du heilige Scheiße.
Ich überspringe alle Nachrichten rund um die gestrige Panne und bin erschrocken über die ganzen Glückwünsche von Lieferanten, die sich gern mit mir zum Essen treffen würden. Wie haben die das herausgefunden? Ich bin ziemlich sicher, dass ein Großteil meiner Firma noch gar nichts davon weiß.
Ich lese eine E-Mail von Ellen, der Assistentin meines früheren Chefs, die nun mich unterstützen soll. Sie beglückwünscht mich und fragt, wann wir uns treffen können. Ich antworte ihr, dass ich sie gerne im Lauf des Vormittags bei einem Kaffee sprechen würde. Dann schicke ich eine Nachricht an den IT Service Desk mit der Bitte, Ellen Zugriff auf meinen Kalender zu gewähren.
Eine rot blinkende LED an meinem Bürotelefon erregt meine Aufmerksamkeit. Dort steht: »07:50. 62 neue Nachrichten«.
Mir klappt die Kinnlade herunter. Es würde über eine Stunde dauern (die ich nicht habe), sie anzuhören. Ich schreibe Ellen noch eine E-Mail und bitte sie, meine Voicemails durchzugehen und alle aufzuschreiben, bei denen Handlungsbedarf besteht.
Bevor ich sie absende, füge ich noch schnell hinzu: »Falls Nachrichten von Steve oder Dick dabei sind, ruf mich direkt auf meinem Handy an.«
Ich schnappe mir meinen Notizblock und beeile mich, zum ersten Meeting zu kommen, als das Handy vibriert. Es ist eine dringende E-Mail:
Von: Sarah Moulton
An: Bill Palmer
Cc: Steve Masters
Datum: 3. September, 07:58
Wichtigkeit: Hoch
Betreff: Neue Verzögerungen bei Phoenix
Bill, wie Sie wissen, handelt es sich bei Phoenix um das wichtigste Projekt, das in unserer Firma gerade läuft. Ich habe unerfreuliche Gerüchte gehört, dass Sie das Release verzögern.
Ich muss Sie nicht daran erinnern, dass unsere Konkurrenz nicht schläft. Mit jedem weiteren Tag gehen unsere Marktanteile weiter zurück. Ich muss sicher sein, dass sich alle der Dringlichkeit bewusst sind. Insbesondere Sie, Bill.
Wir haben heute um 10 Uhr ein Notfall-Projektmanagement-Meeting. Bitte kommen Sie dazu und bereiten Sie sich darauf vor, diese inakzeptablen Verzögerungen zu erklären.
Steve – ich weiß, wie wichtig Ihnen dieses Projekt ist angesichts der Zusagen, die Sie dem Aufsichtsrat gegeben haben. Wenn Sie dafür Zeit finden, wäre es gut, wenn Sie ebenfalls teilnehmen könnten. Wir würden uns freuen, Ihre Sicht der Dinge zu hören.
Mit freundlichen Grüßen
Sarah
Oh, oh.
Ich leite die E-Mail an Wes und Patty weiter und markiere sie mit hoher Wichtigkeit. Eine Welt, in der die Hälfte der E-Mails dringend ist, kann nicht richtig sein. Ist denn wirklich alles so wichtig?
Ich rufe Wes auf seinem Handy an. »Ich habe gerade deine E-Mail von Sarah erhalten«, sagt er. »Was für ein völliger Bullshit.«
»Worum geht es da eigentlich?«, frage ich.
»Ich bin ziemlich sicher, dass sie sich auf Brent bezieht, der seine Konfiguration für die Phoenix-Entwickler nicht fertigstellen konnte. Wir müssen ihnen immer hinterherjagen, weil sie uns nicht sagen können, wie die Testumgebung auszusehen hat. Wir tun unser Bestes, aber immer wenn wir etwas bereitstellen, sagen sie uns, dass es falsch sein.«
»Wann haben sie uns davon erzählt?«, frage ich.
»Vor zwei Wochen. Das läuft immer so mit der Entwicklung, aber dieses Mal ist es schlimmer. Sie sind so verrückt darauf, ihre Termine einzuhalten, dass sie erst jetzt darüber nachdenken, wie das Ganze getestet und ausgeliefert werden soll. Und da versuchen sie halt, uns das Ganze in die Schuhe zu schieben. Mach dich auf etwas gefasst. Sarah wird uns in dem Meeting grillen wollen.«
Es ist erstaunlich, wie die Übergaben zwischen Entwicklung und IT Operations jedes Mal in die Hose gehen. Aber angesichts des dauerhaften Kleinkriegs zwischen den beiden Gruppen sollte ich nicht überrascht sein.
