Dominic Multerer

Klartext


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kann man den Wahnsinn kaum auf den Punkt bringen, der hier abgelaufen ist. Und besser lässt sich auch kaum zeigen, was mit dem Thema Klartext alles verbunden ist, denn die Ereignisse bei Karstadt stellen das krasseste Gegenteil von Klartext und Verbindlichkeit dar, das sich denken lässt. Da übernimmt jemand ganz unverbindlich die Verantwortung für 17.000 Mitarbeiter. Aber nur, solang die Medien ihn lieb haben. Als es öffentlich Kritik hagelt, reicht er sein Konzernchen weiter. Man kann schon froh sein, dass er Karstadt nicht bei den Ebay-Kleinanzeigen unter »Zu verschenken oder für 1 Euro« inseriert hat.

      Klartext beginnt also mit Verbindlichkeit im Alltag und hört da auf, wo es ums Ganze geht. Ohne Klartext geht es nicht.

      FAZIT

      Reflektieren, sich für einen Standpunkt entscheiden, diesen verständlich nach außen tragen, sich der Diskussion stellen, nicht sofort einknicken und trotzdem offen dafür sein, die eigene Meinung zu ändern – das ist Klartext, wie ich ihn verstehe. Oder besser: Das sind die Grundlagen von Klartext. Zu den einzelnen Klartext-Prinzipien komme ich später noch. Wer jederzeit verpflich tet ist, klare und verbindliche Aussagen zu machen, der ist auch gezwungen nachzudenken. Denn Verbindlichkeit setzt einen Standpunkt voraus. Und um einen Standpunkt zu haben, muss ich reflektieren. Das heißt: Ich sollte reflektieren, statt mir meine Meinung irgendwo zu borgen. Klartext setzt Bewusstheit und Reflexion voraus. Sie sehen: Wir sind mit dem Thema Klartext noch nicht fertig. Aber das Buch ist auch noch nicht zu Ende.

      »Klartext braucht es in Unternehmen grundsätzlich für zwei Ziele: Entweder es geht darum, besser zu werden, oder es geht darum, ein Problem zu lösen.«

      Dominic Multerer

      KAPITEL 2

      BEWUSST KLARTEXT REDEN

      Es gab da mal ein schräges Experiment: Man hat Affen im Zoo lauter Töpfe mit Farben ins Gehege gestellt und dazu Papier ausgebreitet. Affen sind intelligent, deshalb haben sie tatsächlich angefangen zu malen. Sie haben ihre Finger in die Farbtöpfe getaucht und sich dann auf dem Papier ausgetobt.

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      Inzwischen ist dieser Versuch x-fach wiederholt worden. Der Clou dabei: Teilweise sehen die Ergebnisse abstrakten Gemälden weltberühmter Künstler des 20. Jahrhunderts verblüffend ähnlich. Im Internet gibt es unter reverent.org sogar einen Test, bei dem Sie raten sollen, wer das jeweils gezeigte Bild gemalt hat: Mensch oder Affe? Gar nicht so einfach zu entscheiden, kann ich Ihnen sagen!

      Der Affe als Künstler

      Und eben weil das nicht so einfach ist, entstand die Idee zu einem weiteren Experiment. Diesmal ein bisschen dreister. Man hat ein paar der schönsten Affengemälde in einer stylischen Galerie aufgehängt und Gäste zu einer Vernissage eingeladen. Denen hat man allerdings nichts von den Affen erzählt, sondern behauptet, die ausgestellten Gemälde seien Werke eines bisher unbekannten Künstlers, der zurzeit international der Shootingstar sei. Daraufhin standen die Leute vor den Bildern und sagten »Oooh!« und »Aaah!« und »Toll!« und »Wie innovativ!« und »Wie expressiv!«. Als der Schwindel nach einer Weile aufgelöst wurde, waren die Gäste stocksauer. Von den Bildern wollte keiner mehr was wissen.

      Die Frage ist: Warum waren die Leute eigentlich so enttäuscht? Okay, man hatte sie angelogen. Nicht schön. Trotzdem: Erst fanden sie die Bilder toll und dann plötzlich nicht mehr. Dabei hat sich an den Bildern allein durch die Information, dass sie von Affen gemalt wurden, gar nichts verändert. Wenn es für die Leute einen so großen Unterschied macht, ob ein Affe oder ein gefeierter Künstler ein abstraktes Gemälde schafft, dann sollten wir uns anschauen, worin dieser Unterschied besteht. Letztlich doch nur darin, dass der Künstler bewusst die Absicht hat, ein Kunstwerk zu schaffen, und der Affe eben nicht. Das Ergebnis ist dasselbe.

      Was beabsichtigen Sie?

