Kosak schien zu fürchten, es sei eine List und der Tschetschene stelle sich nur tot, um ihn anzulocken. Er beschrieb daher einen großen Kreis, ehe er sich näherte.
Er wollte offenbar das Gesicht seines Feindes sehen; aber dieser war zufällig oder absichtlich mit dem Gesicht auf die Erde gefallen.
Der Kosak ritt vorsichtig auf ihn zu. Der Tschetschene rührte sich nicht. Der Sieger hielt seine schussfertige Pistole in der Hand.
Zehn Schritte von dem Tschetschenen hielt er sein Pferd an, zielte und schoss. Er hätte sich den Schuss sparen können, denn sein Feind war tot.
Er sprang vom Pferd, zog seinen Handschar, bückte sich – und eine Sekunde nachher hielt er den bluttriefenden Kopf empor.
Die ganze Eskorte brach in einen lauten Hurraruf aus. Der Sieger hatte die Ehre des Korps gerettet und seinen Kameraden gerächt.
In wenigen Augenblicken war der Tschetschene entkleidet. Der Kosak band seine Beute auf den Rücken des verwundeten Pferdes fest, nahm es beim Zügel, bestieg das seine und kehrte zu uns zurück.
Von allen Seiten wurde er nun mit der Frage bestürmt: »Wie konntest du denn schießen, nachdem das Pulver von der Pfanne abgeblitzt war?«
Der Kosak lachte. »Mein Gewehr ist nicht abgeblitzt«, sagte er.
»Aber wir haben doch den Rauch gesehen«, erwiderten seine Kameraden.
»Ihr habt den Tabaksrauch gesehen, den ich im Mund behalten hatte«, sagte der Kosak, »aber keinen Pulverrauch.«
DER RENEGAT
Man überließ der Sitte gemäß den entkleideten Toten den Raubtieren als Beute, den Leichnam des Kosaken legte man sorgfältig auf das Pferd des Tschetschenen, an dessen Sattelknopf schon sein Kopf hing; ein Kosak nahm das Pferd am Zügel und führte es in die Festung, die er vor einer Stunde verlassen hatte.
Das Kosakenpferd, dem ein Bein zerschmettert war, wurde, da es nicht mehr zu retten war, an einen Graben geführt, wo ihm ein Kosak mit dem Handschar die Halsschlagader öffnete. Das Blut spritzte wie aus einem Springbrunnen. Das arme Tier bäumte sich, sank aber bald zusammen, und während es auf der Seite lag, hob es den Kopf, um uns mit einem fast menschlichen Blick anzusehen.
Ich wandte mich ab und gab dem Führer der Eskorte zu bedenken, dass es nach meiner Meinung grausam sei, den Leichnam des tapferen Tschetschenen, der im Grunde doch mehr durch List als durch Gewalt besiegt worden sei, den Geiern und Schakalen zu überlassen, und verlangte, dass man ihn begrabe.
Aber der Unteroffizier antwortete, das Begräbnis sei Sache der Gefährten des Toten, sie würden ihn in der Nacht schon holen.
Er zeigte auf eine kleine Anhöhe jenseits des Terek, wo mehrere Tschetschenen drohend und schreiend versammelt waren. Es war eine große Schmach für sie, ihren Gefährten allein gelassen zu haben, und eine noch größere Schmach, dass sie seinen Leichnam im Stich gelassen hatten. Sie mussten sich schämen, ins Dorf zurückzukehren, denn sie hatten nicht die geringste Beute aufzuweisen.
Wie hatten es die Tschetschenen wagen können, uns anzugreifen? Da wir ihnen überlegen waren, so hätten sie sich gewiss ruhig verhalten, wenn nicht der Abrek bei ihnen gewesen wäre. Dieser würde es für eine Schande gehalten haben, der so nahen Gefahr nicht kühn entgegenzutreten.
Ich wollte nicht weiterreiten, ohne den Leichnam näher in Augenschein genommen zu haben. Er lag mit der Brust auf der Erde. Die Kugel war unter dem linken Schulterblatt eingedrungen und unter der rechten Brustwarze wieder herausgekommen. Man hätte glauben können, er sei auf der Flucht erschossen worden. Dies tat mir leid; ich hätte gewünscht, dass der tapfere Abrek nach seinem Tod nicht verleumdet würde. Die Pistolenkugel hatte ihm den Arm zerschmettert.
Der Kosak musterte nun seine Beute. Der Tschetschene hatte eine recht hübsche Flinte, eine Schaska mit kupfernem Griff, wahrscheinlich von einem Kosaken erbeutet, eine schlechte Pistole und einen guten Dolch. Geld hatte er nicht bei sich.
Als Ehrenzeichen trug er eine silberne Medaille von der Größe eines Sechsfrankentalers, welche er von Schamyl erhalten hatte. Sie war mit schwarzem Schmelz ausgelegt und hatte die Inschrift: »Schamyl Effendi«; beide Wörter waren durch einen Säbel und eine Streitaxt getrennt.
