meiner Arbeitsstelle suche. Die leere Schale spüle ich anschließend ab aus und wische über die Anrichten, ehe ich in meinen schwarzen Wollmantel schlüpfe und meine Coach-Tasche – ein Geschenk meiner Eltern zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag – sowie meine Schlüssel schnappe. Da ich nicht in der Stimmung für eine Fahrt mit der Bahn bin, nehme ich mir ein Taxi zur Arbeit.
Kurz vor acht betrete ich den an der Madison Avenue gelegenen Beautysalon und schließe die Tür hinter mir ab. Palo, der Besitzer, wird erst in ein bis zwei Stunden hier sein, je nachdem, wie sein Terminkalender aussieht. Alle anderen kommen ebenfalls erst, kurz bevor wir öffnen. Vor zwei Monaten hat Palo mich zur Assistent Managerin befördert und jetzt ist es mein Job, morgens alles vorzubereiten; dazu gehört, die Waxing-Utensilien bereitzustellen, sicherzugehen, dass alle Produkte aufgefüllt sind, und die Reinigungsleute reinzulassen. Palos Salon ist einer der bestbewerteten in der Stadt und das nicht nur, weil hier einige der talentiertesten Leute unserer Branche arbeiten, sondern auch, weil der ganze Laden unglaublichen Luxus ausstrahlt. Noch ehe man den Salon betritt, weiß man, dass man einen erstklassigen Service geboten bekommt ... Allein schon wegen der Lage an der Madison Avenue. Er besticht auch durch die offene Gestaltung, wodurch die Kundinnen von den schwarzen Ledersofas im Eingangsbereich aus dabei zusehen können, wie andere ihre Haare und ihr Make-up gemacht bekommen.
Für den Make-up-Bereich bin ich zuständig, daneben gibt es noch sechs Stylingbereiche. Alle sind mit weißen Lederstühlen ausgestattet, die vor gläsernen Wandregalen und einer Reihe schwarz gerahmter Standspiegel stehen. An den Wänden hängen keine Gemälde. Wer braucht schon Kunstwerke, wenn man selbst welche erschafft? Das ist zumindest Palos Motto. Ich wiederum fände es toll, hier und da ein paar Farbakzente zu haben.
Gleich nach meinem Abschluss an der Aveda – die meiner Meinung nach eine der besten Kosmetikschulen der Welt ist – habe ich bei Palo angefangen. Das war vor drei Jahren. Eigentlich war es mein Ziel, als Theatervisagistin am Broadway zu arbeiten oder bei einer der Morgenshows, die in New York City aufgezeichnet werden. Doch seit ich hier im Beautysalon angefangen habe, habe ich nicht einmal versucht, einen meiner beiden Träume in die Tat umzusetzen; ehrlich gesagt, bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich den Rest meines Lebens Make-up und Haare machen möchte. Lange war ich davon überzeugt, es ewig zu lieben, Stylistin zu sein, weil ich mich supergern mit Make-up und Haaren beschäftige. Aber jetzt ... jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ich mag meinen Job. Ich bin gut darin, verdiene gutes Geld und habe im Laufe der Zeit einige tolle Freundschaften geschlossen, aber ich fühle mich nicht mehr erfüllt. Irgendetwas vermisse ich, habe aber zu viel Angst, herauszufinden, was es ist.
Diese deprimierende Erkenntnis beiseiteschiebend, gehe ich über den Marmorboden ins Büro, ziehe meinen Mantel aus und verstaue meine Handtasche, ehe ich mich einstemple und an die Arbeit mache.
Neun Stunden später habe ich müde Füße, mir tut mein Kopf weh wegen der Haarprodukte, die ich den ganzen Tag eingeatmet habe, und mir knurrt der Magen, weil ich noch keine Zeit hatte, etwas zu essen.
Das Krankenhaus betretend, versuche ich mich darauf zu konzentrieren, eine Nachricht an Fawn zu verfassen, um unser Treffen nachher zu bestätigen. Meine Schwestern und ich wollen zu einer Kunstausstellung in SoHo, wo eines der Werke von einem ihrer Freunde ausgestellt wird. Nicht gerade etwas, worauf ich mich nach einem so langen Tag freue, aber ich vermisse die zwei. Wieder einmal Zeit mit ihnen verbringen zu können, ist dieses kleine Übel wert.
Ich nehme den Aufzug in die dritte Etage und folge der Wegbeschreibung, die mir die Rezeptionistin am Empfang genannt hat. Bei jedem Schritt klackern meine Absätze auf dem Boden und das Geräusch wird von den Wänden des Gangs widergehallt. Die richtige Zimmernummer suchend, rücke ich meine Handtasche auf meiner Schulter und den großen Blumenstrauß aus Lilien und Rosen in meinem Arm zurecht, bis ich schließlich endlich die richtige Tür finde. Noch einmal nestle ich an dem Strauß, ehe ich nach der Türklinke greife. Doch just in diesem Moment schwingt die Tür auf. Über die Blumen hinweg blicke ich in ein vertrautes Paar brauner Augen. Mein Herz beginnt sofort zu rasen.
