Cornelia Topf

Einfach mal die Klappe halten


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Wie schon Goethe sagte: »Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.« Wir haben unsere Muttersprache quasi ererbt. Doch bis wir einen reifen und vor allem wirkungsvollen Umgang damit erreichen, sollten wir sie ausprobieren und zurechtfeilen, unser Sprachvermögen entwickeln. Dazu gehört auch, Schweigen zu lernen.

      Der eine starke Satz

      Es gibt solche fabelhaften Sätze, die ins Schweigen führen. Einer ist zum Beispiel: »Sie haben ganz sicher recht – aber ich möchte das nicht vertiefen. Ich würde lieber gleich zu einer Lösung kommen.« Ein anderer starker Satz ist eine Frage: »Inwiefern bringt uns das weiter?« Oder: »Was heißt das jetzt im Hinblick auf eine Lösung unseres Problems?« Ganz starke Sätze können Sie übrigens dem sogenannten Pacing entlehnen.

      Pacing – der Weg ins Schweigen

      Sarah hat einen umsatzstarken, aber schwierigen Kunden, der jede Woche einmal reklamiert. Immer schimpft er dabei über die »unnötig komplizierte Steuerung von euren Maschinen! Das versteht doch keine Sau!« Sarah zuckt jedes Mal zusammen und versucht ihm zu erklären, dass die Steuerungsprozesse ganz logisch und einfach sind, wenn man sich eingehend mit ihnen beschäftigt. Sie unterstellt dem Kunden, dass er die Bedienungsanleitung nicht ausführlich genug gelesen hat. Und so reden die beiden jede Woche eine halbe Stunde aneinander vorbei. Seit der Vorgesetzte das mitbekommen hat, sagt er ebenso oft zu Sarah: »Wenn Sie diesen Kunden verärgern, dann versetze ich Sie in die Packerei!«

      Als der Kunde das nächste Mal anruft, sagt Sarah: »Ach, Sie Ärmster, spinnt die Steuerung schon wieder? Das ist alles viel zu kompliziert? Ja, ich kann mir vorstellen, dass das ganz schön frustrierend ist. Schließlich hält Sie das von der eigentlichen Arbeit ab.« Auf diese Weise geht Sarah sozusagen einige Schritte (Paces) mit dem Kunden mit – und schweigt dann. Keine Widerrede, keine Belehrungen, keine Überzeugungsversuche. Nur Schweigen. Was passiert? Nach zwei Minuten hat er sich ausgetobt (früher dauerte es zehn), weil er sich verstanden fühlt. In der Zwischenzeit hat er auch schon zaghaft nach den Schulungstarifen von Sarahs Firma gefragt …

       Sie kommen ganz schnell in ein harmonisches und produktives Schweigen, wenn Sie den Gesprächspartner pacen, das heißt einige Schritte neben ihm herlaufen – anstatt ihn zu konfrontieren.

      Wir alle suchen instinktiv nach diesem starken Satz, der unangenehme Gespräche rasch beendet oder in rechte Bahnen lenkt. Sehr beliebt sind Sätze wie: »Nun bleiben Sie doch bitte sachlich!«, »Nicht in diesem Ton!«, »So lasse ich nicht mit mir reden!« Obwohl diese Sätze stark klingen, wirken sie nur gut in Situationen mit hierarchischem Gefälle. Wenn gleichberechtigte Partner miteinander reden, funktionieren sie selten. Weil sie den Gesprächspartner belehren, implizite Vorwürfe enthalten. Diese Sätze gehen nicht mit dem Partner mit, sie stellen sich in Opposition zu ihm.

      Streiten ist nicht schwer, schweigen dagegen sehr

      Natürlich fällt es uns schwer, einen Menschen zu pacen, der uns mächtig auf die Nerven geht, der uns angreift, beleidigt, Vorwürfe macht, kurz: unsere Erwartungen nicht erfüllt. »Wenn einer mir vorwirft, meine Spreadsheets seien lückenhaft, dann trete ich ihm vors Schienbein!«, sagt Luzia, die Chefcontrollerin eines Kosmetikkonzerns. Und wer würde sie dafür tadeln wollen! Luzia selbst. Sie meint: »Ich habe den Verdacht, dass derjenige, der mir einen Vorwurf macht, mich nicht persönlich treffen will. Er ist möglicherweise nur schrecklich ungeschickt beim Kommunizieren seiner Meinung.« Er sagt also nicht, was er meint. Was er meint, könnte zum Beispiel Folgendes sein: »Ich finde in Ihren Controllinglisten nicht die Zahlen, die ich suche und für meine Arbeit brauche! Wenn ich das so artikulieren könnte, würde ich das so artikulieren. Aber da meine Eltern, Lehrer und Professoren, Politiker, Mentoren und Vorgesetzten auch nur mit Vorwürfen kommuniziert haben, glaube ich irrtümlich, dass Vorwürfe die einzige Möglichkeit sind, meine Meinung zu äußern!«