Ich kaufte dem Kosaken diese verschiedenen Gegenstände für dreißig Rubel ab. Leider habe ich Flinte und Pistole im Schmutz von Mingrelien verloren, aber den Handschar und die Medaille habe ich glücklich nach Hause gebracht.
Nach den Andeutungen, die wir über Tscherwelonaja und die Urlaubsfahrten der jungen Offiziere nach dieser Stanitza gegeben haben, könnte man glauben, die dortigen Kosakinnen wären zarte, schmachtende Schäferinnen. Diese Vorstellung wäre aber grundfalsch; sie sind nötigenfalls wahre Amazonen.
Eines Tages, als die Männer auf Streife unterwegs waren, machten die Tschetschenen einen Angriff auf Tscherwelonaja. Die gesamte weibliche Bevölkerung bildete sofort einen Kriegsrat und beschloss, die Stanitza auf Tod und Leben zu verteidigen. Waffen, Schießbedarf und Lebensmittel waren im Überfluss vorhanden.
Die Belagerung dauerte fünf Tage. Wohl dreißig Tschetschenen ließen ihr Leben vor den Hecken und Palisaden. Zwei Kosakinnen wurden getötet, drei verwundet. Die Belagerer mussten unverrichteter Dinge ins Gebirge zurückkehren.
Tscherwelonaja ist die älteste Stanitza in der Linie der Grebenskoischen Kosaken.
Sie hat ihre altrussischen Eigentümlichkeiten bewahrt. Die Männer sind fast alle fanatische, sogenannte Raskolniki, »Altgläubige«. Die Frauen machen durch ihre Schönheit die Stanitza zu einem kaukasischen Capua; ihre Gesichtsbildung ist moskowitisch, aber sie haben die schlanken und zugleich kräftigen Körperformen der Hochländerinnen. Wenn ihre Väter, Männer, Brüder oder Geliebten in den Kampf reiten, so treten sie in einen Steigbügel, den der Reiter freilässt, umfassen dessen Leib mit einem Arm und schenken ihm im vollen Trab mit der anderen Hand aus einer Flasche Branntwein zu trinken ein. So entfernen sie sich oft drei bis vier Werst von dem Dorf.
Wenn der Kriegszug beendet ist, eilen sie den Männern entgegen und kehren auf dieselbe Art in die Stanitza zurück.
Diese Leichtfertigkeit der Sitten sticht sehr ab gegen die russische Sittenstrenge und gegen die orientalische Abgeschlossenheit. Mehrere dieser Kosakinnen haben sich mit Offizieren verheiratet, von anderen erzählt man pikante Geschichtchen.
Zum Beispiel: Eine Frau in Tscherwelonaja gab ihrem Mann, der sie sehr lieb hatte, vielfältigen Anlass zur Eifersucht. Schließlich konnte er es nicht mehr aushalten, und um nicht länger Zeuge des Glücks seiner Nebenbuhler bleiben zu müssen, flüchtete er sich ins Gebirge und machte mit den Tschetschenen gemeinsame Sache gegen die Russen. In einem Treffen wurde er gefangengenommen, erkannt, von einem Kriegsgericht verurteilt und erschossen.
Wir wurden der Witwe vorgestellt, und sie selbst erzählte uns die klägliche Geschichte mit Nebenumständen, durch die sie einigermaßen des dramatischen Gewandes entkleidet wurde.
»Das Abscheulichste dabei ist«, sagte sie, »dass er sich nicht entblödete, mich im Verhör zu nennen. Übrigens benahm er sich wie ein mutiger Mann. Ich sah zu, wie er erschossen wurde; der arme Mann hatte mich so lieb, dass er mich in seinen letzten Augenblicken zu sehen wünschte, und ich wollte sie ihm nicht durch eine abschlägige Antwort verbittern. Er ist wie ein Mann gestorben, das muss man ihm lassen. Auf seine Bitte gestattete man ihm, dass ihm die Augen nicht verbunden wurden und dass er selbst Feuer kommandierte. Als er fiel, wurde mir übel, und ich fiel auch. Ich muss ziemlich lange ohnmächtig gewesen sein, denn als ich wieder zur Besinnung kam, war er schon begraben, nur seine Füße schauten noch aus der Erde hervor. Er trug neue rote Juchtenstiefel. Ich war so traurig, dass ich vergaß, sie ihm auszuziehen; sie wurden also mit ihm begraben.«
Die vergessenen Stiefel machten der armen Witwe viel Herzeleid.
Als wir in die Stanitza kamen, schien sie ganz verödet zu sein. Die ganze Bevölkerung hatte sich an das andere Ende des Dorfes begeben.
Es fand nämlich eine Hinrichtung