Anke Nienkerke-Springer

Evolution statt Revolution


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      Den genannten Unternehmen ist ebenfalls gemeinsam, dass sie langfristige Werte schaffen wollen. Sie sind sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst und nehmen diese aktiv wahr. Sie sind sich sicher, dass ein Unternehmen weder Menschen noch Ressourcen noch die Erde durch seine Aktivitäten ausbeuten und zerstören darf. Sie belassen es nicht bei Lippenbekenntnissen und PR-Verlautbarungen in Hochglanzbroschüren, sondern ziehen konkrete Konsequenzen für ihr Handeln, sodass der Sinn ihres Unternehmens zu einem wichtigen oder sogar zu dem wichtigsten Steuerungselement wird.

      In evolutionären Unternehmen steht die Frage nach dem Sinn und Zweck ihres Tuns im Fokus. Ein Unternehmen muss, ähnlich wie eine Gesellschaft, das Gemeinsame erkennen, damit es funktioniert. Dabei geht es um die Suche nach dem Sinn, danach, welchem tieferen, auch emotionalen Zweck die Tätigkeiten eines Unternehmens und die Aktivitäten der Mitarbeiter und Führungskräfte dienen.

      Derzeit scheint es einen wahren Hype um die Frage nach einem höheren Sinn des unternehmerischen Tuns zu geben. Dies geschieht meistens unter dem Label »Purpose«. Allerdings stellt sich die Frage, ob es sich bei der Strategie vieler Konzernchefs, die sich die Sinnsuche unter dem Modewort »Purpose« auf die Fahnen geschrieben haben, nicht vor allem um den Versuch handelt, dem Zeitgeist zu huldigen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Art der Sinnsuche vor allem dem Mainstream geschuldet ist. Da werden dann, oft mit Unterstützung einer PR-Agentur, flugs ein paar Werte benannt, um die Frage »Was wollen wir mit unserer Arbeit und unserem unternehmerischen Tun erreichen?« zu beantworten. Aus meiner Sicht aber sollte weniger die Frage nach dem Was im Fokus stehen, sondern die Frage nach dem sinnstiftenden Warum.

      Die Warum-Frage ist der Treibstoff, der die evolutionäre Entwicklung vorantreibt, weil alle Menschen im Unternehmen, weil alle Führungskräfte und Mitarbeiter den Willen und den Mut haben, nach dem Sinn dessen zu fragen, was sie selbst in ihrem Verantwortungsbereich veranstalten. Zudem wird gefragt und reflektiert, ob sich das Unternehmen noch »auf dem richtigen Weg befindet« und ob die einzelnen unternehmerischen Entscheidungen der Kernbotschaft und der Lebensaufgabe entsprechen, die das Unternehmen verfolgt. Darum führen evolutionäre Unternehmen kontinuierlich Meetings durch, in denen auf Entscheiderebene, auf Führungsebene und auf Mitarbeiterebene intensiv die Frage nach dem Warum des unternehmerischen Tuns diskutiert und immer wieder aufs Neue beantwortet wird. Denn Menschen wollen wissen, dass sie das Richtige richtig tun und auf der richtigen Seite stehen.

      Sinnstiftung wird in evolutionären Unternehmen als Halt und Orientierung bietende Führungsaufgabe verstanden. Denn auch die Führungskräfte wollen einen tieferen Sinn in ihrem Tun identifizieren. Zum anderen wollen sie auf die entsprechenden Fragen der Mitarbeiter vorbereitet sein, etwa: »Warum machen wir das, was wir tun?« Solche Fragen werden in Zeiten, in denen vor allem die hoch qualifizierten Mitarbeiter ihre Lebenserfüllung immer seltener im Beruf allein erkennen können, immer öfter gestellt.

       Das Merkmal »Fairness«

      Evolutionäre Unternehmen mit Persönlichkeit wollen faire Beziehungen zu allen Stakeholdern aufbauen. Primär sind damit faire Beziehungen zu den Kunden und zu den Mitarbeitern gemeint, darüber hinaus aber auch zu den Lieferanten, mithin zu allen Menschen, die an der Wertschöpfungskette beteiligt sind.

      Damit nicht genug: Auch die Beziehungen zu den Menschen, die indirekt von den Geschäftsaktivitäten des Unternehmens betroffen sind, und zur Gesellschaft insgesamt rücken in den Blickpunkt. Wer auf diese Art und Weise ganzheitlich denkt und entsprechend agiert, wird sich überdies die ethisch-moralische Frage stellen, welche Konsequenzen das wirtschaftliche Handeln für nachfolgende Generationen oder gar die Welt hat. Die Diskussion dieser Frage stellt die Grundlage all dessen dar, was wir unter dem Stichwort »Fair Trade« diskutieren. Wiederum gilt: Die Tatsache, dass sich die Unternehmensverantwortlichen mit Fair Trade beschäftigen, ist kein hinreichendes Kriterium, es als »evolutionäres Unternehmen mit Persönlichkeit« zu bezeichnen. Maßgebend sind die dahinterstehende Haltung und das Menschenbild:

      Wer in der Vergangenheit ethisch-moralische Fragen zu stellen wagte, die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen thematisierte und diskutieren wollte, wie man sich als Unternehmen fair auch gegenüber der Gesellschaft verhalte, wurde nicht selten der Naivität verdächtigt. Ich stelle in meinen Beratungen und Coachings im Topmanagement fest: Immer mehr Menschen, insbesondere Vorstände und Geschäftsführer, sind offen für solche tiefergehenden Fragestellungen und finden den Mut, im Zusammenhang mit der zukünftigen Entwicklung des Unternehmens solchen komplexen Fragen Raum zu geben und diese mit ihren Führungskräften und Mitarbeitern zu diskutieren. Dabei fallen oft »große« Worte: Es geht um Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und Authentizität, denn wie jede soziale Gemeinschaft benötigt ein Unternehmen ein Wertesystem, das ihm Halt verleiht. Und wer Halt hat, kann auch eine bestimmte Haltung einnehmen, leben und vorleben.

      Ein Kernaspekt der Fairness ist die Begegnung auf Augenhöhe mit dem Ziel, eine Vertrauenskultur aufzubauen, die alle an der Wertschöpfungskette beteiligten Menschen umfasst. Fairness ist dabei der Kitt, der die Aktivitäten, die zum Vertrauensaufbau führen sollen, zusammenhält.

       Das Merkmal »Potenzialentfaltung«

      Evolutionäre Unternehmen haben ein Interesse daran, die Potenziale der Menschen zu fördern, die sich für die Firma einsetzen. Allerdings: In vielen Unternehmen scheint eine Potenzialvernichtungsmaschinerie im Gange zu sein. Einen Beleg dazu liefert jedes Jahr das Gallup Institut mit seinem Engagement Index, den das Markt- und Meinungsforschungsinstitut erstellt. Für 2018 konstatiert das Institut (Gallup 2018), dass über fünf Millionen Arbeitnehmer – und damit 14 Prozent – ihren Job bereits innerlich gekündigt hätten und keine emotionale Bindung zum Unternehmen aufweisen würden. Weiter heißt es: »Der Anteil der emotional hoch gebundenen Arbeitnehmer ist (…) in Deutschland nach wie vor auf einem niedrigen Niveau. Nur 15 Prozent der Beschäftigten weisen hierzulande eine hohe emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber auf. Drei von vier Beschäftigten machen lediglich Dienst nach Vorschrift (71 Prozent). Nach jüngsten Berechnungen verursacht die innere Kündigung von Mitarbeitern dabei einen jährlichen volkswirtschaftlichen Schaden von bis zu 103 Milliarden Euro.«

      Die Gallup-Zahlen sind, wie fast jedes Jahr, erschreckend und belegen die fatalen Konsequenzen einer Potenzialvernichtungsmaschinerie, die zu Potenzialvergeudung führt und Potenzialentwicklung geradezu verhindert.

image Unternehmen, die eine Lebensaufgabe mit ihrem unternehmerischen Tun verfolgen, achten darauf, dass sie den Führungskräften und Mitarbeitern die Möglichkeit eröffnen, ihre Potenziale am Arbeitsplatz einzusetzen und zu entfalten.

      Der Weg zu diesem Ziel kann sehr unterschiedlich ausfallen, dass aber die Potenzialentwicklung Priorität genießt, steht bei diesen Unternehmen außer Frage. Sie investieren in die Potenzialentfaltung und die Weiterentwicklung der Mitarbeiter – nicht nur in die fachliche, sondern auch in die persönliche Weiterentwicklung. Dabei fokussieren sie sich darauf, die Stärken, Talente und Begabungen der Führungskräfte und Mitarbeiter für die Entwicklung der Gesamtunternehmung zu nutzen. Zugleich zielt ihr Tun darauf ab, die emotionale Bindung der Menschen an das Unternehmen zu erhöhen, indem diese in einer Unternehmenskultur, die von Wertschätzung geprägt ist, ihre Stärken einsetzen und ausbauen können.

      Sicherlich gibt es Mitarbeiter, die klare Anweisungen benötigen, um gute Leistungen erbringen zu können. Doch viele Menschen fühlen sich eher dann an ihrem Arbeitsplatz wohl, wenn sie autonom arbeiten und eigene Entscheidungen fällen, sich zugehörig fühlen und ihre Kompetenzen aktualisieren können. Dies ist möglich, wenn sie an genau dem Arbeitsplatz tätig sind, an dem sie ihre Kompetenzen und Potenziale einsetzen und nutzen können, wenn also Anforderungs- und Qualifikationsprofil übereinstimmen. Die Führungskräfte sollten beide Mitarbeitergruppen unterstützen und ihnen helfen, ihre jeweiligen, höchst unterschiedlichen Potenziale zu entwickeln.

      Potenzialentfaltung