Anke van Beekhuis

Wettbewerbsvorteil Gender Balance


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manche Menschen eine Art von Unterdrückung dar. Wenn Priester nicht heiraten, Männer nicht Männer lieben dürfen und die Ehe der einzig legitime Weg des Zusammenlebens ist, stellt das aber genauso eine Einschränkung für den einen oder anderen dar.

      Übrigens: Auch der Glaube und die dazugehörigen Richtlinien verändern sich laufend. Nicht immer mussten sich Frauen im Islam verhüllen. Nicht immer war es ihnen verboten, ein Auto zu lenken. Religion ist einfach ein probates Instrument, um Macht über andere auszuüben. Und da an diesen Schalthebeln hauptsächlich Männer sitzen, ist auch die Form der Machtausübung männlich geprägt.

      Aber so einflussreich Religionen auch in den letzten Jahrhunderten waren und vielleicht zum Teil heute noch sind: Es sind nicht mehr allein Gottesgebote, die in erster Linie unsere Stereotype bestimmen. Diese sind vielmehr davon abhängig, welches Verhalten wir selbst als »typisch männlich« oder »typisch weiblich« einschätzen bzw. wie wir diese Verhaltensweisen wahrnehmen und bewerten. Politik, Gesellschaft, Erziehung und Sozialisierung sind dabei die wichtigsten Einflussfaktoren.

      Schauen wir uns ein paar Beispiele an:

      • Der »typische Mann« hat seine Emotionen unter Kontrolle, ist zielstrebig, ehrgeizig und durchsetzungsstark.

      • Die »typische Frau« gilt als emotional, sozial orientiert, sicherheitsbedürftig und intuitiv.

      • Wenn Menschen in fixen Denkmustern verhaftet sind, kann es leicht passieren, dass Begriffe wie »Draufgänger« oder »Schlampe« fallen, weil dann gleiches Verhalten von Mann und Frau unterschiedlich aufgefasst, beurteilt oder auch verurteilt wird.

      • Ein Mann, der auf seinem Recht besteht, gilt als »hartnäckig«. Eine Frau mit dem gleichen Verhalten würden viele als »penetrant« bezeichnen. Er »setzt sich vehement durch«, sie wird »hysterisch«. Oder umgekehrt: Sie ist »sensibel«, er ist »nicht belastbar«.

      Unsere Schubladen dienen dazu, eine Person zu »etikettieren«, um den Aufwand für jedes weitere Denken, Beobachten und Analysieren möglichst gering zu halten. Wir pauschalisieren und werden den individuellen Eigenschaften eines anderen Menschen nicht gerecht. Diese »Typisch-Mann / typisch-Frau«-Attitüde verändert sich jedoch. Frauen haben auf jeden Fall mehr Spielraum als früher und nutzen diesen auch. Sie treten selbstbewusster auf und geben neben der Familie dem Beruf einen größeren Raum als die Generationen davor.

      Ich persönlich finde es ein bisschen schade, dass sich die Rolle der Männer im Vergleich dazu wenig verändert hat. Männer sind zwar als Väter präsenter als früher, aber ansonsten dominiert eher die Verunsicherung darüber, wie sich denn ein »typischer Mann« nun korrekt zu verhalten hat. Geht die Entwicklung in Richtung mehr Einfühlungsvermögen und Sanftmut oder zu einer Überbetonung der »alten« männlichen Paradeeigenschaften? Gender Balance heißt ja nicht nur, dass Frauen sich mehr emanzipieren, sondern auch die andere Seite: nämlich, dass Männer mit der neuen Balance eine Entspanntheit bekommen und ebenfalls neue Rollen einnehmen können. Auf den ersten Blick weist die momentane Situation eher Tendenzen auf, sich zu einer »vermännlichten Gesellschaft« zu entwickeln: Auf der einen Seite starke Frauen, die scheinbar ihren Mann stehen und alles unter einen Hut bekommen. Auf der anderen Seite Männer, die in ihrer Rolle verharren und ihre Pfründe nicht abgeben wollen.

      Zum Schluss dieses ersten Teilkapitels möchte ich Ihnen – wie bei allen anderen Teilkapiteln auch – Denkanstöße geben. Ich nenne sie »Denkanstöße für Helden & Heldinnen«, denn wer Gender Balance versteht und lebt, ist für mich eine Heldin, ein Held! Ich möchte, dass diese Fragen Sie Stück für Stück in die eigene Reflexion führen, dass sie Ihren Arbeitsalltag beeinflussen und Sie so immer mehr zu »Helden & Heldinnen« der Gender Balance werden.

       Denkanstöße für HELDEN & HELDINNEN

       •Welche Rollenbilder und Denkmuster sind Ihnen präsent, und was löst das in Ihrer Umgebung aus?

       •Was würde passieren, wenn jeder Mensch alles tun kann und Entscheidungen nicht danach beurteilt werden, ob sie ein Mann oder eine Frau trifft?

