Paul Williams

Die Illusion der Unbesiegbarkeit


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alt="image"/> »Die Vision von Amnesty ist eine Welt, in der die Menschenrechte gleichermaßen für alle Menschen gelten.«

       image »Einen besseren Alltag für die vielen Menschen schaffen, das ist die IKEA Vision.«

       image »Syngenta: Using Innovation to Feed the World.«

       image »Wir wollen das ethischste und nachhaltigste globale Unternehmen der Welt sein.« (The Body Shop)

       image »Das Ziel von Google ist es, die Informationen der Welt zu organisieren und für alle zu jeder Zeit zugänglich und nutzbar zu machen.«

       image »To become the world’s most loved, most flown and most profitable airline« (Southwest Airlines) 9

      Simon Sinek, ein erfolgreicher TED-Talk-Sprecher, Autor und Unternehmensberater, weist in diesem Zusammenhang auf den »Start with why«-Effekt hin.10 Während fast jeder weiß, was Unternehmen machen, und einige wissen, wie Unternehmen Dinge tun, wird selten erklärt, warum. Die meisten Visionen bleiben auf der »What we do«-Sachebene hängen, wie weiter oben aufgezeigt. Deshalb sind sie so langweilig und trocken. Visionen mit »Why«-Botschaften inspirieren, sie erklären den Sinn und die wirkliche Vision. Eine kindergerechte Welt, einen besseren Alltag schaffen, Informationen jedem und jederzeit zugänglich machen usw. Managementvordenker Jim Collins spricht bildhaft von »Big Hairy Audacious Goals (BHAG)« statt von Visionen – von einem kühnen, herausfordernden (»haarigen«) Fernziel als inspirierenden »Mount Everest«, den das Unternehmen in den nächsten zehn bis dreißig Jahren besteigen will.11 Gute BHAGs – gesprochen wie das englische »Bee Hags« – sind Fortschrittstreiber, keine bloßen Marketingfloskeln. Die Messlatte liegt also hoch, und so überrascht es nicht, dass wirklich zündende Visionen trotz der allgegenwärtigen Visionsinflation selten sind. Eine gute Vision wird zudem eher »entdeckt« als postuliert. Weil das so schwierig ist, greifen viele Unternehmen nach Wachstumsmärkten wie nach einem rettenden Strohhalm. Das ist einfach, kann aber verheerende Folgen haben. Nicht nur bei den Incas.

      Warum Marktanteile keine Vision sind

      Wollen Sie »die Nummer Eins« in Ihrer Branche werden? Ihr Ehrgeiz in allen Ehren, aber überlegen Sie zweimal, ob dies ein taugliches Fernziel ist. Und seien Sie auf der Hut, wenn Ihr Topmanagement mit dieser Formel liebäugelt. Vielleicht stünde VW heute nicht im juristischen Dauerfeuer, hätte CEO Martin Winterkorn nicht die Parole ausgegeben, bis 2018 Toyota vom Spitzenplatz als größten Autobauer der Welt zu verdrängen.12 Eine funktionierende Vision prägt das Verhalten der Mitarbeiter – und extremer Ehrgeiz lenkt es womöglich in die falsche Richtung. Gäbe es den Abgasskandal mit »Schummel-Software« in VW-Fahrzeugen auch, hätte man nicht um jeden Preis auf dem US-Markt punkten und dabei ebenso ehrgeizige Kostenziele einhalten wollen? Wäre die Deutsche Bank auch dann von Investmentbankern mit Zockermentalität gekapert worden, hätte sie nicht (wie viele andere Banken Ende der Neunzigerjahre) auf Teufel komm heraus zum Global Player aufsteigen wollen? Hätte das Inca-Reich den Spaniern mehr entgegensetzen können, wenn die jahrzehntelange extreme Expansion rechtzeitig in eine interne Konsolidierung übergegangen wäre? Auch die folgende Erfahrung untermauert die Fragwürdigkeit von Number-One-Zielen.

