Cornelia Topf

Einfach mal die Klappe halten


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»Wer etwas von der Sache versteht, sagt es in drei Sätzen. Wer keine Ahnung hat, braucht dreißig.« Nach diesem Maßstab gemessen scheinen unsere Politiker, Vorgesetzten, Vorstände, Moderatoren, Eltern, Lehrer, Ausbilder und Verwandten mehrheitlich über erschreckend wenig Fachkompetenz zu verfügen. Was Ihnen eigentlich egal sein könnte. Die Frage ist: Warum wollen Sie es ihnen gleichtun? Warum sollte sich ein Mensch selbst zur verbalen Wirkungslosigkeit verdammen wollen? Masochismus? Ignoranz?

      Wie schon der Volksmund sagt: »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.« Kraftvoll und vielsagend zu schweigen, ist in Zeiten der Wortinflation oft das beste Argument. Nicht immer, aber immer öfter. Ein Argument, das wir so selten benutzen, weil wir die hohe Kunst des Schweigens verlernt haben. Denken Sie an Menschen, die Sie als besonders überzeugend, durchsetzungsstark, authentisch, respektgebietend wahrnehmen. Seltsam, nicht? Das sind alles keine Quasselstrippen. Ihr Wort hat Gewicht, weil sie sparsam damit umgehen.

      Schweigen ist das am stärksten unterschätzte sprachliche Wirkmittel

      Wer schweigen kann, wer es wieder erlernt hat, erntet damit nicht nur den Respekt seiner Umwelt und eine nie gekannte Wirksamkeit. Er oder sie stößt mit seinem/ihrem Schweigen, in dem die Gedanken wachsen können, in Bereiche der persönlichen Entwicklung und der geistigen Erkenntnis vor, die ihm oder ihr bislang verschlossen waren wie ein fern gelegenes Land, das plötzlich nahe gerückt, erreichbar geworden ist. Nicht umsonst wird in allen Religionen der Welt die Schweigemeditation in der einen oder anderen Form praktiziert: Wer sich verbal der Welt entrückt, der kommt ihr paradoxerweise näher. Und sich. Und seinen Mitmenschen. Und ihrem Respekt. Packen wir die Koffer und machen wir uns auf die Reise in dieses verheißungsvolle Land.

      1 Die wundersame Welt der Stille

       »Freunde, die nicht nur miteinander reden, sondern miteinander auch schweigen können, sind ein Geschenk des Himmels.«

      CHRISTA FRANZE, TÄNZERIN

      Schweigen tut gut

      Was würde Ihnen jetzt guttun? So richtig? Ihnen Kraft geben, Sie entspannen, auftanken? Es gibt etwas, das Menschen auf der ganzen Welt mit der Vorstellung von Erholung und Frieden verbinden: auf einem hohen Berggipfel oder einem menschenleeren Strand zu stehen und einfach nur die Stille zu genießen. Das finden seltsamerweise alle Menschen erholsam und entspannend (selbst Hektiker und Adrenalin-Junkies – für eine kurze Zeit). Der Eingeborene in Zentralafrika ebenso wie der Eingeborene in Londons Financial District. Und Sie? Wann haben Sie zuletzt die Stille eines einsamen Berggipfels oder eines nächtlichen Strandes genossen?

      Hin und wieder Stille tut gut

      Es ist paradox: Stille ist eigentlich »nichts« – und wirkt trotzdem so überraschend wohltuend. Wir sind gewohnt, dass es umgekehrt ist: Wer Kopfweh hat, greift zum Aspirin. Das Aspirin ist vorhanden und wirkt. Bei der Stille ist eigentlich nichts vorhanden – und wirkt. Diese paradoxe, aber mächtige Wirkung der Stille können wir auch in unserem Alltag entfalten, indem wir sie zum Beispiel in unsere Kommunikation hineintragen. Also schweigen Sie dann und wann einmal. Nein, nicht jetzt. Jetzt schweigen Sie ja schon automatisch. Wenn Sie das Buch zur Seite gelegt haben und wieder Kontakt mit anderen Zweibeinern bekommen – schweigen Sie. Sie runzeln die Stirn? Damit sind Sie nicht allein. Die Aufforderung, im Gespräch gelegentlich zu schweigen, schockiert sogar manche Akademiker so stark, dass sie mit größter Verwirrung reagieren. Ein Seminarteilnehmer, Bereichsleiter in einem Industrieunternehmen, erwiderte einst darauf: »Aber ich kann doch nicht schweigen, wenn der Chef etwas von mir will!« Hat das etwa jemand verlangt? Ist Schweigen wirklich so schwierig, dass ein Manager mit Hochschulabschluss tatsächlich glaubt, er müsse es zuerst und zunächst an seinem tobenden Chef ausprobieren?

       Wir wissen oft nicht mehr, wann Reden und wann Schweigen besser ist. Wir sollten es wieder erlernen.