      Menschen meinen selten, was sie sagen. Gehen Sie vom Gegenteil aus: Ihr Gesprächspartner sagt Y, meint aber X. Was ist das X? Und dann pacen Sie das X. Als an Luzia der nächste unberechtigte Vorwurf herangetragen wird, rastet sie nicht mehr aus und prügelt verbal auf den »Angreifer« ein, sondern fragt pacend nach: »Wo sehen Sie denn eine Lücke? Welche Zahl vermissen Sie?« Und dann schweigt sie. Wie reagiert der »Angreifer«? Einer sagte in diesem Fall: »Wie? Wieso? Interessiert Sie das denn? Ja, darüber habe ich ehrlich gesagt noch gar nicht nachgedacht. Ich ging davon aus, dass es Ihnen als Chefcontrollerin sowieso schnuppe ist, was ich als kleiner Sachbearbeiter im Vertrieb für Zahlen brauche.« Und danach haben die beiden ganz vernünftig miteinander geredet und eine neue Kennzahl konstruiert. Weil Luzia so klug war, zu pacen, eine Frage zu stellen und dann den Mund zu halten.

       Ich empfehle zur Aufnahme in alle Anforderungsprofile für Führungspositionen: »Muss die Klappe halten können!« Das ist eine Führungsqualifikation sine qua non.

      Auch aus einem anderen Grund: Wer nicht schweigen kann, kann auch nicht denken.

      Wer schweigt, denkt besser

      Als ich zum ersten Mal an einem Meeting im Unternehmen eines guten Kunden teilnahm, traute ich meinen Ohren nicht. Der Geschäftsführer hatte tatsächlich gesagt: »Bevor wir jetzt abstimmen und eine Entscheidung fällen, legen wir eine Schweigeminute ein.« Hinterher erklärte er mit: »Am Anfang haben sich meine Leute natürlich gewundert. Aber inzwischen erkennt jeder den Nutzen dahinter.« Nämlich:

       Wer nicht schweigt, trifft unüberlegte Entscheidungen.

      Das sind Entscheidungen, die sich hinterher als falsch herausstellen und über die jeder dann sagt: »Das hätte ich mir doch eigentlich denken können! Warum habe ich das nicht vorher schon gesehen?« Weil ich gequasselt habe und nicht nachgedacht. Wer sich keine Zeit zum Schweigen nimmt, nimmt sich auch keine Zeit zum Denken. Und umgekehrt. Natürlich ist das in unserer hektischen, lärmenden Zeit auch schwierig. Wir haben ja ständig das Handy, das Telefon oder den iPod am oder im Ohr!

      »Sie hören jetzt – Stille«

      Neulich glaubte ich, meinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Ich rief bei einem Unternehmen an, geriet in die Warteschleife und hörte: »Alle unsere Leitungen sind im Moment besetzt. Wir bitten Sie um einen Augenblick Geduld. Während dieser Zeit hören Sie – Stille.« Kein Musikgedudel, keine geniale Erkennungsmelodie, keine nervende Endlosschleife, kein Fahrstuhlgewimmer. Einfach nur Stille. Als ich mich bei dem Wunsch ertappte, dass ich hoffentlich noch eine Weile auf meinen Gesprächspartner warten müsse, musste ich lachen … Die laute, lärmende und gedankenlose Welt fordert ihren Tribut. Nirgends mehr Stille. Dabei bräuchten wir sie so dringend. Vor allem bei Verhandlungen und Entscheidungen. Denn:

      Schweigen verbessert Entscheidungen und Verhandlungen

      • Wer regelmäßig und gezielt schweigt, bevor er antwortet, kann sich bei Verhandlungen mental auf die beste Erwiderung und Entscheidung vorbereiten.

      • Wer für ein, zwei Atemzüge schweigt, kann seine Wortwahl und die Belege für seine Argumente besser sortieren und durchdenken.

      • Wer regelmäßig für einige Sekunden schweigt, kann sich besser auf sein Bauchgefühl konzentrieren, das dem Wachverstand meist wertvolle Hinweise gibt.

      • Wer schweigt, nimmt nicht das erstbeste Argument, sondern das beste.

      Das sind recht konkrete Nutzen des Schweigens: Schweigen macht Entscheidungen und Verhandlungen besser. Doch es gibt noch einen eher abstrakten, dafür aber umso wirkungsvolleren Nutzen des Schweigens: Schweigen macht stark.