auf. »Vielleicht finde ich etwas heraus.«
Lena gab ihr, was sie wollte. Tamae war wesentlich besser als Lena darin, Informationen aus den Tiefen des www hervorzuholen.
»Ich melde mich«, verabschiedete sie sich knapp.
Seufzend klappte Lena ihren Laptop zu. Ob sie es wagen konnte, ein paar Schritte an die frische Luft zu gehen? Sie schlüpfte in Sportschuhe, warf sich eine Jacke über. Als sie ihren Wagen gestartet hatte, änderte sie ihre Meinung. Statt zum nahe gelegenen Maunzenweiher, wie ursprünglich geplant, fuhr sie nach Dietzenbach.
Man hatte ihr untersagt, Kollegen und Kolleginnen anzusprechen. Man hatte denen untersagt, mit ihr zu sprechen. Aber eine Person kannte sie, die sie als integer kennengelernt hatte. Der sie zutraute, Marianne Maibaums Verbot zu umgehen. Die würde sie fragen. Mehr als Nein sagen konnte diejenige nicht.
11
Carola Bergmanns Wagen stand im Parkhaus des Rathaus Center. Lena hatte sich daran erinnert, dass Marianne Maibaums Referentin dort einen reservierten Parkplatz hatte. Sie wartete schon eine ganze Weile und konnte nur hoffen, dass die Bergmann an diesem Tag einigermaßen pünktlich ihr Büro verließ.
Gerade, als Lena daran zweifelte, stieg sie aus dem Aufzug. Den Blick auf das Display ihres Handys gerichtet, sah sie Lena erst, als sie ihr fast schon gegenüberstand.
»Frau Borowski.« Sie wirkte keineswegs überrascht und musterte Lena mit interessiertem Blick.
»Sie müssen mir helfen.«
»Das geht nicht, das wissen Sie doch.«
Lena trat einen Schritt auf die Referentin zu, die jetzt ihr Handy wegsteckte.
»Ich habe seit Monaten nichts mehr mit der Familie zu tun. Aber mir liegt selbst viel daran, herauszufinden, was geschehen ist. Dazu brauche ich die Fallakte.«
Carola Bergmann musterte sie lange. »Die Akte liegt bei Frau Maibaum unter Verschluss. Selbst wenn ich wollte, könnte ich sie Ihnen nicht geben. Noch nicht einmal ich habe einen Blick hineingeworfen. Chefsache. Lediglich das Rechtsamt ist einbezogen.« Sie verschränkte die Arme und lehnte sich gegen den hinteren Kotflügel ihres Wagens, sodass sie Lena nun ihr Profil zuwandte. Lena sah, dass Carola Bergmanns Kiefer arbeitete.
»Ich kann mir vorstellen, wie es in Ihnen aussieht«, fuhr sie nun fort. »Es ist mir unbegreiflich, woher die Sensationspresse Ihren Namen hat.«
»Das ist doch einfach. Jemand aus dem Amt muss mich in die Schusslinie gebracht haben.« Lena unterstrich ihre Worte durch eine vage Handbewegung in Richtung des Kreishauses.
Carola Bergmann drehte blitzschnell den Kopf und musterte Lena aufmerksam. »Wer sollte das sein? Meine Chefin steht hinter Ihnen. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass die Sache intern geklärt werden muss und wir nach außen hin ein geschlossenes Bild präsentieren.«
Die beiden Frauen sahen sich schweigend an. Lena hatte keine Ahnung, ob die Bergmann wusste, dass sie hinter dem geplatzten Vorhaben steckte, das von der Maibaum als soziales Prestigeprojekt geplant gewesen war. Ob sie wusste, wer ihr und der Presse die Unterlagen zugespielt hatte, die deutlich machten, wie faul der Apfel war, den die Politikerin ihren Wählern als äußerst appetitlich hatte anpreisen wollen? Die Sache war sang- und klanglos gestoppt worden, jetzt fehlte der Sozialdezernentin ein wichtiges Pfund, mit dem sie in der Öffentlichkeit wuchern konnte. Hans-Joachim Söder war keiner, der sich so leicht vom Landratssessel schubsen ließ. Er verstand sich nämlich noch besser als seine Konkurrentin auf eine perfekte Außendarstellung. Kurz nach deren peinlichem Rückzug in der fraglichen Sache hatte er seine Konkurrentin mit einem genialen Schachzug düpiert. Indem er ein neues Arbeitszeitmodell präsentierte, das einerseits modern war und andererseits für Einsparungen im Haushalt sorgte. Ganz nebenbei floss in die Pressekonferenz auch noch ein, dass sich bereits andere Kommunalverwaltungen dafür interessierten. Der Landkreis Offenbach als Blaupause eines Erfolgsmodells, signiert von Hans-Joachim Söder. Die Maibaum hatte erwartungsgemäß geschäumt vor Wut, dem nichts entgegensetzen zu können. Lena wusste, dass die ehrgeizige Politikerin sie für den Schlag ins Wasser verantwortlich machte. Nur beweisen konnte sie es nicht.
