zur Begründung einer Zukunft deuchte. Das erste Studienjahr war darüber hingegangen, sein Wechsel lief jetzt noch zwei Jahre. Innerhalb des gegebenen Zeitraumes musste er es zu etwas bringen. Von dieser Notwendigkeit herausgestört, tauchte das Gespenst des Gumplacher Schulmeisters noch einmal vor ihm auf. Er wehrte es entrüstet ab. Aber was dann? Andreas vermochte auf diese Frage nur mit einem Seufzer zu antworten, und er hätte sich zweifellos seiner leichtsinnigen Untätigkeit aufs neue überlassen, wenn nicht eine kränkende Erfahrung ihn vollends aufgerüttelt hätte.
Er betrat am selben Abend das »Café Hurra« früher als die anderen und das Haupt umso höher erhoben, je tiefer ihm der Mut stand. Er machte die Runde um das fast leere Lokal und begrüßte das Fräulein am Büfett. Es war eine fade Blondine, Andreas hatte noch nie das Bedürfnis gefühlt, einen Angriff auf sie auszuüben. Heute aber glaubte er, dies seiner Würde schuldig zu sein. Kurz entschlossen legte er ihr den Arm um die Hüften. Das Mädchen, das sich hierdurch nicht angesprochen fühlen mochte, verzog die Mundwinkel in böse, scharfe Falten, sie versetzte dem jungen Mann einen heftigen Stoß gegen die Schulter und sagte mit Nachdruck:
»Jüngling, wie kommen Sie mir vor?«
Andreas sah sie eine Sekunde lang an, er war außerordentlich blass geworden. Darauf pfiff er durch die Zähne, drehte sich auf den Absätzen um und verließ gemessenen Schrittes den Raum.
Gleich den folgenden Morgen ging er zu Köpf, um sich mit ihm über seine nächsten Schritte zu beraten. Das »Café Hurra« war ebenso abgetan wie der Gumplacher Schulmeister. Wenn selbst jenes Mädchen, das ein halbes Jahr lang Zeuge seines vertrauten Umganges mit den Mitarbeitern der angesehensten Zeitungen gewesen war, ihm mit solcher empörenden Nichtachtung begegnen konnte, dann musste seine gesellschaftliche Stellung weniger glänzend sein, als er gewähnt hatte. Dies aber war dasjenige Bewusstsein, das er am wenigsten zu ertragen vermochte.
Er musste in Köpfs Zimmer, in der unteren Dorotheenstraße, einige Zeit warten und bemerkte darin eine gewisse Wohlhabenheit. Der breite Schreibtisch von Mahagoni und der bequeme, mit rotem Maroquin überzogene Lehnsessel wäre in keinem möblierten Zimmer anzutreffen gewesen. Die Wände wurden von hohen Büchergestellen verdeckt, angefüllt mit einem unglaublichen Plunder, vor dem Andreas staunend stand. Zerfetzte Pappbände und angefressene Lederrücken verbreiteten den Duft aller möglichen Trödlerbutiken. Eine alte Geschichte Ludwigs XIII. von Le Vassor füllte mit den Denkwürdigkeiten von Saint-Simon ein ganzes Fach. Weiterhin standen sogar die Kirchenväter. Andreas begriff nicht, welchen Zweck diese Dinge für jemand haben konnten, der Romane schrieb. Köpf beschäftigte sich, wie Libbenow wissen wollte, mit der Anfertigung von Romanen, die jedoch kein Mensch zu sehen bekam. Weiter wusste man von ihm schlechterdings nichts. Er erschien wöchentlich kaum einmal im »Café Hurra«, und dieser Umstand flößte Andreas in seiner jetzigen Lage Vertrauen ein, obwohl er es in letzter Zeit Köpf stark verdachte, dass er ihn überhaupt in jenen Kreis eingeführt hatte.
Es fragte sich jetzt nur, was er eigentlich von Köpf wollte. Andreas, den das Warten nervös machte, baute im Voraus einige schöne Sätze.
»Sie haben an der Entwickelung eines Ihnen völlig Unbekannten gleich anfangs so freundlichen Anteil genommen, dass ich, von neuen Zweifeln bedrängt, es nochmals wage, Sie um Ihren Rat und Ihre Hilfe zu bitten.«
Als die Periode fertig war, fand er sie albern. So sprach man nicht, besonders nicht in Berlin. Außerdem klang es falsch; er wollte Köpf doch nicht anpumpen.
Dieser erschien plötzlich in der Tür und begrüßte den Gast sehr erfreut.
»Ah, lieber Kollege!«
Andreas hatte einen Einfall:
»Wissen Sie, von dem ›Kollegen‹ hab’ ich schon bald genug«, sagte er und drehte sich halb um.
Köpf lächelte.
»Sie haben im ›Café Hurra‹ wohl ein Haar gefunden?«
»Mehrere.«
»Ich hätte Ihnen das voraussagen können. Aber es freut mich, dass Sie selbst dahintergekommen sind.«
Köpf blinzelte unschuldig. Andreas fand trotzdem, dass es eine Dreistigkeit sei, ihn in dieser Weise auf die Probe gestellt zu haben und es ihm jetzt ganz offen zu sagen. Der andere suchte seinen Unmut sofort zu beschwichtigen.
»Sie brauchen es nicht zu bereuen, diese scherzhafte Seite des Lebens unter Kollegen kennengelernt zu haben. Man muss dies tun, bevor man zu ernsteren Dingen übergeht. Nun wollen Sie aber Ernst machen?«
»Aber wie?« fragte Andreas ohne große Zuversicht.
»Oh, da gibt es verschiedene Wege, nämlich die Presse, das Theater und die Gesellschaft.«
»Sie vergessen die Literatur.«
»Durchaus nicht. Ich habe gesagt: das Theater, und eine andere Literatur gibt es bei uns nicht.«
Andreas nahm eine überlegene Miene an, denn er ertappte Köpf auf dem Ärger eines, der keinen Erfolg hat.
»Sie selbst schreiben doch wohl Romane?«
»Oh!« machte der andere mit gespitzten Lippen. »Reden wir lieber nicht davon. Ich schreibe für meinen Privatbedarf, es fällt mir nicht ein, das Unglück eines armen Verlegers herbeiführen zu wollen, der mir nie etwas zuleide getan hat und der etwa auf meine Werke hineinfiele.«
»Atem holen!« dachte Andreas, dem es Spaß machte, Köpfs Schwache zu beobachten.
»Inmitten eines Volkes«, fuhr dieser fort, »das durch alle Prügel der Welt nicht dazu bewogen werden könnte, ein Buch in die Hand zu nehmen, werden Sie also am besten tun, sich an das Theater zu halten.«
»Aber ich habe noch kein einziges Stück geschrieben!«
»Ist auch gar nicht nötig«, versicherte Köpf leichthin. »Das Theater hat zweifellos auch eine literarische Seite, aber die gesellige ist wichtiger. Beim Theater hat man es stets mit Menschen zu tun, in der eigentlichen Literatur doch schließlich nur mit Büchern. In der eigentlichen Literatur braucht man eine Menge Ernst, Abgeschlossenheit und Rücksichtslosigkeit; alles Eigenschaften, die beim Theater nur schaden können. Hier kommt es vor allem auf die gesellschaftlichen Verbindungen an. Sie aber, mein Lieber, sind ein Gesellschaftsmensch. – Soll ich Ihnen sagen, welches sichere Zeichen ich hierfür habe?«
»Bitte!«