zu sprechen. Der junge Mann erwiderte höflich:
»Gewiss. Das ist Doktor Abell. Er sitzt neben Doktor Wacheles vom ›Kabel‹. Zwei Reihen hinter den Herren sehen Sie auch Doktor Bär von der ›Abendzeitung‹ und Doktor Thunichgut von der ›Kleinen Börse‹.«
Neben ihnen machte man »Pst!«, und der Vorhang ging auf. Andreas sah nichts anderes mehr als die Rücken der Kritiker. Sie nahmen Plätze ein, denen auch er sich gewachsen fühlte. Mit sanguinischer Fantasie malte er sich schon seinen Eintritt in den Saal aus. Er schritt gelassen, im Gefühl seiner Unentbehrlichkeit, auf den ihm reservierten Sessel zu. Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und lauschte nachlässig mit mildem Lächeln den Künstlern, die mehr für ihn als für tausend andere sprachen. Einige Zeilen in der Redaktion, wohin er nach der Vorstellung fuhr, flüchtig auf das Papier geworfen, sicherten ihm Macht, Einfluss, ein gutes Einkommen und eine angesehene gesellschaftliche Stellung in Berlin. Der Gumplacher Schulmeister durfte diese Zukunft nicht durchkreuzen. Das berufene Talent brach sich Bahn.
Um sich selbst in seinen Hoffnungen zu bestärken, hätte er sie gern laut ausgesprochen. Er sah mehrmals schnell um sich und schnappte vor Erregung nach Luft. Sein Nachbar, der ihn durch einen schwarzumrandeten Kneifer still anblinzelte, sagte verbindlich:
»Wir sind wohl Kollegen?«
Andreas stutzte und besann sich.
»Sie sind auch Schriftsteller?« fragte er.
Der andere verbeugte sich.
»Friedrich Köpf, Schriftsteller.«
Er sprach mit gespitzten Lippen, als sei es ihm eher peinlich, dies einzugestehen. Andreas wurde im Gegenteil rot vor Vergnügen, während er sich vorstellte. Es war das erste Mal, dass er sich als Literat bezeichnete. Er meinte seine Laufbahn hiermit in aller Form zu beginnen.
»Ich mache allerdings gerade die ersten Schritte in meinem Beruf«, setzte er hinzu.
»Oh, das berufene Talent bricht sich Bahn«, versicherte der junge Mann.
Andreas richtete sich auf und sah ihn drohend an; aber er überzeugte sich, dass der andere ganz harmlos lächelte. Er versetzte darauf:
»Ich bin bisher bloß Mitarbeiter eines Provinzblattes gewesen.«
»Ah, Sie sind bereits journalistisch tätig?«
»Ich habe am Feuilleton mitgearbeitet.«
Andreas vermied es, das unberühmte Blättchen zu nennen, das seine junge Kraft gewonnen hatte, und sein neuer Bekannter war diskret genug, nicht danach zu fragen. Er sagte überhaupt nichts mehr, sondern hörte voll Teilnahme zu, wie Andreas die Gedichte zusammenrechnete, die der »Gumplacher Anzeiger« gebracht hatte, und von dem ermutigenden Erfolge seiner Novelle erzählte.
Das Gespräch ward unterbrochen. Nach Schluss des Aktes begann Andreas wieder:
»Aber in Berlin bin ich bisher ganz fremd.«
»Wirklich?« sagte Köpf zweifelnd.
»Ich würde mich ja gern hier journalistisch betätigen, aber es ist so schwer, Anschluss zu finden.«
»Oh, was das anbelangt, man wird überall mit offenen Armen aufgenommen.«
»Wirklich?« fragte Andreas seinerseits.
Merkwürdig, er wusste niemals, was er aus den Worten des Kollegen machen sollte, obwohl alles, was dieser sagte, ungemein gutmütig klang. Köpf schien das Misstrauen des jungen Mannes zu bemerken und es beseitigen zu wollen. Er versetzte:
»Ich kann Sie zum Beispiel in das ›Café Hurra‹ einführen, wenn Ihnen daran liegt.«
»›Café Hurra‹?« fragte Andreas.
»Eigentlich Café Kühlemann, Potsdamer Straße. Sie treffen dort verschiedene Mitarbeiter angesehener Zeitungen.«
»Ah!« rief Andreas dankbar und voll Hoffnung. »Das wäre ja außerordentlich freundlich von Ihnen.«
»Also kommen Sie nächsten Donnerstag. Dann finden Sie mich wahrscheinlich dort.«
Köpf empfahl sich gleich nach beendeter Vorstellung. Andreas suchte, höchst zufrieden und den Schlagring kampfesmutig in der Faust, seine Wohnung in der Linienstraße auf. Der Gumplacher Schulmeister lag weit hinter ihm, es begann ein neues Leben.
II. Das »Café Hurra«
»Herr …?« fragte Köpf zögernd.
»Andreas Zumsee.«
Köpf stellte der Tafelrunde im »Café Hurra« den neuen Kollegen vor. Dieser ward mit Wärme aufgenommen. Der angesehenste der Herren ließ ihn an seiner Seite sitzen und zog ihn in die Unterhaltung. Als er den jungen Mann nach Studien und Absichten befragt hatte, sagte Doktor Libbenow mit einem vielleicht bescheidenen, vielleicht auch stolzen Seufzer:
»Ach ja, ich habe eigentlich seit zehn Jahren kein Buch gelesen.«
Man schien dies als eine beachtenswerte Leistung anzusehen, und auch Andreas empfand, er wusste nicht warum, Bewunderung für Doktor Libbenow.
Es war die Rede von den misslichen finanziellen Verhältnissen des Schauspielerpaares Beckenberger. Der Mann war in der Gunst des Publikums rapide gesunken, von seinem Direktor bekam er nur noch ein Taschengeld, und er verschwendete dasjenige, was sich die Frau in arbeitsamen Nächten, gleichfalls ohne Zutun des Bühnenleiters, verdiente. Vor sechs Jahren hatten sie jeder zehntausend Mark gehabt.
»I wo«, sagte Doktor Pohlatz.
»Sie glauben das doch nicht?« fragte er Andreas.
Dieser lächelte verbindlich.
Pohlatz erläuterte:
»Die Weiber bekommen nämlich überhaupt nie was, darauf gebe ich Ihnen mein kleines Ehrenwort.«
»Warum denn nicht?« riefen die anderen.
»Lizzi Laffé hat noch heute ihre zehntausend, und sie geht auf fünfzig.«
»Reden Sie doch keine Makulatur!« versetzte Pohlatz schroff. »Was Lizzi hat, hat sie von Türkheimer.«
Die Namen, die Andreas hörte, prägten sich ihm ein, alles, was gesprochen wurde, schien ihm bedeutend, am bedeutendsten aber Doktor Pohlatz. Er wusste alles, er widersprach allen, er kannte die Einnahmen jedes Schauspielers