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DIAGNOSE F


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Story ist aus der Perspektive des Professors Doktor Sigmund Mauz geschrieben, der seine emporstrebende Assistentin, die Meftaler, in die Schranken weisen will. Mauz zeigt in seinem Verhalten, Denken und Erleben deutliche narzisstische Züge. Bei sehr starker Ausprägung werden diese als narzisstische Persönlichkeitsstörung (F60.8) diagnostiziert (vgl. hierzu den diagnostischen Kommentar zur Story »Narzissten-Selektion« von Michael Tinnefeld).

      Diese Persönlichkeitsstörung dürfte in der Allgemeinbevölkerung die bekannteste sein.

      Personen mit dem Vollbild der Störung wirken oft arrogant und anmaßend. Narzissten benötigen permanent Anerkennung, um ihr schwankendes Selbstbild stabilisieren zu können. Wie ein pulsationsveränderlicher Stern kippen sie von absurdem Selbstbewusstsein in massive Selbstzweifel und wieder zurück. Ihr großspuriges und manipulatives Verhalten nutzen sie dazu, ihre Ziele durchzusetzen. Daraus ziehen sie Anerkennung, die sie wiederum benötigen, um besagtes Kippen des Selbstbildes zu vermeiden.

      Sie bestimmen gern, was andere zu tun oder zu lassen haben, was als narzisstisches Regelsetzen bezeichnet wird (Rainer Sachse: »Persönlichkeitsstörungen: Leitfaden für die Psychologische Psychotherapie«, Hogrefe, 2018). Selbst sehen sie sich nicht an derartige Regeln gebunden.

      Die Eigenarten, die Zusammenleben und Kontakt mit diesen Personen sehr schwer machen, sind gleichzeitig aber wichtige Ressourcen und für viele Berufe notwendige Voraussetzungen zur Erfüllung der Anforderungen. In Chefetagen, wo Entscheidungen mit oft weitreichender sozialer Tragweite getroffen werden müssen, darf man – um im narzisstischen Jargon zu sprechen – nicht allzu zimperlich und empathisch sein.

      Entsprechend findet man Personen dieses Menschenschlags unter Managern in Führungsetagen ebenso wie unter Chefärzten – wie es in der Story aufgegriffen wird. Und natürlich in der Politik, wobei wir hier natürlich auch Personen mit anderen Persönlichkeitsakzentuierungen finden.

      Neben erfolgreichen Narzissten gibt es noch die Gruppe der gescheiterten und der erfolglosen (R. Sachse: ebd.). Diese träumen lediglich von Ruhm, Einfluss und Macht, scheitern aber immer wieder in und an der Realität. Professor Mauz gehörte bis zu den Geschehnissen in der Story sicherlich zu der erfolgreichen Subgruppe. Möglich, dass sich der Narzissmus der Meftaler gerade als der erfolgreichere herausstellt und der Professor in die Gruppe der Gescheiterten wechselt …

      Beiden Gruppen gemeinsam ist die Fokussierung auf eigene Belange und ein verringertes Einfühlungsvermögen.

      Überträgt man die Verhaltensauffälligkeiten des Androiden auf einen Menschen, kann eine Zwangsstörung (F42) diagnostiziert werden. Zeigt sich der Zwang überwiegend in Handlungen, wird die F42.1 codiert. Treten die Zwänge auf gedanklicher Ebene auf, ist es die F42.0. Sind Zwänge auf beiden Ebenen relevant, wird die F42.2 vergeben. Erwähnt werden in der Geschichte vor allem wiederkehrenden Zwangshandlungen (z. B. Toilettenspülung betätigen), aber auch die Angst vor bzw. die exzessive gedankliche Beschäftigung mit der Möglichkeit, sich mit Keimen zu infizieren, was also für die F42.2 spricht.

      Die im Titel der Story erwähnte Elektrokrampftherapie stellt oft die letzte Interventionsmöglichkeit bei schweren Depressionen dar, bei denen alle anderen Therapiemethoden nicht gegriffen haben. Dabei zeigt sie sich in vielen Fällen als ausgesprochen hilfreich bei der Symptomlinderung.

      Warum sollte diese in Zukunft nicht auch bei Androiden (und anderen Störungen, wie hier der Zwangsstörung) Verwendung finden? Nun ja, darauf gibt die Story eine Antwort: vielleicht bei Androiden besser nicht.

(005) M

      Markus Regler: Ausgefallen

      Francesca umklammerte die Tasse und bemühte sich, den Kaffee nicht über dem kleinen Tisch in ihrem Wohnzimmer zu verschütten. Es gelang nicht ganz. Ihre Hände zitterten zu stark.

      Ein transparentes, hellblaues Rechteck, in dem Textzeilen von unten nach oben flogen, schwebte plötzlich über der Tischplatte. Die einzelnen Buchstaben wirkten verschwommen und waren kaum zu entziffern. Das Rechteck zerstob in eine Wolke kleiner Lichtpunkte, die sich zu einer neuen Form zusammensetzten.

