Ralf Schmitt

Kill dein Kaninchen!


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      In den Ergebnissen der Studie aus dem Jahr 2016 sind besonders zwei Tendenzen zu beobachten:

      1. Die Ängste der Menschen hierzulande werden immer stärker

      Die Studie wurde bereits zum 25. Mal durchgeführt und noch nie waren die Werte so hoch wie heute. In allen Bundesländern nehmen die Ängste der Menschen zu. Hessen liegt mit zurzeit 59 Prozent an der Spitze, dicht gefolgt von Sachsen-Anhalt mit 55 Prozent. In Berlin haben die Menschen mit 40 Prozent am wenigsten Angst. Vielleicht liegt die generelle Gelassenheit der Berliner darin begründet, dass Zuwanderung und Integration dort schon lange Themen sind, mit denen man sich vonseiten der Politik und besonders vonseiten der Bevölkerung beschäftigt. Kein Ort in Deutschland ist multikultureller, keiner vielseitiger, und zumindest aktuell bewegt sich auch keiner im selben Tempo, in dem sich die Hauptstadt dreht. Die Berliner sind es also gewohnt, dass sich permanent etwas verändert, dass man in den Straßen einiger Stadtteile mehr Fremdsprachen als Deutsch hört und dass viele sich eher von Touristen als von Zuwanderern gestört fühlen.

      2. Die Menschen in Ost und West haben dieselben Ängste

      Eine Erkenntnis der Studie hat uns ziemlich überrascht: Die Top 6 der Ängste der Deutschen sind im Osten dieselben wie im Westen. Angeführt wird die Liste von der Angst vor Terrorismus. In ganz Deutschland fürchten sich 73 Prozent davor. Nahe dran liegt die Angst vor politischem Extremismus (68 Prozent) und vor Spannungen durch den Zuzug von Ausländern (67 Prozent). Weiterhin spielen die Überforderung von Behörden und Bürgern durch Asylbewerber (66 Prozent) und die Überforderung von Politikern (65 Prozent) eine große Rolle. Die Menschen sind aber auch über die Kosten, die durch die EU-Schuldenkrise verursacht werden (65 Prozent), beunruhigt. Die Angst vor Naturkatastrophen, die in der Studie aus dem Jahr 2015 noch ganz an der Spitze stand, ist 2016 nicht einmal mehr in den Top 7 zu finden, die deutschlandweit zusammengefasst wurden.

      KURZ GEFASST: DIE ÄNGSTE DER DEUTSCHEN

      Noch nie hatten die Deutschen so viele Ängste wie zurzeit. Diese Ängste verändern sich – abhängig von aktuellen Ereignissen. Momentan ist besonders die Angst vor Terrorismus sehr hoch. Dahingegen hat sich die Angst vor Naturkatastrophen, die in der Vorjahresstudie noch ganz oben stand, beinahe in Luft aufgelöst.

      German Angst – die geerbte Angst

      Aufgrund der aktuellen Studie könnte man das, was man uns Deutschen bereits seit längerer Zeit nachsagt, bestätigt sehen. Viele denken, wir seien ein Volk der Angsthasen: Für uns hat man international sogar den Begriff »German Angst« kreiert, der eine unbegründete Angst oder Besorgtheit – besonders vor dem Verlust des eigenen Lebensstandards – ausdrücken soll.

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      Das Volk der Angsthasen?!

      Aber was genau steckt hinter der German Angst? Wir Deutschen gelten als zögerlich, weil wir die Konsequenzen unseres Handels fürchten. Angeblich liegt die typisch deutsche Zögerlichkeit darin begründet, dass wir Angst davor hätten, unseren Lebensstandard zu verlieren. Deshalb würden wir uns auch nichts trauen. Kurzum: Man macht sich gerne ein bisschen lustig über unser »zitterndes« Volk, das in den Augen vieler doch eher im »Paradies« lebt, also von allem genug hat und sich im Grunde nicht beschweren kann. Zumindest gilt das für die meisten Deutschen. Unser Lebensstandard ist hoch und die Arbeitslosigkeit gering. Tatsächlich haben wir laut der Bundesagentur für Arbeit im Oktober 2017 mit 3,6 Prozent eine ziemlich niedrige Arbeitslosenquote.7 Im Vergleich: Die Arbeitslosenquote in Spanien lag durchschnittlich bei 16,7 Prozent und der EU-Schnitt belief sich auf 7,4 Prozent.8 Außerdem stieg unser Wirtschaftswachstum 2016 – gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) und entgegen den Erwartungen – wieder um starke 1,9 Prozent.9 2015 lag es bereits 1,7 Prozent höher als im Vorjahr. Ist die German Angst also eine Tatsache? Machen wir uns wirklich grundlos Sorgen um unser Hab und Gut?

