Friederike Müller-Friemauth

No such Future


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nur die Fantasie, eröffnet nicht nur einfach Perspektiven – sondern erhöht vor allem die Wahrscheinlichkeit, dass die Hälfte der (Entscheidungs-)Arbeit, die getan werden muss, bereits gemacht ist, bevor die Weissagung überhaupt erfolgt.11 (Der Glaube versetzt bekanntlich Berge. Und ein roter Bulle verleiht Flügel …)

      »Die haben den Blick für Orte, wo man sich die Seele hängen und baumeln lassen kann.«

      GERHARD DELLING

      Das ist nur auf den ersten Blick banal. Jeder Unternehmer, jeder Entscheider hatte doch schon mal mit Beratern zu tun. Und am Ende hinterließen diese dicke Aktenordner mit perfekten Vorschlägen für die optimale Performance des Unternehmens. Aus Zeitmangel ging der Papierstapel dann aus der Hand des Chefs an die Planungsleitung. Danach zum zuständigen Abteilungsleiter. Und so weiter, bis die Akten letztlich vom Hausmeister im Keller archiviert wurden. Asche zu Asche, Staub …

      Kanns das gewesen sein mit den guten Ideen für die Zukunft? Diese Form der Beratung hat eine zentrale Pointe von unternehmerisch bedeutsamer Zukunftsvorsorge nicht verstanden:

      Wenn die Zukunftsexpertise »von außen« oder »oben« wie der Heilige Geist auf das Unternehmen herniederkommt, darf es sich nicht wundern, wenn diese Expertise mit ihm nicht viel zu tun hat. Kaum trifft. Nicht relevant ist. Beliebig wirkt. Viel zu unkonkret ist. Und richtigerweise lieber im Keller sein Unwesen treibt als in den oberen Unternehmensetagen.

      Zeitgemäße, nutzbringende Zukunftsforschung hat hier also Alternativen zu bieten; zum Beispiel die Entscheider entscheidend miteinzubeziehen. Die Entscheider entscheidend (mit-)denken zu lassen. Die Entscheider entscheidend ihr Wissen und ihre Erfahrung zur Grundlage des Ganzen machen zu lassen. Denn nur die, die auf einem sicheren Fundament bauen, das sie gut kennen – vielleicht sogar selbst gelegt haben –, kommen auch hoch hinaus.

      Frontalunterricht oder perfekte Ratschläge?

      Forget it!

      Bevor wir aber zum Selbstdenken kommen, schauen wir uns zunächst die »Denke« und die »Ressourcen« an, die derzeit die Arenen beherrschen.

      Spiel-Philosophie: Mia San Mia!

      Betriebswirtschaftslehre und Zukunftsforschung

      Denkmuster der Old Economy

      Hier gehts ums Ganze. Um Hehres. Ums Ball-Hochhalten! Um das, was die Spitzen der wirtschaftlichen Hierarchie, die Top Level Accounts, als ihr ureigenes Spielfeld reklamieren. Vor allem aber um das auf diesem Heiligen Rasen gepflegte Denkmodell: das angeblich allein selig machende Konzept zur Erfassung der ökonomischen Nachtreterei.

      In diesem Unterkapitel lesen Sie,

      ∎ wie sich die Betriebswirtschaft (fast) alles erklärt,

      ∎ welches Team dafür Pate steht,

      ∎ was sich für ein (Groß-)Unternehmertum daraus ergibt,

      ∎ was die Zukunftsforschung damit zu tun hat,

      ∎ warum das Doppelpass-Spiel zwischen BWL-gedoptem Management und den Zukunftsforschung vermarktenden Liberos eigentlich niemandem auffällt.

      ∎ Und: Warum es auffallen sollte.

      Betriebswirtschaftslehre: Königsdisziplin des Unternehmertums? Jedenfalls ist es die Profession, auf die sich fast alle unternehmerisch Tätigen der Top-Etagen verlassen, wenn sie glauben, dass es ums Triple-E, das Eingemachte, geht: Erfassen, Entwickeln, Entcheiden. Welche Konzepte stellt der BWL-Grundlagenpool dafür zur Verfügung? Welche Weltanschauung steht dahinter? Und wer kennt die Grundlagen?

      Nur, wer die »Basics« beherrscht, kann beurteilen, ob er dieses Spiel wirklich spielen möchte. Denn wer weiß, dass er zwar mit Schachfiguren oder einem Tischtennisschläger gut umgehen kann, aber zwei linke Füße hat, wird nicht auf den Ascheplatz gehen. Banal? Mitnichten! Oft sind uns die Grundlagen unserer Denkmodelle so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie keiner mehr überprüft. Aber selbst wer sich in Kenntnis der Basics entscheidet mitzuspielen, sollte sich genau überlegen, welche Freiräume und Chancen er im Rahmen dieses Regelwerks hat. Ob ihm diese Vorgaben genügen. Ob sie tauglich sind. Angemessen. Oder vielleicht doch überarbeitungsbedürftig.

