Informationen und meinte zum Schluss: »Habe ich noch etwas übersehen?« Gelegentlich fragte der CEO etwas, was ich nicht bedacht hatte. Doch meistens hatte ich seine Gedanken schon vorweggenommen. Ich merkte, wie sein Vertrauen in mich allmählich wuchs.
Es wäre ein Leichtes gewesen, mich meinem Frust hinzugeben und mich darüber aufzuregen, dass meine Glaubwürdigkeit so stark in Zweifel gezogen wurde. Aber langfristig gesehen bot sich mir so die Möglichkeit, vom CEO zu lernen und Fähigkeiten hinzuzugewinnen, die meine Glaubwürdigkeit stärkten. Ich erfuhr viel über das kritische Denken, das in jede Entscheidung über eine Neueinstellung einfließen sollte. Allmählich verstand ich auch die Gründe für das, was mir anfangs als übertriebene Einmischung erschienen war. Ich erkannte, dass der CEO von einem aufrichtigen Interesse für die Menschen geleitet war und nicht etwa von dem Bedürfnis, mir meine Arbeit aus der Hand zu nehmen. Seine Vorgehensweise stammte aus einer Zeit, als es noch keine klar geregelten Einstellungs- und Personalentwicklungsprozesse in unserem Unternehmen gegeben hatte. Dem CEO lag so viel an seinen Mitarbeitern, dass er sich persönlich um jeden einzelnen kümmern wollte. Dass ich mich nicht über die Situation aufregte, sondern langfristig dachte, gab mir die nötige Geduld, um zu erkennen, was dem CEO wirklich wichtig war. Ich konnte auf seine Wünsche eingehen und meine Glaubwürdigkeit Schritt für Schritt steigern. So hatte ich die Gelegenheit, den gesamten Rekrutierungs- und Einstellungsprozess nach und nach zu evaluieren und zu verbessern.
Wenn es um die Stärkung Ihrer Glaubwürdigkeit geht, sollten Sie keine halben Sachen machen. Hier sind Durchhaltevermögen und eine klare Linie gefragt. Natürlich können einzelne, kurzfristige Aktionen einen positiven Eindruck hinterlassen. Doch echtes Vertrauen wächst nur, wenn das entsprechende Verhalten über lange Zeit die Regel und nicht die Ausnahme ist. Ohne die Langfristperspektive leidet unsere Glaubwürdigkeit. Es ist wie bei Chelsea und der Reifenpanne. Hier hat der zweite Mechaniker zugunsten einer langfristigen Kundenbeziehung auf einen kurzfristigen Gewinn verzichtet. Er verkaufte Chelsea keinen neuen Reifensatz. Vielmehr dachte er an die langfristige Wirkung seines Handelns. Das wird sich für ihn gleich mehrfach auszahlen: So wird nicht nur Chelsea künftig Kundin in seiner Werkstatt sein, sondern auch viele ihrer Bekannten, denen sie die Geschichte mit dem Plattfuß erzählt hat.
Sich auf die konkrete Situation einstellen
Wenn Sie Ihre Glaubwürdigkeit stärken wollen, müssen Sie sich auf neue Situationen und Menschen einstellen. Angenommen, Sie haben eine Chefin, für die eine konstante und häufige Kommunikation das Markenzeichen von Glaubwürdigkeit ist. Dann gewinnen Sie ihr Vertrauen, indem Sie jede Woche einen Bericht erstellen und zu Besprechungen immer bestens vorbereitet und mit einer durchdachten Tagesordnung erscheinen. Weil es Ihrer Vorgesetzten sehr wichtig ist, aktiv am Entscheidungsprozess beteiligt zu sein, legen Sie ihr verschiedene Optionen vor und treffen die abschließende Entscheidung gemeinsam mit ihr. Das funktioniert sehr gut.
Dann wechseln Sie die Stelle.
Ihr neuer Chef definiert Glaubwürdigkeit ganz anders: Er gibt Ihnen ein Ziel vor und überlässt es dann Ihnen, wie Sie die angestrebten Ergebnisse erreichen. Von Ihnen erwartet er, dass Sie sich nur beim ihm melden, wenn Sie auf ein Hindernis stoßen. Er möchte nicht, dass Sie ihn einfach nur auf dem Laufenden halten oder ihn in alle Entscheidungen einbeziehen. Jetzt kann das so lange von Ihnen erfolgreich praktizierte Verhalten, bei dem es um regelmäßige Kommunikation ging, auf einmal Ihre Glaubwürdigkeit untergraben. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, dass Sie die aktuelle Lage genau beobachten und Ihr Handeln danach ausrichten. Dieses Verhalten wird oft auch als Situationsbewusstsein oder Situation Awareness bezeichnet.
Ich weiß noch, wie ich mit einer talentierten Kundenbetreuerin zusammenarbeitete, der es sehr schwerfiel, sich auf veränderte Situationen einzustellen. Sie kam in unser Team, nachdem sie ihr eigenes Unternehmen viele Jahre erfolgreich geführt hatte. Es gelang ihr, innerhalb kürzester Zeit einige sehr lukrative Aufträge an Land zu ziehen. Sie war im Umgang mit Kunden sehr erfahren und genoss eine hohe Glaubwürdigkeit.
