das Brennen der aufsteigenden Tränen an, »bist du immer so ein Arsch zu mir?« Als er den Mund zur Antwort öffnet, halte ich eine Hand hoch. »Vergiss es. Ist egal.« Ich drehe mich von ihm weg, umfasse die Klinke und drücke sie hinunter. Dann betrete ich, ohne zu klopfen, das Krankenzimmer und lasse die Tür hinter mir leise ins Schloss fallen.
Bei dem Anblick, der sich mir bietet, zieht sich mein Magen zusammen. Tony liegt schlafend in seinem Krankenhausbett und sieht bleich und ausgemergelt aus. Martina sitzt neben seinem Bett, hält mit gesenktem Kopf seine Hand, die Augen geschlossen. Die beiden so zu sehen, zerreißt mir fast das Herz.
»Cara.«
Martinas Stimme reißt mich aus meiner Starre und ich sehe sie an. »Hi«, begrüße ich sie, berühre ihre Schulter und gebe ihr einen Kuss auf die Wange.
»Cara«, wiederholt sie das italienische Wort für Schatz, und meine Augen fangen wieder an zu brennen. Der Schmerz in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.
»Wie geht es dir?«, frage ich und richte mich wieder auf, um sie anzusehen.
Sie schließt die Augen und schüttelt den Kopf. Dann wandert ihr Blick zu Tony, der immer noch schläft.
»Die Ärzte sagen, er wird wieder, von daher halte ich durch.«
Ein schmerzhafter Stich durchfährt meine Brust. Ohne jeden Zweifel liebt sie ihren Mann, und zwar auf eine Weise, dass sein Tod – Gott bewahre! – auch den ihren bedeuten würde. So stark ist ihre Liebe. Ich denke nicht, dass einer der beiden ohne den anderen überleben würde. Unter keinen Umständen.
»Ich wäre schon früher gekommen, aber Mackenzie hat mir erst heute Morgen erzählt, was passiert ist.«
Ein tiefes Seufzen, dann richtet sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich. »Ich ...« Sie atmet zittrig ein und aus, während sich ihre Augen mit Tränen füllen. »Seit er mir erzählte, dass seine Brust schmerzt, und ich ihn zwang, ins Krankenhaus zu fahren, habe ich an nichts anderes mehr gedacht. Tut mir leid, dass ich dich angerufen habe.«
»Bitte entschuldige dich nicht«, flüstere ich, und sie senkt wieder die Lider. Eine einzelne Träne kullert ihre blasse Wange hinab. »Alles wird wieder gut werden.« Ich setze mich auf den leeren Stuhl neben ihrem.
»Ich weiß, cara, aber ich mache mir nicht nur Sorgen um Tony, sondern auch um Antonio. Er arbeitet wie ein Wahnsinniger, um alles am Laufen zu halten, und geht gleichzeitig noch seinem Job als Feuerwehrmann nach. Das ist zu viel für einen Menschen. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Er kommt klar, solange es dir und Tony gut geht«, versichere ich ihr und drücke ihre Finger. »Außerdem habe ich heute meine Arbeitszeiten im Salon so arrangiert, dass ich abends für ein paar Stunden in der Pizzeria mit anpacken kann. Und Mackenzie möchte ebenfalls helfen.«
»Du bist ein gutes Mädchen.« Sie bedeckt meine Hand mit ihrer und drückt sie. »Eines Tages wird Antonio die Augen aufmachen und das ebenfalls erkennen.«
Ihre Aussage überrascht mich nicht. Sie hat es sich in den Kopf gesetzt, dass ihr Sohn und ich zusammengehören. Ich habe ihr jedoch immer gesagt, dass das nicht passieren würde, während ich gleichzeitig das Gegenteil erhoffte. Aber im Moment ist dieser Wunsch in den Hintergrund gerückt.
»Du sieht heute sehr hübsch aus. Hast du irgendwas Schönes gemacht?«
»Nur gearbeitet.«
»Du arbeitest zu viel.« Eine raue, leise Stimme sagt diese Worte und mein Blick fliegt förmlich zum Bett hinüber. Tony ist wach und sieht mich an.
»Hi.« Ich stehe auf und gehe auf die andere Seite des Betts, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. »Wie geht es dir?«
Er verdreht die Augen. »Es geht mir gut. Ich wünschte nur, dass alle aufhören würden, sich so viele Sorgen zu machen.«
Ich lächle ihn liebevoll an.