      Wie komme ich darauf im Zusammenhang mit Klartext? Ganz einfach: Es gibt Leute, die reden Klartext, ohne die Absicht zu haben. Dass andere ihre Worte als Klartext empfinden, ist ihnen gar nicht bewusst. So ging es beispielsweise mir selbst damals, als alle sagten, ich redete Klartext, und ich nicht wusste, was sie damit meinten. So geht es auch Jochen Schweizer. Als ich in seinem Büro war, um ihn für dieses Buch zu interviewen, fragte er mich: »Glaubst du ernsthaft, irgendjemand kauft ein Buch über Klartext?« Ich antwortete: »Ja.« Da schüttelte Jochen den Kopf, als wollte er sagen: »Bescheuerte Idee, dein Buch.«

      Nach meinem Gespräch mit Jochen Schweizer war mir völlig klar, warum er persönlich kein Buch über Klartext braucht. Mehr noch, warum in seiner ganzen Firma niemand so ein Buch braucht. Jochen Schweizer redet immer Klartext und macht sich keinen Kopf deswegen. Seine Mitarbeiter reden ebenfalls Klartext, sowohl untereinander als auch mit ihrem Chef, sprich: mit Jochen. Für mich ist Jochen Schweizer allerdings ein Ausnahmefall: ein Klartext-Typ in einer Klartext-Firma und einem Klartext-Universum. Universum heißt, er arbeitet auch nur mit Partnern zusammen, die mit ihm konform sind. Jochen Schweizer aufzufordern, bewusst Klartext zu reden, wäre so, als ob Sie die Bodyguards von Barack Obama bitten würden, mal böse zu gucken. Ja, was machen sie denn die ganze Zeit?

      Noch mal zurück zu den Affen. Angenommen, Sie sind kein Affe, sondern Kunststudent. Sie malen abstrakte Bilder. Und Sie sagen sich: »In so einer schicken Galerie würde ich meine Sachen auch gern hängen sehen.« Und ein Loft in New York wäre auch nicht schlecht und die ganzen Partys und die Frauen sowieso. Was müssen Sie also tun? Antwort: Sie müssen bewusst einen Weg finden, damit die Leute von Ihren Bildern genauso beeindruckt sind wie von den Bildern der Affen, die nie die Absicht hatten, Leute zu beeindrucken. Das klingt zwar sehr vereinfacht, aber wenn Sie ein Weilchen darüber nachdenken, werden Sie merken, dass es im Prinzip genauso ist: Die einen können etwas, ohne darüber nachzudenken; die anderen müssen reflektieren, um bewusst das zu tun, was Erstere auch so können.

      Selbstbild und Fremdbild abgleichen

      Mit dem Reflektieren fangen leider die Probleme an. Wenn das anders wäre, bräuchte ich mich hier kein Kapitel lang über Bewusstheit und Klartext auszulassen. Leute, die ein falsches Bild von sich selbst haben, kennen Sie alle. Falsch heißt, jemand sieht sich selbst ganz anders, als die anderen ihn sehen. Nehmen wir mal an, jemand ist Sänger einer Band im Westerwald. Jetzt können Sie bezweifeln, ob es im Westerwald Bands gibt, aber ich meine das auch nur hypothetisch. Dieser Sänger also glaubt, er ist der zukünftige Robbie Williams oder Justin Timberlake oder wer auch immer. Dann tritt er bei DSDS auf, bekommt von Dieter Bohlen und seiner Jury so richtig auf die Mütze, geht zurück in den Westerwald und heult erst mal den Fichten etwas vor.

      Irgendwann ist er aber vielleicht dankbar. Jedenfalls hätte er allen Grund dazu. Denn durch das Klartext-Feedback wurde etwas klargestellt: Er hat gesehen, dass bei ihm Selbstbild und Fremdbild nicht zusammenpassen und dass er daran etwas ändern muss. Letztlich hat er nur so die Chance, besser zu werden. Bewusst besser.

      Nicht nur blöd, sondern auch noch blind

      Die Lösung interessiert, nicht die Geschichte

      Es gibt Leute, die gar nicht merken, was für einen Unsinn sie den lieben langen Tag erzählen. Das gilt für das Leben generell und für das Geschäftsleben erst recht. Neulich hatte ich wieder solch einen Fall: Ein junger Unternehmer rief mich abends privat an und sagte: »Dominic, du musst mir helfen, du hast doch mal Steuerberater gelernt oder so was Ähnliches, ich bin hier am Verzweifeln.« Also hörte ich mir sein Problem an. Es ging um ein bestimmtes Abfrageverfahren beim Bundeszentralamt für Steuern. Das ist ein mehrstufiger Vorgang, bei dem er online immer wieder Daten eingeben muss, einen Zugangscode bekommt und dann wieder online gehen und den Code eingeben muss und so weiter. Eine ziemlich komplizierte Sache, wie sie sich nur Bürokraten ausdenken können. Der Unternehmer hatte mein volles Mitgefühl für seine Verzweiflung. Am Ende der ganzen Prozedur sollte er ein Zertifikat bekommen und alles wäre gut. Bloß kam er nicht bis zum Ende, denn es hakte. Er steckte fest und wusste nicht, warum. Da hat er erst mal seinen Steuerberater angerufen und gefragt, was er machen soll.

      Und wie reagiert der Steuerberater? Er fängt an, ihm das gesamte