzufrieren. Irritiert bemerkte Lena, dass alle zehn Personen ihr schweigend entgegensahen. Einer der Männer erhob sich vom Handtuch und kam lächelnd näher. Gerade, als sie am Ende des Pfads angelangt war, erreichte er sie.

      »Falls Sie ein ruhiges Plätzchen zum Schwimmen und Sonnenbaden suchen, ist die nächste Bucht ideal.« Er sah sie entspannt an, seine Stimme war freundlich, dennoch fühlte Lena einen leichten Schauder über ihr Rückgrat laufen.

      »Ach so, ich dachte …«, sie wies auf den Teil der Bucht, in dem sie locker noch Platz gehabt hätte.

      »Da kommen noch welche. Familien mit Kindern.« Er lachte leise auf, verständnisheischend. »Da geht es immer recht lebhaft zu. Manchmal