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DIAGNOSE F


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Traumatisierungen geben, wie schreckliche Unfälle, Kriegserlebnisse, Folter, Naturkatastrophen usw., bei denen das eigene oder das Leben nahestehender Personen oder die psychische und körperliche Unversehrtheit in Gefahr gesehen wurde.

      Die ICD-10 vergibt beim Vorliegen typischer traumaspezifischer Symptome die Diagnose F43.1, die posttraumatische Belastungsstörung.

      Traumaspezifische Symptome können verzögert, manchmal erst nach Monaten oder sogar Jahren auftreten. Im allgemeinen Sprachgebrauch sind die sogenannten Flashbacks bekannt. Damit ist eine Form des Wiedererlebens gemeint, die so stark sein kann, dass die betroffene Person glaubt, das Trauma noch einmal zu erleben. Meist geht das mit massivem Angsterleben und starken körperlichen Reaktionen einher.

      Auch Albträume sind häufig. Verdrängte Erinnerungen treten gegen den eigenen Willen trotzdem auf, man spricht von intrusiven Erinnerungen. All das zermürbt verständlicherweise. Es kann sein, dass Betroffene nicht mehr fähig sind, arbeiten zu gehen. Oft ziehen sie sich zurück, entwickeln depressive Symptome und einen düsteren Blick in die Zukunft.

      Belastend ist auch eine Übererregung, Hypervigilanz genannt. Traumatisierte können sehr schreckhaft sein, als sei ihr Unterbewusstes ständig wachsam und fluchtbereit, so, als könnte jederzeit erneut eine Katastrophe hereinbrechen.

      All diese Symptome und weitere sind bedrückend realistisch in der Story beschrieben, weshalb ich mir und dem Leser eine weitere Aufzählung erspare.

(004) M

      Michael Knabe: Elektrokrampftherapie

      »Der Androide tut was?« Professor Doktor Sigmund Mauz zog überrascht die Brauen hoch.

      Seine Assistentin, Doktor Meftaler, konsultierte mal wieder ihr Tab. »Er steht den lieben langen Tag vor dem Klo und drückt die Toilettenspülung, Herr Professor. Wenn seine Besitzerin nach dem Zubettgehen mal raus muss, kann sie anschließend nicht mehr schlafen, weil die restliche Nacht hindurch die Spülung rauscht.«

      Und auf Doktor Mauz’ skeptischen Blick: »Ich habe mir das selbst einmal angesehen. Der Mülleimer ist bis zum Überlaufen gefüllt mit leeren Desinfektionsmittelflaschen. Die richtig harten, nicht das Zeug aus dem Drogeriemarkt. Die Wohnung riecht beißend nach Reinigungsmitteln, und er ordert ständig nach. Eine Zwangsstörung dieses Ausmaßes haben sogar die drüben in der Abteilung für Menschen eher selten.«

      Die Meftaler ging also auf Hausbesuche, anstatt sich um die nächste Veröffentlichung in der Cybernetic Neuroscience zu kümmern? Er wartete schon seit Wochen auf ihren Artikel, auf dem an vorderster Stelle sein Name prangen sollte. Verfolgte sie auf einmal eigene Ziele, anstatt sich um seine Aufträge zu kümmern? Er würde sie ein wenig bremsen müssen. Mauz machte sich eine mentale Notiz, bevor er sich der Kyb-Einheit zuwandte, die reglos zwischen ihnen wartete.

      »Kyb Tony!«

      Der Androide wandte sich ihm zu. »Was kann ich für Sie tun, Herr Professor?« Seine Stimme klang voll und melodiös, wie die eines Nachrichtensprechers aus alter Zeit. Der Blick seiner metallischen Facettenaugen ruhte unverwandt auf Mauz.

      Der rang sich ein Lächeln ab. »Weißt du, wer du bist, welches Datum wir heute haben und wo du dich befindest?«

      »Ja, Herr Professor.« Und als Mauz lange genug schwieg: »Kyb-Einheit Tony. Es ist der vierte August 2034, elf Uhr sechzehn Mitteleuropäischer Zeit. Ich befinde mich auf der Station für klinische Kybernetik der Klinik für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie der Charité Berlin, Bonhoefferweg 78 …«

      »In Ordnung. Wach, bewusstseinsklar, orientiert«, setzte Mauz zum Diktat an, doch seine Assistenzärztin hackte bereits die Angaben ins Tab. Noch wehrte sie sich nicht gegen solche Hilfsarbeiten. Er ahnte, dass sich das ändern würde, sobald er ihre Habilitationsschrift geprüft und abgezeichnet hatte. Hungrig waren sie, die Jungen, genau wie seinerzeit er selbst.

