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DIAGNOSE F


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Liebhaber. Oder ein Triebtäter. Eher wie ein Arzt. Routiniert. Zielstrebig. Emotionslos.

      Die Lampe wird gedreht. Jetzt kann ich die Umrisse ihrer Köpfe sehen. Diese seltsam aufgeblähten, birnenförmigen Köpfe mit den riesigen Augen. Insektenaugen, wie schillernde Discokugeln. Einer nähert sich meinem Unterleib. Er hat etwas in der Hand. Die Hand ist viel zu schmal.

      Ich sehe das Aufblitzen der Nadel. Nein! Bitte nicht! Bitte, bitte, bitte, ich will jetzt aufwachen! Die Hohlspritze durchsticht meine Bauchdecke. Es tut so weh! Immer tiefer dringt der Fremdkörper in meinen Nabel ein. Es brennt wie Feuer. Scharfes, kaltes Feuer. Mir wird schlecht. Ich muss mich übergeben. Jetzt … wird … alles … schwarz …

      Ich setze mich auf. Mein Puls rast, mein Herz hämmert schmerzhaft schnell gegen meine Rippen. Ich bin in Schweiß gebadet. Meine Brust ist ganz eng. Ich weiß zwar, dass ich jetzt wach bin, aber der Albtraum hält mich immer noch in seinen Klauen. Nein, kein Albtraum. Die Erinnerung. O Gott, hört das denn nie auf?

      Jede verdammte Nacht dasselbe. Jede Nacht die gleiche Angst, die gleiche Hilflosigkeit, der gleiche Schmerz. Genau wie damals. Ich erleide alle Qualen erneut. Immer wieder.

      Bestimmt sind die Schlaftabletten schuld daran, dass ich nicht eher aufwache. Aber ohne das Lendormin würde ich gar nicht schlafen. Es dauert jetzt sowieso immer länger, bis die Tablette wirkt. Wenn sie wirkt.

      Am Anfang war eine halbe genug, dann eine ganze. Jetzt bin ich froh, wenn ich nach eineinhalb Tabletten ein paar Stunden Ruhe finde. Wobei – was heißt hier Ruhe? Im Schlaf durchlebe ich erneut, was die mir angetan haben. Jede. Verdammte. Nacht.

      Ich schaue auf die Leuchtziffern des Digitalweckers: 4:37 Uhr. Scheiße. Noch nicht mal fünf Uhr morgens. Wie lange habe ich geschlafen? Um Mitternacht war ich noch wach, um 0:46 Uhr auch noch. Da habe ich das letzte Mal nach der Zeit gesehen. Vielleicht bin ich gegen eins eingeschlafen. Nicht mal vier Stunden!

      Bald ist das letzte Zehnerpäckchen leer, was mache ich dann? Doktor Meier schreibt mir nicht schon wieder welche auf. Und die Rezeptfreien aus der Apotheke wirken nicht. Davon bekomme ich nur so ein ekelhaftes, taubes Gefühl in den Gliedmaßen. Die schmecken auch so bitter, dass ich sie kaum runterkriege.

      Die Lendormin sind geschmacksneutral, fast ein bisschen süßlich. Wenn ich die jemandem in den Drink mischen würde, würde der das garantiert nicht merken. Eine Eins-a-Vergewaltigungsdroge sozusagen.

      Ich hatte immer Angst vor Rohypnol-Panschern, hab mein Glas nie aus den Augen gelassen. Hat mir aber auch nix gebracht. Jetzt wär’s mir auch egal. Aber ich gehe ohnehin nicht mehr aus.

      Mein Herz hat sich jetzt einigermaßen beruhigt, aber ich spüre immer noch diesen Druck auf der Brust, diese Beklemmung. Ich muss pinkeln. Im Wohnzimmer flimmert der Fernsehbildschirm.

      Mein Nachthemd klebt mir am Körper. Ich ziehe es hoch, um meinen Bauch zu betrachten. Warum der Nabel? Damit man hinterher keine Narben sieht? Ich spüre ganz genau, wo die Nadel in mich eingedrungen ist. Mein Fleisch erinnert sich. Ich frage mich, ob man etwas erkennen könnte. Auf dem Ultraschall. Beim Röntgen. Oder sorgen sie dafür, dass keine Beweise zurückbleiben?

      Ich habe nie versucht, es herauszufinden. Was soll ich der Ärztin sagen? Ich wurde von Aliens entführt, würden Sie bitte mal nachsehen, ob die außerirdische Kanüle, die sie mir in den Bauch gejagt haben, einen Stichkanal hinterlassen hat? Nächste Ausfahrt Klapse. So blöd bin ich nicht.

      Ich kauere mich über die Schüssel und versuche, irgendwie mit dem Urinstrahl zu treffen, ohne eine Riesensauerei anzurichten. Zum Glück habe ich Übung darin. Trotzdem beneide ich die Männer. Der Toilettensitz ist so kalt auf der Haut. So kalt wie der Metalltisch. Ich will das nicht wieder spüren. Nie mehr.

      Die Ringe unter meinen Augen sind so dunkel, dass man meinen könnte, ich hätte mich geprügelt. Die übrige Haut ist dafür umso bleicher. Meine Augen waren früher mal haselnussbraun. Jetzt ist die Iris so stumpf, dass die Farbe an vertrockneten Hundekot erinnert. Ekelhaft.

