Friederike Müller-Friemauth

No such Future


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      »Sie können ruhig etwas lauter nicken!«

      UDO LATTEK

      Aber auch Kreativitionisten brauchen offensichtlich einen Schubs23, um ihre Talente »richtig«, das heißt wirtschaftlich nutzbar zu entfalten. Dann aber bringen diese Pioniere-Nach-Vorn uns alle voran. Richard Florida betreibt also ein sehr spezielles Erwartungsmanagement: Er will den Menschen fürsorglich in den verlängerten Rücken treten24, damit sie – in Freiheit – ihr kreatives Potenzial auch abrufen. Im Sinne der individuell-gemeinschaftlichen Maxime: »Jeder (kreativ) für sich – und Gott für alle!«

      Kreativität ist immer und überall

      Damit das auch klappt, wird das Verständnis von »Kreativität« maximal entgrenzt. Es geht nicht mehr nur um die Tätigkeiten von Künstlern, Architekten und Designern, sondern genauso um die Praktiken von Internet-Jobbern, Städtebau-Planern und Unternehmensberatern. Demzufolge ist die Liste der Branchen und Organisationen, die sich auf die Kreative Klasse einschießen, entsprechend lang und, wo sich die Kreativlinge austoben, beziehungsweise ausbeutbar einbringen dürfen, beachtlich:

      ∎ Universitäten, Agenturen, Lifestyle- und Medienunternehmen, Tourismusorganisationen oder Exportfirmen wollen mit den Kreativen zu Wachstumsmotoren werden und präsentieren sich als Brutstätten für Ideenproduzenten.

      ∎ Städte und Kommunen wetteifern darum, für Kreative attraktiv zu sein, profilieren dementsprechend ihr Gemeinde- und Stadt-Marketing und versuchen, sich zu Marken zu entwickeln. (Inoffizieller Benchmark in Deutschland: Arm, aber sexy!)

      ∎ Management- und Personalentwicklungs-Leitlinien werden umgearbeitet, um die »Normalisierung« von Kreativität zu fördern.

      ∎ Das Kreativitätsvokabular spiegelt sich schon seit Langem in den Ausschreibungen der Stellenmärkte, die teilweise ganz neue Berufsbilder entwerfen.

      ∎ Diverse Schul-, Bildungsprogramme und Uni-Studiengänge versuchen sich an der Förderung von Kreativität.

      Stellt sich nur die Frage, was nicht als kreative Tätigkeit angesehen werden sollte. Zwischen Arbeit, Kunst und Wirtschaft verschwimmen die Unterschiede. Und der Unternehmer? Mutiert vom Entrepreneur über den Freepreneur zum Culturepreneur, der finanzwirtschaftliche Disziplin mit der freiheitlichen Kunst des kreativ-kulturellen Denkens verbindet.25

      Problemzonen-Behandlung

      Spielverderber

      Zentrales Hindernis des Ganzen ist allerdings (wie immer) der starrsinnige Mensch. Um dessen Ertüchtigung geht es. Der Einzelne habe sich zunächst einmal zu beherrschen (das entlastet schon mal Umfeld und Sozialsysteme). Über Sinnstiftungs- und Orientierungskompetenz sollte er auch verfügen. Sein kreativer Geist muss belebend über uns kommen, inspirierend wirken! Gemäß den Maximen: New! Change! Be Different! Yes: We can! Ein Über-sich-Hinauswachsen durch Spiel und Spaß, das sich in nicht näher bestimmten Mechanismen, Anreizen und Möglichkeiten entfaltet.26

      »Ich wäre überrascht, wenn das Spiel bis zum Ende dauert.«

      Ian St. John, schottischer Nationalspieler

      Hört sich das nicht toll an? Wie aber sieht es konkret aus – das Aufbau-Training für uns Einzelne, das uns den richtigen »Schubs« gibt?

      Auto-Programmierung und Selbstsuggestion!

      Die Vertreter der Trendreportagen bedienen sich nämlich einiger immer wiederkehrender einprägsamer Mantras. Damit wollen sie bei jedem Einzelnen positive Vibrations erzeugen – durch den steten Bezug auf Freiheit (liberal), Selbstbestimmung (liberal-liberal) und ökonomischen Erfolg (liberal-liberal-neo-liberal). Motto: »Vor uns die goldenen Jahre!« Und, so viel Kreativität muss sein: Das alles mit ständig neu gedrechselten Worthülsen und hippen Formeln wie Rückkehr der Konsumenten-Macht. Freeconomy. Statusfaction. Sozialer Reichtum. Schwarmintelligenz. Flow-Control. Karmakapitalismus. Sie merken schon: Dieser Dreh ist ausbaufähig.