»Das glauben Sie doch nicht wirklich«, brachte Lena schließlich ihre Gedanken auf den Punkt. »Selbst wenn sie im Moment so tut, als ob sie mich stützt, wird sie mir bei der ersten besten Gelegenheit in den Rücken fallen.«
Die Bergmann nickte unwillkürlich, seufzte und stieß sich vom Wagen ab. »Wie gesagt, ich kann das alles gut verstehen. Nur tun kann ich für Sie momentan nichts.«
»Sprechen Sie mit Sieglinde Brohm«, sagte Lena hastig. »Sie muss doch in ihrer Abteilung wissen, wer die Familie zuletzt betreut hat. Selbst wenn sie das, wie sie behauptet, nicht aus dem Gedächtnis heraus sagen kann, muss die entsprechende Person es wissen. Man kennt doch seine aktuellen Fälle! Und Frau Maibaum braucht nur in die Akte zu schauen, um genau das zu sehen.«
»Verstehen Sie denn nicht, dass es uns genau darum nicht geht? Wir wollen keine Schuldzuweisung an eine einzelne Mitarbeiterin oder einen einzelnen Mitarbeiter. Solange keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt, kein Verschulden im dienstrechtlichen Sinn, stehen wir das als Behörde durch. Falls es stimmt, was Sie sagen, müssen wir im Rahmen der Fürsorgepflicht die Person schützen, die die Betreuung übernommen und nichts von den Misshandlungen bemerkt hat. Genau das tun wir, das schließt aber auch ein, dass weder Sie noch sonst jemand über den engen Kreis hinaus, den ich bereits genannt habe, an Informationen gelangt.«
»Mich schützen Sie aber nicht vor der Sensationspresse!«, erwiderte Lena empört.
Carola Bergmanns Gesicht verschloss sich. »Damit haben wir nichts zu tun«, befand sie knapp. »Womöglich stammen diese Informationen ja aus Ihrem privaten Umfeld. Das ist jedenfalls Frau Maibaums Meinung.«
Danach ging sie um Lena herum zur Tür ihres Wagens. Bevor sie einstieg, drehte sie noch einmal den Kopf. »Sie wissen, dass ich Sie schätze. Aber leider sind mir in dieser Angelegenheit zurzeit die Hände gebunden.«
Noch eine Weile, nachdem Carola Bergmann abgefahren war, stand Lena im Parkhaus und starrte die Wände an. So unnachgiebig wie der graue Beton kam ihr die ganze Angelegenheit vor.
12
»Es sind einfach zu wenig Hinweise.« Tamae schnaubte kurz. »Solange du nicht weißt, wer der Mann ist, mit dem diese Frau Kiewitz liiert war und wohin er wollte, wirst du nicht weiterkommen. Ich habe mir mal die üblichen sozialen Plattformen angesehen. Aber im Gegensatz zu vielen anderen, die alles Mögliche posten, hat sich diese Frau offensichtlich nicht öffentlich dargestellt.«
Das hatte Lena natürlich auch schon gemacht, sicherlich auch die Polizei. Wenn Tamae nichts gefunden hatte, gab es vermutlich auch nichts.
»Kennst du niemanden, der mit dieser Frau befreundet war?«
Lena schüttelte den Kopf. Im selben Moment fiel ihr doch noch etwas ein.
»Das Grillfest letzten Sommer. Da haben sich einige Bewohner der Häuser zu einem Kennenlernen zusammengetan«, murmelte sie. »Vielleicht war auch Tobys Mutter dabei.«
Tamae beugte sich vor, ihr Gesicht füllte nun fast den ganzen Bildschirm aus. »Gibt es dazu einen Namen? Jemand, der das Ganze organisiert hat? Jemanden, von dem du weißt, dass er oder sie dabei war?« Nein. Sie hatte keine Ahnung. Lena war an dem Tag eher zufällig zu dem Grillfest gestoßen. Sie konnte sich kaum daran erinnern, wen sie dort getroffen hatte. Nun gab sie passende Begriffe in die Suchleiste ihres Browsers ein und erhielt viel zu viele Treffer.
»Die Leute geben sich ja heutzutage die merkwürdigsten Spitznamen im Internet. Vielleicht hatte diese Frau Kiewitz ja einen Account unter einem Fantasienamen?«, mutmaßte Tamae, die noch immer nicht aufgegeben hatte.
Ja, nur dass Lena keine Ahnung hatte, welcher das sein könnte. Die folgenden Stunden verbrachte sie am PC, sie ging jeder noch so kleinen Verbindung nach, begann mit Hashtags wie Dietzenbach, Spessartviertel, gab dazu eine ganze Reihe