      Ich spucke die Zahnpasta aus und spüle mit Wasser nach. Vielleicht sollte ich nochmal zu Doktor Özogul gehen. Der war immer so nett. So wie ich aussehe, nimmt der mir meine Schlafprobleme auch garantiert ab. Natürlich sage ich ihm nicht, warum ich nicht schlafen kann. Vielleicht sage ich, mein Freund hat mich verlassen. Oder, dass mein Vater gestorben ist. Kann der das irgendwie nachprüfen?

      Ich darf nur nicht zu gierig rüberkommen. Eher widerwillig. Ja, wenn Sie meinen, dann versuche ich es halt mit Tabletten. So in der Art.

      Jetzt erstmal Kaffee. Ich gebe doppelt so viel Pulver in die Tasse wie empfohlen. Werfe drei Zuckerwürfel hinterher. Das brodelnde Wasser verbindet beides in Sekundenschnelle zu einer unauflöslichen Einheit. Wenn ich überhaupt noch irgendwas genießen kann, dann das Gefühl, wie die dunkle, heiße Brühe durch meine Speiseröhre schwappt und sich das Koffein in meinen Nervenbahnen verteilt.

      Ohne dieses allmorgendliche Ritual wäre ich zu überhaupt nichts mehr fähig. Manchmal gönne ich mir am Nachmittag eine zweite Dosis. Aber das geht nicht zu oft, weil ich sonst Herzrasen kriege. Und Sodbrennen. Essen kann ich jetzt noch nichts. Dafür liegt mir die Nacht noch zu sehr im Magen.

      Ich setze mich an den Computer. Bevor ich mich an den Werbetext für das Hotel Rheingold mache, überprüfe ich das Internet auf Meldungen über sie. Nichts Neues. Ich sehe die Chatrooms durch. Manchmal ist der Drang, mich auch dort einzuloggen, beinahe übermächtig. Mich jemandem mitzuteilen. Aber ich will keiner von denen sein. Von diesen Ufo-Spinnern, die über geheime Regierungsprojekte und feindliche Reptiloiden faseln.

      Was bei denen wohl schiefgelaufen ist? Ich meine: Glauben die den ganzen Mist wirklich oder sind die krankhaft geltungssüchtig? Würde mich interessieren, was Doktor Meier denen für eine Diagnose stellen würde. Schizophrenie? Eine Psychose?

      Laut Wikipedia bezeichnet Letzteres einen Symptomkomplex, der Wahnvorstellungen, Realitätsverlust und Halluzinationen umfasst. Das passt. Eine akute Psychose ist heilbar, eine chronische bleibt ein Leben lang bestehen und endet schlussendlich in einer Demenzerkrankung. Oje, oje. Da habe ich ja richtig Glück, dass ich mir meine Entführung nicht bloß einbilde. Wobei Glück natürlich auch wieder so ein relativer Begriff ist. Jetzt aber an die Arbeit!

      Meine Augen brennen. Die Zeilen auf dem Bildschirm verschwimmen. Verdammt. Jetzt verliert das Koffein schon wieder an Wirkung. So wird das nix. Wie soll ich den Leuten Lust auf den Spa-Bereich der Lohengrin-Therme machen, wenn sich mein Schädel anfühlt, als würde er bersten? Der Druck hinter meinen Augäpfeln ist so groß, dass ich meine, gleich springen sie mir aus den Höhlen. Ich kann so nicht arbeiten.

      Aber wenn ich mich jetzt hinlege, komme ich vor heute Abend nicht mehr aus den Federn. Und dann liege ich wieder die ganze Nacht wach. Trotz der Tabletten. Kann mir bis zum Morgengrauen Wiederholungen von Die Trovatos und Berlin – Tag und Nacht angucken.

      Früher hätte ich mir lieber eine Gabel ins Auge gerammt, als mir so einen Mist anzuschauen. Aber auf was Anspruchsvolleres kann ich mich nicht konzentrieren. Und ohne Fernseher halte ich es nachts nicht mehr aus. Trash-TV ist immer noch besser, als in der Dunkelheit zu liegen und darauf zu lauschen, ob sie wiederkommen.

      Früher dachte ich immer, wenn es eine Art höher entwickelte Intelligenz gäbe, die uns aus dem All beobachtet, dann hätten die der Menschheit schon längst den Garaus gemacht. So als intergalaktische Schädlingsbekämpfungsmaßnahme gewissermaßen.

      Stattdessen Untersuchungen. Warum? Aus kranker Neugier? Oder steckt ein Grund dahinter? Das frage ich mich: Was die von mir wollen. Aber ich frage mich nicht mehr, warum es gerade mich getroffen hat.

      Manche von den Spinnern behaupten, dass wir etwas Besonderes sind. Beneidenswerte Auserwählte. Ich sehe nicht ein, was daran beneidenswert sein soll, der Willkür dieser hässlichen, kleinen Monster ausgeliefert zu sein. Nackt und bewegungsunfähig. Von ihren widerlichen Wabbelhänden betatscht zu werden. Sich nicht wehren zu können, wenn sie einen mit ihren ekelhaften Instrumenten vergewaltigen.

      Ja!