Als ich die Information bekam, dass wir eine Vertriebsleiterstelle neu zu besetzen hatten, dachte ich sofort an sie. Im Laufe des Auswahlverfahrens zeigte sich, dass ihre Verkaufsfähigkeiten wirklich herausragend waren. Sie schien die ideale Kandidatin zu sein. Bei näherer Betrachtung stellte sich allerdings heraus, dass ihre Kollegen und ihr Chef sie etwas kritischer sahen. Sie konnte tatsächlich bessere Zahlen vorweisen als fast alle Verkäufer aus ihrer Region. Dennoch gaben ihr die Leute, mit denen sie direkt zusammenarbeitete, keine allzu guten Noten. Sie beklagten sich über die herablassenden Bemerkungen, die sie häufig von ihr zu hören bekamen. Zudem äußerten sie ihren Frust darüber, dass sie andere oft zur Eile antrieb. Denn das machte sie nicht aus Zeitnot, sondern nur, um anderen ihren Terminplan aufzudrängen.
In diversen Gesprächen, die ich mit ihr und ihren Kollegen führte, kam dann ein Muster zum Vorschein: Sie war eine großartige Verkäuferin. Aber sie kam nicht gut mit den Leuten zurecht, mit denen sie im Alltag zusammenarbeiten musste. Schließlich bat mich ihr Vorgesetzter, die Beförderung erst einmal auszusetzen. Als ich ihr das mitteilte, war sie bitter enttäuscht. Sie meinte, dass ihr noch nie jemand gesagt hätte, dass sie ein Glaubwürdigkeitsproblem hätte. Zudem betonte sie, dass sie viele Jahre lang ihr eigenes Unternehmen erfolgreich geführt hatte. Doch genau da lag der Schlüssel für ihr Problem: Die talentierte Verkäuferin hatte sich ihre Glaubwürdigkeit als Einzelkämpferin erworben. Aber die neue Situation erforderte die Zusammenarbeit mit einem größeren Team. Plötzlich musste sie sich auf andere Zeitpläne, Kompetenzen, Persönlichkeiten und Prioritäten einstellen. Das fiel ihr offensichtlich schwer. Sie war so sehr auf ihre eigene Agenda fokussiert, dass sie dabei das Team komplett aus den Augen verlor. Darunter litt ihre Glaubwürdigkeit – und das kostete sie am Ende die Beförderung.
Wir alle zahlen einen Preis, wenn wir unsere Glaubwürdigkeit verlieren. So groß die Versuchung auch sein mag, das Handtuch zu werfen: Es lohnt sich, am Ball zu bleiben und die eigene Glaubwürdigkeit durch konsequentes Verhalten wiederherzustellen – selbst wenn sie stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. An diesem Punkt frage ich mich, ob der Mechaniker, bei dem Chelsea zuerst war, das am Ende wohl begriffen hat?
Chelsea beherzigte den Rat des zweiten Mechanikers und sparte so fast 800 Dollar. Außerdem rief sie die Werkstatt an, bei der sie zuerst gewesen war. Hier sagte sie nicht nur den Termin ab, sondern brachte auch ihre Enttäuschung sehr klar zum Ausdruck.
»Dürfte ich wohl mal mit dem Manager sprechen?«, fragte sie.
»Er ist gerade nicht da. Kann ich Ihnen vielleicht helfen?« Chelsea erkannte die Stimme des Mechanikers, der versucht hatte, ihr unnötige Reifen für knapp 1000 Dollar zu verkaufen.
»Es gibt da eine Sache«, erwiderte sie. »Gestern war ich hier mit einem kaputten Reifen. Sie sagten mir, dass ich einen kompletten neuen Reifensatz brauche.«
»Ja, ich erinnere mich.«
»Also, ich will Ihnen dazu ein Feedback geben: Ich bin zu einer anderen Werkstatt gefahren. Hier stellte sich nicht nur heraus, dass Sie das Profil falsch gemessen haben, sondern dass es auch nicht nötig ist, einen komplett neuen Reifensatz zu kaufen. Am Ende habe ich nur einen Reifen gekauft und das Profil an die übrigen drei Reifen anpassen lassen. Ich wollte nur, dass Sie wissen, dass es sich für mich anfühlt, als wollten Sie mich über den Tisch ziehen. Ich hoffe sehr, dass das nicht stimmt.«
Chelsea erzählte mir später, dass sie in diesem Moment erwartet hatte, dass der Mechaniker entweder auflegen oder aber mit Beschimpfungen reagieren würde.
Doch stattdessen sagte er: »Es tut mir leid. Wie kann ich das wieder gutmachen? Was kann ich für Sie tun?«
»Ehrlich gesagt – gar nichts«, antwortete Chelsea. »Aber danke, dass Sie mir zugehört haben.«
Sobald Sie Ihren Ruf oder Ihre Glaubwürdigkeit bei jemandem verspielt haben, kann der Weg zurück sehr steinig sein.