      Die Abfrage der Stimmung entfiel bei Androiden, den Rest hatte die Meftaler sicher schon perfekt erfragt. Als ob sie selbst unter Zwängen litt wie die Blechbüchse zwischen ihnen. Nur ihre Formen sahen weit erfreulicher aus als die des Androiden. Er lächelte in sich hinein und fuhr mit den spontan berichteten und erfragten Beschwerden fort.

      Es reichte längst nicht mehr aus, die Maschine an eine Diagnoseeinheit anzudocken und ein paar Parameter auszulesen. In dem Maß, in dem Roboter menschenähnliche Fertigkeiten erreichten und selbstlernend vorgingen, verließen sie die Pfade nachvollziehbarer Algorithmen. Die Kyb-Psychiatrie wurde zunehmend unexakt, genau wie die Behandlung von Menschen, und Medikamente für Maschinen gab es natürlich keine.

      »Kyb Tony, erkläre, warum du das mit der Spülung machst.«

      »Meinen Sie das repetitive Betätigen der Spültaste im WC meiner Besitzerin, Herr Professor?«

      Mauz’ Antwort beschränkte sich auf eine ungeduldige Handbewegung.

      Augenblicklich fuhr der Androide fort: »Ich muss jedes Risiko ausschließen oder zumindest minimieren, dass meine Besitzerin sich durch infektiöse Keime in Gefahr bringt.«

      »Keime?«, fragte Mauz. »Welche denn?«

      Die Meftaler lächelte und nickte. Offenbar wähnte sie ihn auf der richtigen Spur, und genauso offenbar war ihm selbst das nicht egal. Alter Gockel! Verärgert unterdrückte Mauz das Gefühl der Wärme in der Bauchgegend und konzentrierte sich auf den Androiden, der ebenfalls nickte.

      »Krankheitskeime, Herr Professor. Das sind winzige Lebensformen …«

      »Danke, ich kenne mich in dem Gebiet aus«, unterbrach Mauz ihn und rief sich gleich darauf zur Zurückhaltung auf. Persönliche Gefühle hatten im diagnostischen Interview mit einem Androiden nichts verloren. »Kyb Tony, berechne die Wahrscheinlichkeit, sich auf der eigenen Toilette mit gefährlichen Krankheitskeimen anzustecken.«

      »Eine genaue Antwort ist unmöglich«, antwortete der Androide. »Ich berechne stattdessen ein fünfundneunzigprozentiges Konfidenzintervall. Die Fachaufsätze in den letzten zwei Jahren, welche die gemittelte Wahrscheinlichkeit einer folgenschweren bakteriellen Infektion behandeln …«

      Aha. Der Androide hatte offenbar alle einschlägigen Datenbanken konsultiert, kannte die Tücken der Statistik – und hantierte trotzdem exzessiv mit Desinfektionsmitteln.

      »Beziehe dich ausschließlich auf die Toilette deiner Besitzerin, Kyb Tony.«

      Ein beinahe unhörbares Brummen signalisierte eine Vibration der Einheit. Die Kühlung war angesprungen, um den zentralen Prozessor vor dem Überhitzen zu schützen – das maschinelle Gegenstück zu einer starken Emotion.

      »Besagtes Konfidenzintervall zeigt eine Wahrscheinlichkeit zwischen null und einem halben Prozent. Aber bei Feldversuchen muss von einer zusätzlichen Messungenauigkeit ausgegangen werden. Das Risiko kann theoretisch höher liegen.«

      »Mit anderen Worten, deine Besitzerin könnte sich im schlimmsten anzunehmenden Fall bei jedem zweihundertsten Toilettenbesuch eine Infektion zuziehen?«

      »Das ist dann korrekt, wenn man das zusätzliche Risiko des Feldversuchs ignoriert, Herr Professor.« Der Androide schwankte etwas. Es blieb unklar, ob er lediglich auf einen Luftzug reagierte oder heimlich versuchte, Abstand von Mauz zu bekommen. Die Datenverarbeitung der Androiden war einfach zu komplex geworden. Manchmal verhielten sie sich unlogisch, geradezu emotional.

      »Kyb Tony, welche Infektionen genau ziehst du in Betracht?«

      »Nun, Infektionen eben, Herr Professor.«

      Mauz warf der Meftaler einen bedeutsamen Blick zu. Hier tat sich der erste Blick auf einen Fehler in der Informationsverarbeitung auf, die das Verhalten des Androiden steuerte.

      Meftaler, die fleißig auf ihrem Tab mitgeschrieben hatte, schien das bereits zu wissen. Sie wischte hektisch durch die gespeicherten Seiten und reichte das Gerät an Mauz weiter. »Das sind die Aufzeichnungen