      Nun lief eine Maus aus einem alten Zeichentrickfilm über den Wohnzimmerteppich und brabbelte unverständliche Worte. Francesca lehnte sich stöhnend auf ihrem Sofa zurück und vergrub das Gesicht in den Händen. Sie sah die Maus weiterhin, bis auch diese sich auflöste und erneut Textblöcke erschienen.

      Das ist nicht real!

      Die junge Frau atmete tief ein und aus, doch die einstudierten Entspannungsübungen reichten heute nicht aus, um die falschen Sinneseindrücke zu beenden. Sie griff nach einer Dose auf dem Tisch und fischte eine Tablette heraus. Es dauerte ein paar Minuten, bis das Medikament wirkte. Schwer atmend streckte sich Francesca auf dem Sofa aus. Langsam ließ auch der Tremor nach. Ihr Hemd war durchgeschwitzt.

      Die Gedächtnislücken und Halluzinationen waren nach dem Ausfall des in ihren Kopf implantierten Chips aufgetreten. Weil ihre Medikation mittlerweile anschlug, wurden sie weniger. Täglich warf sie sich einen bunten Mix aus Pillen ein – Benzodiazepine, Neuroleptika, Antidepressiva, Mittel gegen Kopfschmerzen. Doch noch war die Gehirnstruktur beschädigt und ihre geistige Gesundheit beeinträchtigt. Sie hatte diese Probleme satt.

      Der Gedanke an ihren später bevorstehenden Arzttermin rief eine Mischung aus Erleichterung und Nervosität hervor. Mithilfe einer Nanoagenten-Infusion sollte der Chip entfernt werden. Aus Gewohnheit – und um sich zu beruhigen – wollte sie Informationen über die Infusion aus dem Netz abrufen. Doch es fühlte sich an, als ob ihre Gedanken ins Leere griffen. Mit dem defekten Chip konnte sie keine Verbindung mehr herstellen. Kein Reiten auf der Welle mehr. Francesca seufzte.

      Sie zog das Smartdevice aus der Tasche und tippte Suchwörter ein. Ihre Finger kamen ihr dabei klobig vor. Ungelenk. Unelegant. Nicht tänzerisch wie das frühere Ballett der Gedanken im Netz. Mühsam entzifferte sie die Texte auf dem Display. Das Lesen war langwierig. Viel umständlicher als das unmittelbare Begreifen, wenn sie die immer und überall zur Verfügung stehenden Informationen als virtuellen Sichteindruck direkt im Sehzentrum ihres Gehirns empfangen hatte.

      Die Nanoagenten kappen die Verbindungen des Chips mit den Hirnstrukturen und zersetzen ihn, las sie. Nachfolgend werden die beschädigten Hirnareale regeneriert.

      Die junge Frau glaubte, ein Kribbeln an der Stelle ihres Schädels zu spüren, an der der Multilink-Chip unterhalb des Knochens saß. Sie fuhr sich durch die glatten, kinnlangen Haare und tastete über die Operationsnarbe.

      Kaum volljährig geworden, hatte sie sich das Implantat besorgt. Sie hatte sich mit Wonne in diese Erfahrung geworfen. Die Erlebnisse übertrafen die Vorhersagen der Hersteller bei Weitem. Es war großartig! Sie und ihre neuen Freunde hatten sich als Pioniere einer epochalen neuartigen Technologie begriffen. Gänger des Netzes hatten sie sich genannt. Doch nun, drei Jahre später, fühlte sich Francesca wie aus einem warmen Nest gefallen und in die kalte Wirklichkeit katapultiert.

      Ein kleiner Briefumschlag blinkte auf dem Display des Smartdevices. Francesca tippte darauf. Ein elektronischer Brief von DeepFlow lag vor. Der Hersteller ihres Multilinkchips unterbreitete die Möglichkeit, den Chip auf Kosten der Firma entfernen zu lassen. Dabei handelte es sich um ein zeitlich begrenztes Angebot. Allerdings wollte man das unzureichende Produkt zum Zwecke der Qualitätskontrolle einbehalten.

      »Arschlöcher!« Francescas Stimme hallte durch das spartanisch eingerichtete Zimmer.

      DeepFlow hatte mit Sicherheit einen fehlerhaften Chip eingepflanzt, aber laut Kaufvertrag bestanden gegenüber der Firma keine Ansprüche. Und nun wollten sie das Ding zurück und es verschwinden lassen!

      Ein solcher Eingriff kam für sie nicht infrage. Ihr Hirn war schon lädiert genug. Ihr Arzt hatte erklärt, dass eine operative Entfernung des Chips weitere Schäden nach sich ziehen konnte, und hatte deshalb zum Einsatz der Nanoagenten geraten. Und dieser Scheißladen kam mit einem dermaßen billigen und durchschaubaren Angebot um die Ecke. So ein scheinheiliger Mist! Mit Zornesfalten