Mein Redetalent wurde genutzt, um Firmenvorträge auf wissenschaftlichen Veranstaltungen zu halten. Es gab zwar kein Honorar, ich durfte bei diesen Reden aber den Firmennamen oder spezielle Verfahren nennen. Deswegen hielt ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit Vorträge rund um das Thema »Rationelle Zusammenarbeit«, so auch auf dem 1. Zahnarzthelferinnen-Kongress in Berlin. Ich sprach vor über 3500 Teilnehmern – Chefinnen und Chefs mit ihren Teams –, die zu dieser Veranstaltung gekommen waren.
Durch diesen Berliner Auftritt lernte ich Hans Breitschmidt kennen, den legendären Dentalkaufmann aus Luzern. Er fragte mich, ob ich nicht ein Marketingseminar in der Schweiz halten könnte. Mein Chef war damit einverstanden, stellte aber eine Bedingung: »Nur in der Schweiz!« Ich entwickelte ein inhaltliches Programm für eineinhalb Tage. Und das Seminar fand tatsächlich statt: mit acht Teilnehmern im Hinterzimmer eines Gasthofes, in dem noch die Faschingsgirlanden von der Decke hingen.
Damals habe ich mir eines geschworen: Nie wieder würde ich an einem so trostlosen Ort auftreten! Ich wollte unbedingt, allein schon durch die Wahl des Veranstaltungsorts, die Besonderheit meines Seminares unterstreichen. Das nächste Seminar fand dann auf der Hotellerie Rigi Kaltbad statt. Eine super Location. Es kamen über 60 Teilnehmer!
Etwa zur gleichen Zeit kauften wir in München ein weiteres Labor, das ich als verantwortlicher Geschäftsführer leitete. Meine Aufgabe: Ich sollte den total verschuldeten Betrieb sanieren. Nach 18 Monaten war das Projekt erfolgreich abgeschlossen. Alle Schulden bezahlt – die schwarze Null!
Im Januar 1977 wurde mir das Betriebsergebnis ausgehändigt. Ich sah die positiven Zahlen und überlegte mir, ob ich nicht als Ausdruck des Erfolges mein Münchner Büro mit einem schönen Teppichboden auslegen lassen sollte. Und wissen Sie, was dann geschah? Der Gedanke war kaum gedacht, als ich schon meinen Chef anrief und sofort um einen Termin bat. Den bekam ich noch am Abend desselben Tages. Aber es ging dabei schon längst nicht mehr um einen neuen Teppichboden. Stattdessen hatte ich einen weitreichenden Entschluss gefasst: Ich kündigte! Meine Motivation hatte sich in Luft aufgelöst. Ich wusste einfach nicht, was ich in diesem Unternehmen und in dieser Position noch machen sollte. Und ein »Immer weiter so« war völlig ausgeschlossen. Einen Plan B hatte ich jedoch nicht zur Hand. Meine Kündigung erfolgte ganz spontan.
In den folgenden Wochen »erfand« ich meinen neuen Beruf. Ich wollte in jedem Fall selbstständig arbeiten, ohne Mitarbeiter – denn das kannte ich ja schon. Ich wollte als Marketingreferent tätig werden. Marketing war schließlich meine Kernkompetenz. Mein Ärger über die Seminare mit gemischten Teilnehmern, bei denen letztendlich keiner auf seine Kosten kam, führte zu dem Entschluss, dass ich entweder firmeninterne Seminare anbieten würde oder öffentliche für nur eine Berufsgruppe.
Als ich mich am 1. Oktober 1977 mit 29 Jahren selbstständig machte, bezeichnete ich mich in meinem ersten Seminarprospekt als Referent – vom Trainer fehlte noch jede Spur. Und tatsächlich saß in meinem ersten Seminar »Marketing für das Dental-Labor« ein Teilnehmer. Ein einziger! Hätten Sie das Seminar durchgeführt?
Mir war aufgefallen, dass in vielen Seminarankündigungen nur die Stadt, aber kein Hotel angegeben war. Das machte mich skeptisch. Tatsächlich ist es wohl so, dass man erst einmal schaute, ob sich überhaupt Teilnehmer für ein Seminar gewinnen ließen, um dann ein Hotel zu buchen. Ich hatte eine andere Entscheidung getroffen: Angekündigte Veranstaltungen werden in jedem Fall durchgeführt. In vierzig Jahren musste ich nur ein einziges Mal von diesem Grundsatz abrücken.
Hin und wieder habe ich mit verschiedenen Menschen meinen Lebensweg besprochen, manchmal auch, um die Frage zu klären, ob heute noch ein solcher Weg möglich wäre. Die meisten halten das für unwahrscheinlich. Insgesamt sei das Ausbildungsniveau doch enorm gestiegen. Das trifft bestimmt zu. Doch wie ist das mit der Verteilung von Begabungen und Talenten?