Ich antworte: »Okay, verstanden. Dann tue mir den Gefallen und schaue dir diese Entwicklungsspezifikation persönlich an. Wir müssen dafür sorgen, dass wir etwas in der Hand haben. Schnapp dir also alle Beteiligten – egal ob Entwickler oder Ops – und sperre sie so lange in einen Raum, bis wir eine schriftliche Spezifikation haben. Phoenix ist so wichtig, dass wir das nicht versaubeuteln dürfen.«
Wes versichert, dass er sich darum kümmern wird, und ich frage: »Gibt es noch etwas, das Sarah uns in die Schuhe schieben könnte?«
Er denkt nach und sagt schließlich: »Nein, ich glaube nicht. Wir haben mit dem Payroll-Lauf einen ziemlich guten Grund, warum Brent mit seiner Arbeit nicht fertig werden konnte.«
Dem stimme ich zu. Mit dem Gefühl, uns ausreichend gut abgesichert zu haben, sage ich: »Wir sehen uns um zehn.«
Weniger als eine Stunde später gehe ich in der warmen Sonne zu Gebäude 9, in dem viele der Marketingleute sitzen. Zu meiner Überraschung begleitet mich ein ganzer Trupp IT-Leute. Warum?
Dann wird es mir klar. Der größte Teil unserer Marketingprojekte ließe sich ohne IT gar nicht realisieren. Intensives Marketing braucht Hightech. Aber wenn so viele von uns mit diesen Marketingprojekten zu tun haben – sollten die Meetings dann nicht bei uns abgehalten werden?
Ich vermute, dass es Sarah so lieber hat. Sie sitzt als Spinne im Dunkeln und erfreut sich daran, wie all die Arbeitsknechte zu ihrem Bau kommen.
Beim Eintreffen sehe ich zuerst Kirsten Fingle, die das Projektmanagement-Büro leitet. Sie sitzt am Kopf des Tischs. Ich bin von ihr sehr begeistert, denn sie ist organisiert, besonnen und verantwortungsbewusst. Als sie vor fünf Jahren zur Firma kam, brachte sie ein ganz neues Niveau an Professionalität mit.
Rechts von ihr lehnt sich Sarah in ihrem Stuhl zurück. Sie tippt auf ihrem iPhone herum und nimmt ihre Umgebung gar nicht wahr.
Sarah ist so alt wie ich: 39. Diesbezüglich passt sie sehr darauf auf, was sie sagt – sie lässt einen immer glauben, sie sei älter, gleichzeitig lügt sie aber nicht direkt.
Noch etwas, das mich bei ihr wahnsinnig macht.
Im Raum sind 25 Personen. Viele der Verantwortlichen der Geschäftsbereiche sind da, von denen einige für Sarah arbeiten. Chris Allers ist ebenfalls da. Er ist ein bisschen älter als ich und sieht schlank und fit aus. Genauso häufig, wie er mit seinen Mitarbeitern scherzt, tritt er ihnen auch in den Hintern, wenn sie eine Deadline verpasst haben. Er hat den Ruf, ein kompetenter und gradliniger Manager zu sein. Bei fast 200 Entwicklern, die für ihn arbeiten, muss er das auch.
Um bei Phoenix zu helfen, wurde sein Team in den letzten beiden Jahren um 50 Personen aufgestockt – größtenteils in Offshore-Entwicklerfirmen. Chris muss ständig mit der Anforderung kämpfen, mehr Features in weniger Zeit und mit weniger Geld umzusetzen.
Viele seiner Manager sind ebenfalls mit im Raum –auch Wes, er sitzt rechts von Chris. Als ich mich nach einem freien Platz umsehe, bemerke ich eine ungewöhnliche Anspannung bei allen. Und dann sehe ich auch, warum.
Da, direkt neben dem einzigen freien Platz am Tisch, sitzt Steve. Jeder hier scheint sich große Mühe zu geben, ihn nicht anzustarren. Als ich mich ganz lässig neben ihn setze, summt mein Telefon. Eine SMS von Wes:
Scheiße. Steve hat noch nie an einem Projektmanagement-Meeting teilgenommen. Wir sind im Arsch.
Kirsten räuspert sich. »Der erste Punkt auf unserer Agenda ist Phoenix. Da gibt es nicht viel Gutes zu berichten. Der Status ist schon vor vier Wochen von Gelb nach Rot gewechselt, und meiner persönlichen Einschätzung nach ist die Deadline in ernsthafter Gefahr.«
Mit ihrer professionellen Stimme fährt sie fort: »Zur Erinnerung: Letzte Woche gab es zwölf