       »Vision 2015« oder: Wie man Fehlinvestitionen provoziert

      Schauplatz: ein süddeutsches Maschinenbauunternehmen Anfang des neuen Millenniums. Verkündet wird die »Vision 2015«, die eine groß angelegte Transformation mit Tausenden Mitarbeitern und Milliardenumsätzen einläuten soll: In weniger als zwei Jahrzehnten soll ein strategisch zentraler Unternehmensbereich wieder zu den Top Five der Welt gehören. Im letzten Jahrzehnt ist man aus den Top Five auf Platz 16 gefallen, also scheint die Vision eine absolut legitime und strategisch richtige Ausrichtung. In vielen Meetings und Workshops wird sie weltweit ins Unternehmen getragen und mit großen Zielen verbunden. Warum ist sie trotzdem gescheitert, obwohl im Vorfeld so viel in die neue Leitidee investiert wurde und so viele Mitarbeiter sie zunächst begeistert aufnahmen und lange mittrugen? Vier Gründe, die sich nahtlos auf andere Unternehmen übertragen lassen:

       1. Die Rückendeckung des Konzernvorstandes fehlte.

      Ohne die Übernahme mindestens eines anderen größeren Konkurrenzunternehmens war das Ziel »Top Five« nicht zu erreichen. M & A-Aktivitäten wurden jedoch vom Konzernvorstand nicht unterstützt. Das wiederum führte zu Frust im Topmanagement des Unternehmensbereichs, in dem viele Versuche gestartet wurden, Akquise-Gespräche mit Übernahmekandidaten zu führen. All diese Vorstöße wurden im Vorstand geblockt, zahllose Firmenanalysen von Mittelmanagern und Arbeitsstunden waren umsonst. Zudem war die Skepsis und Ablehnung des Konzernchefs gegenüber der Vision des Teilkonzerns geradezu physisch spürbar. Obwohl die Vision abgestimmt war, strafte er die Kollegen in Meetings mit Verachtung.

       2. Das Gesamtziel war überzogen.

      Die extrem ambitionierte Zielmarke führte in vielen Fällen zu visionsgerechtem, aber nicht verhältnismäßigem Handeln von Mitarbeitern, Führungskräften und Organisationseinheiten, in der Annahme, dass alles geht, was Wachstum bzw. Marktanteile schafft. Resultat waren unter anderem Absurditäten und Non-Core-M & A-Aktivitäten in Emerging Markets, die mit Begeisterung genehmigt wurden. So wurde auf den Philippinen ein lokales Unternehmen übernommen, ohne dass es eine globale (oder wenigstens regionale) Integrationsstrategie gab, und in Kolumbien beteiligte man sich mit vergleichsweise viel Geld an einer neu gegründete Distributionsfirma. Unser Interviewpartner war als junger Manager direkt beteiligt und musste gleichzeitig die Auseinandersetzung mit Konzerneinheiten aufnehmen, die den Aktivitäten (im Nachhinein beurteilt vielleicht zu Recht) mehr als skeptisch gegenüberstanden. Gleiches spielte sich in anderen Märkten ab.

       3. Die Diskussion der Vision wurde auf weiche Faktoren reduziert.

      In Visions-Workshops fokussierte man vor allem auf Werte, Teamarbeit und den Umgang miteinander, ohne härtere Faktoren wie Leistung und konkrete Umsetzung ins Visier zu nehmen. Viele Teilnehmer verstanden dies als »Kuschelkurs« und als Freibrief für eigene Aktivitäten – siehe Punkt 2.

       4. Die Vermittlung der Vision an die Basis wurde delegiert.

      Jüngere Manager wurden zu »Vision Coaches« erklärt. Sie sollten die Vision in die einzelnen Abteilungen und Bereiche tragen. Negative Folge war, dass sich viele Mittelmanager nicht in der Pflicht sahen, sich selbst mit der Vision und den damit verbundenen Veränderungen auseinanderzusetzen. Das schwächte die Akzeptanz des ganzen Projekts.

      Im Umkehrschluss lassen sich aus diesem Fallbeispiel Faustregeln für den Umgang mit Unternehmensvisionen ableiten:

      1.Vermeiden Sie reine Zahlen-Ziele. Sie riskieren Fehlverhalten, weil Mitarbeiter unter dem Diktat einer Zahl nicht mehr das (sachlich, rechtlich, moralisch) Beste tun, sondern das, was dem Erreichen der Zahl dient.

      2.Geben Sie keine Parolen aus, hinter denen das Topmanagement nicht wirklich steht.

      3.Wenn Sie eine Vision formulieren, nehmen Sie sie als Richtschnur täglichen Handelns ernst und diskutieren Sie die sachlichen Konsequenzen: Was bedeutet es ganz konkret, sich diesem Ziel verpflichtet zu fühlen?

      4.Sorgen Sie dafür, dass die Vision wirklich im Unternehmen ankommt und nicht als motivatorischer Zuckerguss missverstanden wird. Dies schließt Mittelmanager, Abteilungsleiter, Teamleiter