»Prinzessin«, begrüßt mich Antonio, die Stimme rau und sein Spitzname für mich dämlich wie eh und je. Ganz nah an mich herantretend, zwingt er mich, ein Stück zurückzuweichen, um mich nicht an seinen Körper gepresst wiederzufinden – etwas, wovon ich absolut nicht heimlich träume.
Als ich ein paar Schritte zurück in den Korridor gemacht habe, schließt er die Zimmertür hinter sich. Mit verschränkten Armen baut er sich vor mir auf, und ich senke die Blumen ein kleines Stück, damit ich ihn ansehen kann. Nicht zum ersten Mal wünsche ich mir, ihm mittels magischer Kräfte ein groteskes Aussehen verpassen zu können. Doch leider fehlen mir solche Fähigkeiten, wodurch er weiterhin unverschämt gut aussieht. Und natürlich jedes Mal, wenn ich ihn sehe, noch einen Deut besser als zuvor. Sein dunkles Haar ist leger gestylt und wirkt, als wäre er eben erst mit den Fingern hindurchgefahren, und sein olivfarbener Teint ist nicht das Ergebnis sonnengeküsster Haut, sondern ein Geschenk des italienischen Bluts, das in seinen Adern fließt. Zudem sehen seine Wangenknochen wie gemeißelt aus, er hat ein markantes Kinn, volle Lippen und dunkle Augen, die von einem dichten Wimpernkranz umrahmt werden. Und zu guter Letzt wäre da noch sein Körper – groß, schlank und muskulös. Ich hasse ihn ... zumindest wünschte ich, ihn zu hassen.
»Dad darf keine Blumen bekommen«, sagt Antonio mit Blick auf den Strauß in meinen Armen.
Mein Magen rutscht mir in die Kniekehlen. »W-was?«
»Er darf keine Blumen bekommen. Er wurde gerade erst operiert und die Ärzte wollen nicht, dass er welche im Zimmer hat.«
»Oh.« Ich sehe von ihm zu den Blüten und Enttäuschung macht sich in mir breit. Ich hätte fragen sollen, bevor ich sie gekauft habe, aber ich dachte, dass jeder, der in einem kalten, sterilen Krankenhaus liegt, einen solchen Strauß verdient hat. »Ich ...«
»Ich nehme sie mit nach Hause«, unterbricht er mich. Ein Hauch von Bedauern scheint für einen Moment in seinen Augen aufzublitzen. Aber ich weiß, dass ich mir das nur einbilde. Er ist nie, aber auch wirklich niemals nett zu mir. Warum sollte es ihm also jetzt leidtun, dass er unfreundlich war? »Mom wird sich über den Strauß freuen, wenn sie nach Hause kommt.«
Er hat recht. Martina liebt Blumen jeder Art. Das weiß ich, weil ihr Haus zwar keinen großen Garten hat, sie aber jedes Frühjahr die Hängekästen vor ihren Fenstern und die großen Terrakottatöpfe vor der Haustür bepflanzt. Sogar vor der Pizzeria hat sie große Tongefäße aufgestellt, ganz in der Nähe der Straße, in denen in anderen Gegenden jede Menge Müll von Passanten landen würde, aber nicht bei ihnen.
»Danke.« Ich beiße mir auf die Lippen und strecke ihm den Strauß entgegen. Sein Blick senkt sich auf meinen Mund und ein verärgerter Ausdruck tritt in seine Augen. Seine angepissten Blicke überraschen mich schon lange nicht mehr. Während ich mich nach ihm verzehre und mir wünschte, ihn nicht ausstehen zu können, ist er verdammt gut darin, mich tatsächlich zu hassen. Keine Ahnung, was ich getan habe, dass er mich so wenig leiden kann, aber es lässt sich nicht leugnen, dass ihm aber auch nichts an mir gewogen ist. Als würde er jedes meiner Haare einzeln verabscheuen.
»Gehst du nun rein und besuchst ihn?«
»Ja«, sage ich, bewege mich jedoch keinen Zentimeter. Denn Antonio wirkt müde, wenn nicht sogar erschöpft. Ich kann sehen, dass er versucht, sich zusammenzureißen und für seine Eltern stark zu sein. »Geht es dir gut?«, frage ich leise, einen Schritt auf ihn zu machend. Ohne darüber nachzudenken, berühre ich seinen Oberarm. Sein Blick wandert zu meinen Fingern, ehe er mir wieder in die Augen sieht. Als ich den Ausdruck in ihnen entdecke, lasse ich rasch meine Hand sinken und bereite mich innerlich auf das vor, was er gleich sagen wird. Zum Glück, denn seine nächsten Worte fühlen sich an wie ein Schlag in die Magengrube.
»Mein Dad hatte einen Herzinfarkt, er wurde operiert, er kann nicht arbeiten, ich muss die Pizzeria schmeißen und meine Mom ist völlig durch den Wind. Wie soll es mir da deiner Meinung nach gehen?«, erwidert er aufgebracht.
Ich trete einen Schritt zurück und atme