      »Das war ja schon son Stück weit ›the return of the Alte System‹.« –

      »Man könnte auch sagen: ›Back to the Wurzeln‹.«

      MATTHIAS OPDENHÖVEL – MEHMET SCHOLL zum Team England bei der EM 2012

      Um das entscheiden zu können, machen wir für Sie den Maulwurf und plaudern das Geheimnis des Trainingslagers der BWLer aus. (Das könnte schweißtreibend werden? Ach wo: Sie kiebitzen ja nur!)

      Betriebswirtschaftslehre

      Seit 1898 gibt es in Deutschland Handelshochschulen, die Betriebswirtschaftslehre in ihrem Programm haben – zur Abgrenzung gegenüber der Volkswirtschaftslehre, die damals in den Ruch der Unternehmerfeindlichkeit geraten war. Während die VWL stets dem Wohlstand der Nationen (Adam Smith) hinterherhechelte und zu wissen vermeinte, dass etwa England Portugal Wein (!) im Austausch gegen Tuch (!) verkaufen sollte (so David Ricardos komparativer Kostenvorteil), wollte die neue Betriebslehren-Mannschaft solch internationalen Schabernack nicht mitspielen.

      Ihr ging es vielmehr um ökonomische Grundlagenfragen (Profitlehre) und Systementwürfe.12 Der Fokus der BWL war und ist bis heute nach innen gerichtet. Sie fragt nach Effizienz, Ergiebigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Unternehmung. Als Ausweis dafür gilt das Input-Output-Verhältnis, also die Relation von Aufwand und Ertrag, die für jeden Betrieb auszurechnen ist. Strikt im Fokus daher: Zahlen, Daten, Fakten. Folglich besetzen Mathematik, Rechnungswesen und Statistik die Stammplätze im BWL-Werksteam.

      Die drei Führungsspieler geben nicht nur die Richtung vor (Erfolg ist das Einzige, was sich rechnet. Für Schönspielerei kann man sich »nichts kaufen«), sondern auch die Sprache aufm Platz: Kosten, Investitionen, Einnahmen, Cashflow, Return on Investment, EBITDA und so weiter. Daran haben sich alle Mitspieler (Buchhalter, Controller u. a.) zu halten – und gewöhnt. Die glorreichen Drei dominieren nämlich mit ihrer Sichtweise das gesamte Team und wirken wie »grüne Gläser vor den Augen« (Immanuel Kant), die alles und jeden mit ihrer Sicht auf das Spiel einfärben. Sie fungieren als gleichmacherischer Wirklichkeitskonstrukteur. Ihr Ansatz verwandelt ganz unterschiedliche, unvergleichbare Positionen (Stürmer, Sechser, Torwart), genauso wie verschiedene Ereignisse (EM in Polen / Ukraine und WM in Katar) durch Kalkulationsmethoden in vergleichbare Kennzahlen – in Geld bezifferbare Größen. Wie Ablösesummen für Spieler oder Schmiergelder für UEFA oder FIFA für die Vergabe von Ereignissen wie Turnier, Championat, Wettkampf. Alles berechenbar! Und letztlich immer das Gleiche. Nämlich? Genau: Zahlen, Daten, Fakten!

      Zukunft aus dem schwarzen Block – FuturICT

      Beinahe wäre das ein neuer Spieler im Kader geworden! FuturICT (Future Information and Communication Technologies) – so der Name eines Forschungsantrags bei der EU mit einem Volumen von über einer Milliarde Euro, der allerdings unberücksichtigt blieb. Nichts weniger als die »Informations- und Kommunikations-Technologie der Zukunft« sollte hier entwickelt werden. Mit der sich das Morgen berechnen, Ungewissheiten begegnen und allen Krisen zuvorkommen lässt. Zumindest, wenn man den Protagonisten des Ganzen glaubt: Statistikern!

      Geplant war ein »Living Earth Simulator« – computeranimiertes Zukunftsbasteln per Großrechner. Das liegt im Trend13: Prognostiziert und berechnet werden sollen nicht nur künftige Wirtschafts- und Unternehmenskennzahlen, Wege von Tiefdruckgebieten oder die Entwicklung von Unfallzahlen, sondern gleich das ganze Weltgeschehen.

      Durch »Data-Mining« wollten die Antragsteller Gesetze und Prozesse sichtbar machen, die unser Zusammenleben auf der Erde bestimmen; Krisen im Frühstadium inklusive. Politische Unruhen und Ausbrüche von Pandemien sähen wir dann früh genug kommen und von politischen Entscheidungen wüssten wir die Folgewirkungen sogar schon vor ihrer Umsetzung.

      Möglich? Zumindest für Statistiker. Quelle sind die Daten der Internet- und Mobilfunknutzung