       Klar mögen wir Frauen – aber Helden sind uns lieber

      Ich stelle mir oft die Frage, ob Stereotype über Männer und Frauen auch noch in 30 Jahren existieren werden oder ob tatsächlich eine »Gleichheit« möglich sein wird. Dass es sinnvoll ist, in Unternehmen eine Gender Balance anzustreben, ist hingegen keine offene Frage mehr: Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die unterschiedlichen Herangehensweisen der beiden Geschlechter eine größere Vielfalt an Lösungsansätzen hervorbringen. Wie das in der Praxis funktioniert, erlebe ich tagtäglich in meiner Tätigkeit als Organisationsberaterin. Vor allem bin ich fest davon überzeugt, dass in einem harmonischen, ausbalancierten Miteinander spektakuläre neue Unternehmenserfolge möglich sind.

      Wenn sich Unternehmen erst einmal für den Gedanken erwärmt haben, das Potenzial von Gender Balance zu nützen, ist es immer wieder spannend, wie sich die handelnden Personen den Weg dorthin vorstellen. Männer begeistern sich zumeist für den Begriff »Empowerment« – wobei dieser meistens so ausgelegt wird, dass die weibliche Belegschaft lediglich motiviert werden muss, sich in den bestehenden Strukturen zurechtzufinden. (»Na, dann bringen Sie einmal unseren Frauen bei, wie man in unserem System in eine Führungsposition kommt. Dann wird das schon klappen mit der Quote.«) Die Erinnerung an ein derartiges Gespräch führt mich zurück in eine Zeit, in der in der Wiener Stadtpolitik die sogenannte 50-50-Regel ausgerufen wurde. Sprich: Die Geschlechterausgewogenheit sollte damals in Windeseile herbeiverordnet werden. Trotz dieses frischen Winds für die Gleichberechtigung dachten einige Frauen durchaus kritisch über diese Maßnahmen. Zum Beispiel ein weibliches Vorstandsmitglied: »Glauben Sie, mein Weg an die Spitze war leicht? Da muss man als Frau durch – und zwar ohne Sonderbehandlung. Erst dann ist man fähig, sich mit Männern zu messen und das System zu begreifen.« Starke Frauen, die es in diesem System bereits »nach oben« geschafft haben, fordern wie in diesem Fall die »harte Tour«, da sie der Meinung sind, dass man mit typischen weiblichen Verhaltensweisen nicht vorankommt.

      Mir ist dieser Dialog deswegen so in Erinnerung geblieben, weil es mich frappant an meine Zeit als junge Technikerin erinnert hat. Die Straße zum Erfolg wurde als steiniger Weg gesehen, auf dem man sich hochzudienen hatte. Ein Beispiel von damals: Sagt der Obermonteur zum Lehrling: »Jetzt wirst du einmal zwei Jahre lang brav das Mittagessen holen und dich auf der Baustelle beweisen. Und wenn du es dann einmal geschafft hast, ein Rohr zu schweißen, wirst du irgendwann ein guter Arbeiter.« Sprich: Nur durch Härte kommen die Besten zum Vorschein. Die Praxis zeigt natürlich, dass ein ganz anderer Ansatz viel eher zum Ziel führt. Jene Lehrlinge, die von Anfang an aktiv unterstützt wurden, denen vertraut und einiges zugetraut wurde, waren jene, die am meisten und schnellsten lernten. Sie waren lange vor Abschluss ihrer Lehrzeit eigenverantwortlich tätig und leisteten einen wichtigen Beitrag zum Projekterfolg.

       Antworten aus der Praxis

      Das Schöne an meiner heutigen Tätigkeit ist, dass ich täglich Gelegenheit dazu habe, Theorie und Praxis zu vergleichen: Ich teste Menschen, warum sie sich wie verhalten. So wurde ich von einem Unternehmen aus der Baubranche mit mehr als 1000 MitarbeiterInnen gebeten zu analysieren, warum nicht mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Dazu befragte ich rund 300 Personen in Deutschland, Österreich und der Schweiz schriftlich und teilweise mündlich. Es handelte sich um Männer und Frauen in Führungspositionen, High Potentials, die sich für künftige Führungsaufgaben empfohlen hatten. Die Ergebnisse waren überraschend, weil sie sowohl von Männern als auch von Frauen angegeben wurden: Frauen seien in höheren Managementebenen nur willkommen, solange sie keine Kinder bekommen und so agieren wie Männer. Frauen wie Männer waren also der festen Überzeugung, dass Menschen nur dann Karriere machen können, wenn sie aggressiv, machthungrig, mutig, sachlich (nur ja nicht zu emotional!), durchsetzungsfähig und entschlossen sind. Als hinderlich für eine weibliche Karriere wurde (wiederum von beiden Geschlechtern) angesehen, wenn Frauen empathisch, emotional, kommunikativ