      Sehen wir es zunächst einmal positiv: Wer Angst um seinen Wohlstand und seinen Besitz hat, der hat etwas zu verlieren. Wer nichts hat, braucht sich auch keine Sorgen zu machen. Das heißt aber noch lange nicht, dass die German Angst berechtigt ist. Schauen wir doch in eine Zeit zurück, in der sie besonders stark ausgeprägt war. Als Mitte der 1950er-Jahre Gastarbeiter nach Deutschland kamen, war die Feindseligkeit groß und ebenso die Angst, dass sie den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen könnten und sich ihre Kultur mit unserer vermischen würde. Tatsächlich haben die Gastarbeiter jedoch zum deutschen Wirtschaftswunder beigetragen und wir haben alle profitiert.

      Blicken wir einmal kurz auf unsere persönlichen Erinnerungen:

      Wir haben beide ähnliche Erfahrungen mit der, nennen wir sie mal »Ängstlichkeit« gemacht. Wir beide sind auf dem Land groß geworden, in Regionen in Süddeutschland, die stark für Traditionsbewusstsein stehen. Beide sind wir schon im Alter von ungefähr 20 in die Großstadt »geflüchtet«. Beide mussten wir Sätze wie »Hast du dir das gut überlegt?« und »Was da alles passieren kann!« von vielen Seiten hören – sei es von der eigenen Verwandtschaft oder auch von Freunden und Bekannten. Die meisten hielten uns für Spinner, die sowieso bald wieder in den Schoß des Bekannten zurückkehren würden. Außerdem war die Sorge darum, welchen Gefahren und Risiken wir in der Großstadt ausgesetzt wären, viel größer und wurde häufiger kommuniziert als die Freude darüber, dass wir uns dazu entschieden hatten, einen neuen Weg zu gehen. Solche Aussagen können einen ganz schön blockieren, wenn man selbst auch noch ein bisschen unsicher ist. Doch der jugendliche Tatendrang und der Wunsch nach Veränderung und dem Ausbruch aus alten Zwängen hat überwogen. Wir haben diese Entscheidung beide nicht bereut.

      Wir sind nicht alleine

      Wenn wir genauer hinschauen, sind wir nicht das einzige Volk, das von Ängsten geplagt wird. Die Medien sprechen inzwischen auch von der »British Angst«. Lange nicht alle Britten sind so optimistisch wie ihr Außenminister Boris Johnson, der überzeugt ist: »Britain has a fantastic future ahead of it!«10 Auf Deutsch: »Großbritannien hat eine fantastische Zukunft vor sich!« Beispielsweise haben sich die Schotten mehrheitlich gegen das Verlassen der EU ausgesprochen. Zudem pfiffen und sangen die Parlamentarier der schottischen SNP-Partei die europäische Hymne, während im Februar 2017 in Sachen Brexit im britischen Unterhaus abgestimmt wurde. Da ist ordentlich was los, wenn die Briten tagen. Wir können uns nicht einmal an EINE ähnliche Aktion aus dem deutschen Bundestag erinnern, wenn die Parlamentarier sich uneinig waren.

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      Der Schock sitzt tief!

      Gerade die jüngere Generation in Großbritannien und Menschen, die grenzübergreifend arbeiten, stehen wegen des Brexits noch unter Schock. Von den großen Wirtschaftsunternehmen, die auf den gegenseitigen Handel angewiesen sind, wollen wir gar nicht erst anfangen. In unserem Umfeld sind es besonders Musiker und weitere Leute aus der Kreativbranche, bei denen eine Abkehr Großbritanniens von Europa Panik und Unverständnis auslöst. Eine befreundete britische Musikerin schrieb uns: »In einem Land zu leben, dass die Errungenschaften, die wir uns über die letzten Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben, einfach wegwirft, ist schlichtweg frustrierend. Ich überlege, ob ich nicht lieber nach Berlin ziehen soll, falls das in ein paar Jahren überhaupt noch möglich ist.« Auch viele deutsche Freunde, die in Großbritannien leben, möchten lieber heute als morgen zurück nach Deutschland. Einige sind sogar bereits zurückgekehrt.

      »Die Zeit« überschrieb einen Artikel im November 2016 mit »American Angst« und der Autor Bernd Ulrich sagt: »Wer in diesen Monaten in den USA mit gewöhnlichen Menschen spricht, der trifft nicht nur auf Wut und Feindschaft, der findet nicht nur eine gespaltene Gesellschaft vor, viel beunruhigender sind die Gemeinsamkeiten. Ob Trump-Wähler, Sanders-Fans oder Clinton-Unterstützer – außerhalb der Wahlkampfveranstaltungen sind sie