Ich befürchte, dass wir viel zu sehr auf die schulische und berufliche Ausbildung fokussiert sind und dabei womöglich wichtige Talente übersehen. Wir können uns gar nicht mehr vorstellen, welche vielfältigen Begabungen und höchst unterschiedliche Menschen es in dieser Welt gibt.
Zugabe für Täglich-neu-Beginner
•Sie dürfen sich ändern! Sie müssen nicht so bleiben, wie Sie sind. Nur weil Sie sich gestern geärgert haben, besteht kein Grund, an der Stelle weiterzumachen!
•Wenn Sie ein Ziel schnell erreichen wollen, dann ist es manchmal besser, einen Umweg in Kauf zu nehmen oder sich einfach ein wenig Zeit zu lassen!
•Sie können immer Ihren Plan ändern – doch nie das Ziel.
ZWISCHENRUF
Zweifel
»Ich habe dich nie zweifelnd erlebt! Wie kann das sein? Wieso vermittelst du diesen Eindruck?«
LOTHAR KATNAWATOS, UNTERNEHMER AUS WIESBADEN
Ich scheine von Zweifeln an meinen Handlungen oder Aussagen frei zu sein. Dieser Eindruck ist richtig und doch täuscht er. Der Grund ist, dass ich ständig zweifele!
Der Zweifel ist eine notwendige Grundhaltung beim Entwurf und bei der Planung einer Idee. In dieser Phase erlaube ich mir, mindestens zwei Dinge relativ gleichzeitig zu denken: Was muss ich tun, damit die Idee ein Erfolg wird, und was könnte diesen Erfolg zerstören? Dieser Zweifel bleibt bis zur Entscheidung präsent. Ist die Entscheidung für eine Idee gefallen, hat sich auch jeglicher Zweifel erledigt. Er ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr angebracht und würde nur unnötig Energie verbrauchen. Deswegen erlebt man mich bei der Realisierung einer Idee oder eines Vorhabens immer nur so: vor Gewissheit und Selbstsicherheit strotzend.
Geben Sie Ihrer Zukunft Zucker!
Der Besuch der alten Tante
Familienfeste können furchtbar langweilig sein. Nicht bei uns! Nicht wenn Tante Lucie ihr Kommen ankündigte. Dann wurde es in jedem Fall aufregend oder zumindest skurril.
Einmal brachte sie ihre aktuellen Liebhaber mit – gleich zwei! »In meinem Alter braucht eine Frau völlig unterschiedliche Männer!« Und so sahen sie auch aus. Gregor, der Russe, und André, der Philosoph. Tante Lucie machte keinen Hehl daraus, dass Gregors Stärke nicht das gesprochene Wort war, während die zarten Hände von André niemals den Gedanken an körperliche Arbeit zuließen.
Wen oder was würde sie wohl dieses Mal anschleppen? Wieder neue Männer? (Wobei niemand wusste, was aus Gregor und André geworden war.) »Kinder, das müsst ihr euch ansehen!« Umständlich zog sie aus ihrer Reisetasche einen Stoffsack, aus dem sie wiederum einen schwarzblauen Holzkasten hob, der mit zwei großen goldenen Schlössern versehen war. »Na, was vermutet ihr?« Allgemeines Schulterzucken.
Sie öffnete die Holzkiste so vorsichtig, als sei darin der größte Schatz der Welt versteckt. Dann hob sie mit beiden Händen eine große Kristallkugel heraus, die sie auf einen silbernen Fuß setzte. »Diese Kristallkugel habe ich von meiner letzten Indienreise mitgebracht, um in die Zukunft sehen zu können! Irre, oder?«
»Und wie funktioniert die Kugel?«, fragte ich. »Der Inder, der sie mir damals gab, sagte mir, das müsse ich selber herausfinden. Und seit ein paar Tagen weiß ich, wie es geht! Man nimmt sie einfach in beide Hände und wartet, bis die Bilder und Geschichten darin erscheinen. Hat man sie nur kurz in der Hand, dann zeigt sie ein paar Tage, doch je länger man sie in seinen Händen hält, desto länger geht die Reise in die Zukunft.« »Hast du dir deine Zukunft denn angesehen?» »Was glaubst du denn? Stellt euch vor, ich werde noch einen wunderbaren Liebhaber treffen!« »Tante Lucie, du bist über siebzig!« »Glaubst du im Ernst, dass mich das interessiert?« »Und zeigt die Kugel auch dein Lebensende?« »Vermutlich – aber danach habe ich noch nicht geschaut.«
Wenn es jemand wagen würde, bis zu seinem Finale in die Zukunft zu sehen, dann Tante Lucie. »Tante Lucie – komm – trau dich!« Sie zögerte ein wenig, nahm dann aber doch die Kristallkugel und schaute in das Glas. Ihr Gesicht leuchtete plötzlich, sie sah wohl gerade ihren nächsten Liebhaber –