»Er will hier raus«, wirft Martina ein. »Die ganze Zeit beschwert er sich darüber, wie viele Untersuchungen die Ärzte durchführen lassen, wie viele Medikamente sie ihm verabreichen und wie lange er noch hier sein muss.«
»Ich sollte das Krankenhaus verlassen dürfen, wenn ich das möchte«, grummelt er.
»Ich denke, die Ärzte wissen, was sie tun. Vielleicht solltest du auf sie hören«, schlage ich vor.
Er presst die Lippen zu einem Strich zusammen. »Sie wollen, dass ich in irgendeiner schicken Einrichtung am Arsch der Welt eine Reha mache. Dafür habe ich keine Zeit. Ich habe eine Pizzeria zu leiten.«
»Du wirst diese Reha machen«, entgegnet Martina bestimmt. Tony sieht sie an. »Wenn die Ärzte sagen, dass du sie machen musst, dann wirst du sie auch machen. Ende der Diskussion.« Sie wedelt mit der Hand in der Luft herum, und er seufzt.
»Ein Mann sollte seine eigenen Entscheidungen treffen dürfen.«
»Wie wäre es, wenn du dich stattdessen darauf konzentrierst, wieder gesund zu werden?«, greife ich in einem ruhigen Ton ein, um die Situation etwas zu entschärfen. Aufregung ist für ihn mindestens genauso schlecht wie Blumen.
»Ich glaube nicht, dass ich in dieser Angelegenheit eine andere Wahl habe.«
»Ich denke, da hast du recht.« Ich verbeiße mir ein Lachen, als er seiner Frau einen finsteren Blick zuwirft.
Ja, Tony und Martina lieben sich – aber sie zanken sich auch ständig, davon kann ich mittlerweile ein Lied singen.
Als ein Klopfen ertönt, drehe ich mich zur Tür. Ein Mann in einer dunkelblauen Krankenhausuniform kommt herein, einen Rollstuhl vor sich herschiebend. Er begrüßt uns mit einem Lächeln.
»Ich bin hier, um sie zu Ihrer Sonografie zu bringen, Mr Moretti.«
»Na toll, noch mehr Untersuchungen«, brummelt Tony, ehe er sich noch mal an mich wendet. »Danke, dass du hergekommen bist.«
»Jederzeit.« Ich drücke ihm noch einen Kuss auf die Wange und gehe dann zu Martina hinüber, die sich inzwischen am Bettende positioniert hat, um sie zu umarmen.
Als ich mich von ihr lösen will, drückt sie mich enger an sich und flüstert mir ins Ohr: »Pass für mich auf Antonio auf.«
Ich nicke und umarme sie noch fester. »Ich komme bald wieder zu Besuch. Ihr habt ja meine Nummer. Lasst mich wissen, wenn ihr irgendwas brauchen solltet.«
»Mache ich, cara«, gibt sie zurück und lässt mich los.
Einen letzten Blick über meine Schulter werfend, winke ich ihnen zum Abschied und verlasse den Raum. Ich frage mich, wie schwierig es werden wird, mein Versprechen gegenüber Martina zu halten.
2. Kapitel
Bist du ... bist du etwa nett zu mir?
Libby
Den Kopf in Palos Büro steckend, lächle ich ihn an, als er meinen Blick auffängt. Seine vollen Lippen verziehen sich zu einem Grinsen. Palo ist ein umwerfender Puerto Ricaner mit dunklen Haaren, karamellfarbener Haut und braunen Augen, die im hellen Licht des Beautysalons beinah golden wirken. Er ist einer der nettesten Männer, die ich je getroffen habe – und mehr als nur talentiert. Seine Arbeit als Stylist wurde bereits in unzähligen Magazinen und Zeitschriften gezeigt. Mit seinen jungen Jahren – er ist erst dreiunddreißig – hat er sich nicht nur einen Namen beim Who is Who von Manhattan gemacht, sondern bei Film- und Broadwaystars gleichermaßen. Die Leute buchen Monate im Voraus, um von ihm die Haare gemacht zu bekommen.
»Hast du Feierabend, Liebes?« Er dreht seinen Stuhl zu mir herum, um mir seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken.
»Ja, meine letzte Kundin ist eben gegangen«, antworte ich, während ich in meinen Mantel schlüpfe, unter dem ich eine schwarze Bluse mit verspieltem Kragen und langen, fließenden Ärmeln sowie Skinny Jeans im selben Ton trage. Ebenso farblich dazu abgestimmt, sind meine spitz zulaufenden mit den acht Zentimeter hohen, schmalen Absätzen.