      Mütter sind manchmal sprachkompetenter als Führungskräfte. Gegenüber Kindern wirkt Schweigen zum Beispiel sehr gut. Eine Mutter berichtete mir: »Als meine Jüngste neulich wieder fernsah, anstatt ihre Hausaufgaben zu machen, schaute ich kurz in ihr Zimmer und verbiss mir meine übliche Ermahnung. Ich guckte nur missbilligend und ging wieder raus. Fünf Minuten später war der Kasten aus. Wenn ich mit ihr streite, sie immer wieder ermahne, dauert es mindestens eine halbe Stunde, bis sie schlussendlich abschaltet. Das kostet uns beide viel Kraft.« Eine Stressreduktion von dreißig auf fünf Minuten? Beachtlich. Und das, obwohl die Mutter kein einziges Wort sagte. Obwohl? Weil! So wirkt Schweigen. Nicht immer. Aber immer dann, wenn Worte nicht mehr wirken, weil deren zu viele gewechselt wurden.

      Doch genau das verstehen viele Menschen nicht. Wenn sie merken, dass ihre Worte nichts bewirken – dann machen sie nur noch mehr Worte. Sie tun mehr desselben, anstatt das Muster zu wechseln. Dieses Musterverharren ist nicht allein aufs Quasseln beschränkt. Doch es wirft ein bezeichnendes Licht auf unsere Kommunikation: Wir reden meist nicht, weil es sinnvoll ist und nützt, sondern weil es eine (schlechte) Gewohnheit ist, die wir nicht loswerden. Deshalb sagen die Engländer: »Careless talk costs lives.« Übereilt dahingeworfene Worte kosten Leben. Wer redet, sollte das überlegt tun und nicht aus der Hüfte schießend. Denn:

       Worte provozieren oder zementieren Missstände. Schweigen nicht.

      Weil Schweigen (richtig eingesetzt) keine Trotzreaktion auslöst. Wenn Mama sagt, die Kleine solle die Glotze ausschalten, dann wehrt sie sich natürlich. Rein aus Trotz. Wenn Mama dagegen schweigt, dann regen sich in der Kleinen Gewissen oder gesunder Menschenverstand (zumindest besteht die Chance dazu). Und diese innere Regung wirkt weitaus stärker als jede Ermahnung von außen. Natürlich kann das mütterliche Schweigen nur dann wirken, wenn vorher einige Worte gefallen sind. Wenn der Tochter schon einige Male gesagt wurde, dass sie erst die Hausaufgaben machen solle und dann …

      Schweigen wirkt. Die Mutter schweigt, anstatt zu predigen, und hat Erfolg damit. Wie sieht die Situation aus Sicht der Tochter aus? Die Tochter schweigt auch. Was tut sie sonst noch? Sie kocht innerlich. Sie hat sich vor dem Fernseher so schön gemütlich eingerichtet und dann kommt die Mutter hereinspaziert, dieses ewig meckernde, personifizierte schlechte Gewissen, und verdirbt dem Mädel den gemütlichen Nachmittag. Niemand (außer der Mutter) würde es der Tochter übel nehmen, wenn sie maulte: »Immer nur Hausaufgaben! Kann man in diesem Haus nicht mal für eine halbe Stunde vor dem Fernseher entspannen?« Etwas Dampf ablassen hilft immer.

       Die Botschaft dieses Buches lautet: Öfter mal die Klappe halten! Wer jedoch resignativ schweigt, eine Beleidigung herunterschluckt, innerlich kochend vor Wut oder Frustration oder verletztem Ehrgefühl, der schweigt zu viel.

      Die richtige Balance: wenig reden, viel schweigen

      Wie für alles auf der Welt gilt auch für das Schweigen: Es gibt beide Extreme; ein Zuviel und ein Zuwenig. Wir leben zwar in einer plapperhaften Zeit. Doch etliche Menschen schweigen zu oft und zu lange. Die Quartalscholeriker zum Beispiel. Viele Menschen ebenfalls, die in Beziehungen und in der Familie viel zu lange einstecken, bevor sie den Mund aufmachen und sich wehren. Die Balance ist verloren gegangen und sollte wiederhergestellt werden. Unsere ganze Gesellschaft ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten: Auf der einen Seite steht das Heer jener, die ewig herunterschlucken und dann krank werden oder irgendwann explodieren (oder beides). Auf der anderen Seite gibt es jene, die selbst auf den kleinsten Übergriff mit stundenlangen Vorwürfen, Anklagen und Tiraden reagieren. Bei beiden stimmt die Balance nicht. Umso wohltuender empfinde ich Menschen, die noch wissen, wie viel man reden und wie viel man schweigen sollte.

      In der Fußgängerzone einer deutschen Großstadt sah ich zum Beispiel zwei Handwerkern zu, wie sie ein Gerüst aufstellten.