      »Ich bin so glücklich wie ich nur sein kann. Ich war aber auch schon mal glücklicher.«

      UDO EHIOGU, FC Middlesborough

      Durchgehend schließen die Verkünder dieser Trendreportagen ökonomischen Bedarf mit Sehnsüchten und Sinnsuche kurz. Mittels höchst fantasievoller Verheißungen. »Sag: Ich bin gut!« (Wahlweise auch: frei, mächtig, status-beglückt …)

      Und, was sich absurd anhören mag, aber stimmt: Die exzentrischen Trendforscher haben mit ihrem sakralen Sendungsbewusstsein und ihren positiven Suggestionen durchaus Erfolg! Zumindest bei ihrer Klientel (und nur die zählt beziehungsweise zahlt für derlei). Denn die Performance der Trendreporter als Event- oder Lifestyle-Happening ist für Verantwortungsträger oder Wirtschaftslenker immer auch persönlich erhebend und Ausgleich für einen getriebenen Entscheideralltag. Die Trendreportagen-Szene bietet nicht zu unterschätzende Status-Effekte: Man nimmt teil als einer der Ersten! An einer faszinierenden Ära. Man gehört zu den wenigen Auserwählten, die Zutritt haben zu solchen die Zukunft aufschließenden Einsichten. (Dass das nicht allzu viele sein werden, garantieren allein schon die Kongressgebühren und Auftragskosten dieser Trend-Gurus.)

      Zukunft aus dem schwarzen Block – Happiness is a warm gun

      Matthias Horx gab immer schon freimütig Auskunft über den Geist seiner Zukunft.27 Er folge der »positiven Psychologie« (von Martin Seligman) und möchte seine Jüngerschaft zu Beautiful Minds heranbilden. Diese strebten nach Selbstveränderung, Empowerment und Integration, wollten aus ihren Konsumhandlungen »verändert zurückkommen«: sich »nicht nur gut fühlen, sondern auch richtiger handeln«. Sie suchten nach Vervollkommnung. Entscheidungsdesign und Sozial-Engineering stünden dafür, dass optimale Schlüsse gezogen würden und die Gesellschaft vorankomme. Moderne zielorientierte Managementtechniken leiteten die Politik an, sanft paternalistisch.

      »Schöner denken« – so denn auch der Slogan, der dem Gegenwartsdrama des falschen Denkens Paroli bieten soll. Insgesamt also eine verheißungsvolle Mentalitätslage, die Horx da »lebendig nach vorne reflektiert«.28 Ganz wie Meister Yoda, der ja auch schon Luke Skywalker warnte: »Vor der dunklen Seite (des Denkens) hüten du dich sollst!«

      Solche esoterischen Prophetien machen deutlich, warum für viele Unternehmer derlei bestenfalls zur Selbsterbauung taugt.

      »Einige haben von einem recht guten Spiel gesprochen. Da frage ich mich, ob ich zum Augen- oder zum Ohrenarzt muss.«

      ANDREAS MÖLLER

      Branchen-Kodex

      Damit nun aber niemand auf die Idee kommt, des Trendreporters neue Kleider zu bemäkeln, gilt in der Zunft ein Branchen-Kodex. Stillschweigend, aber effektiv. Auf dessen Grundlage das Spielfeld mitunter beinhart verteidigt wird.

      Die Mechanismen im Einzelnen:

      ∎ Radikaler Ausschluss von Spielverderbern.

      Akteure, die nicht für mannschaftsdienliches Verhalten, sondern für unkonventionelle Attacken bekannt sind, müssen nicht lange auf die Rote Karte warten – sie werden erst gar nicht auf den Platz gelassen. Das betrifft alle Spieler der Vereine FC Zaudern, VfB Zweifel oder VfL Nestbeschmutzung.29

      ∎ Konsequent zirkuläre Spielweise.

      Beim Konstruieren von Trends geht es zu wie ehedem beim Schalker Kreisel: Der Ball wird so in der Runde gespielt, dass keine Möglichkeit besteht reinzugrätschen. Kritikaster kommen immer zu spät. Der Trend bestätigt sich selbst und die Zukunft kommt da raus, wo sie angestoßen wurde. Logik-Experten nennen so etwas Zirkelschluss.

      Der Kodex am Beispiel

      Beispiel Kreative Klasse: Wer versucht nachzufragen, wie denn um alles in der Welt ganz Deutschland durch eine Handvoll digitaler Berliner Nerds zum Kreativsein angeschubst werden soll, dem wird entgegengehalten, dass laut Trendvoraussetzung eben jeder schöpferisch sei und somit flächendeckender Einfallsreichtum überhaupt kein Problem darstelle! Wenn alle kreativ sind, sind alle »Ent-Äußerungen« per se ideenreiche Handlungen.