Alexandre Dumas

Gefährliche Reise durch den wilden Kaukasus


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den vierundneunzig Kosaken waren fünf gefallen und vierundsechzig verwundet. Diese verbanden sich selbst mit Fetzen, die sie von ihren Hemden rissen, und feuerten so lange, wie sie sich rühren konnten, auf die Tschetschenen.

      Plötzlich hörte man wieder Kanonendonner in der Richtung von Kurinski. Es kamen nun auch die jenseits des Terek zurückgebliebenen erschöpften Kosaken herangesprengt. Es waren etwa vierzig Mann, die nun ebenfalls an dem Gefecht teilnahmen.

      Die Kanonenschüsse kamen von der Truppenabteilung des Generals Mudell, die bis dahin eine falsche Richtung eingeschlagen hatte.

      »Mut, Kinder! Da kommt von zwei Seiten Hilfe!«, rief Suslow.

      Es war Zeit. Von den vierundneunzig Mann waren neunundsechzig kampfunfähig.

      Als die Tschetschenen die immer näher kommenden Kanonenschüsse hörten und endlich die Kolonne des Generals Mudell anrücken sahen, machten sie noch einen eiligen Angriff und flohen dann wie ein Rudel Wölfe ins Gebirge.

      Der General Mudell fand die tapferen Kosaken Suslows ganz erschöpft und ohne Munition. Jetzt erst konnten sie sich einige Ruhe gönnen. Jetzt erst legte sich der Adjutant Fidiuskin nieder, nachdem er sich die ganze Zeit mit seinem zerschmetterten Schenkel aufrecht gehalten hatte.

      Aus den Lanzen der Kosaken machte man Tragbahren für die Schwerverwundeten, die sich nicht im Sattel halten konnten, und der Zug setzte sich nach Tscherwelonaja in Bewegung. Der prächtige Schimmel Suslows wurde in kleinen Tagemärschen nachgeführt. Fünf Verwundete starben am folgenden Tag. Der Schimmel lebte noch drei Wochen.

      TATARENOHREN UND WOLFSSCHWÄNZE

      Wir kehren nun zu unserer Brücke an der Grenze zurück.

      Sie erhebt sich nicht nur über dem Fluss, sondern auch über den beiden Ufern in einer Höhe von mehr als zehn Metern. Dies ist eine Vorsichtsmaßregel gegen das Hochwasser. Im Mai und Juni treten die Flüsse über die Ufer und verwandeln die Ebenen in große Seen.

      Als wir die Brücke überschritten hatten, befanden wir uns in einer unbebauten Ebene, denn niemand mag dieses Gebiet bestellen, das nicht mehr den Kaukasiern und noch nicht den Russen gehört.

      Die Ebene wimmelte von Rebhühnern und Brachvögeln. Wir stiegen ab; Moynet ging auf der einen Seite des Weges, ich auf der anderen, und so begannen wir, jeder von einem Linienkosaken gefolgt, unsere Mahlzeit im Schweiße unseres Angesichts zu verdienen. Nach einer halben Stunde hatten wir vier oder fünf Rebhühner und ein halbes Dutzend Brachvögel geschossen.

      Am anderen Ende der Ebene erschien eine kleine Schar von zehn bis zwölf bewaffneten Männern. Sie ritt langsam und schien daher keine feindliche Absicht zu haben; aber wir eilten doch in den Wagen zurück und schoben Kugeln in unsere Gewehrläufe. Denn die Bergvölker machen sich oft nicht die Mühe, sich zu verstecken. Sie bleiben auf dem Weg und greifen an, wenn sich die Gelegenheit bietet.

      Die uns entgegenkommende Schar bestand aus einem Tatarenfürsten und seinem Gefolge. Der Fürst mochte dreißig Jahre alt sein; jeder der beiden Nuker oder Knappen, die ihn begleiteten, trug einen Falken auf der Faust.

      Bald darauf holten wir eine andere aus Karren und Fußsoldaten bestehende Truppe ein. Die Leute, die von Infanteristen begleitet wurden, waren Pioniere, die sich nach Temir-Khan-Schura begaben, um eine Festung zu erbauen.

      Seit unserer Abreise von Kislar hatte sich die Landschaft völlig verändert. Der Weg war nicht mehr eben und schnurgerade wie zwischen Astrachan und Kislar, sondern schlängelte sich zwischen den Vorbergen des Kaukasus dahin. Oft ging es so steil bergauf und bergab, dass ein europäischer Fuhrmann umgekehrt wäre; unser Kutscher hingegen kümmerte sich so wenig um die Achsen unserer Fuhrwerke wie um unsere Knochen und Gelenke, er fuhr jeden Abhang in so starkem Galopp hinunter, dass wir einen Teil der folgenden Anhöhe hinaufgetrieben wurden. Man muss einen unserer Wagen und einen stählernen Körper haben, um solche Stöße auf den steinigen Wegen zu ertragen.

      Gegen zwei Uhr nachmittags kam Kasafiurte in Sicht. Unser Fahrer trieb seine Pferde noch mehr an. Wir fuhren durch den Fluss Karasu und kamen in die Stadt.

      Vier oder fünf Werst von Kasafiurte hatten wir einen unserer Kosaken vorausgeschickt, um für unser Unterkommen zu sorgen. Wir fanden ihn am Stadttor. Er erwartete uns mit zwei Offizieren vom kabardischen Regiment, die sich erboten, ihr Quartier mit uns zu teilen.

      Ein so freundliches Anerbieten konnten wir nicht ablehnen. Die beiden Offiziere hatten die zwei schönsten Zimmer bereits geräumt, um sie uns abzutreten. Ich bezog das eine Zimmer; Moynet und Kalino nahmen von dem anderen Besitz.

      Unsere freundlichen Wirte bedauerten, dass der Fürst Mirsky nicht in Kasafiurte sei; aber sie zweifelten nicht, dass der Oberstleutnant seine Stelle gut vertreten werde.

      Ich bürstete mir den Kopf, während der Bursche des einen Offiziers meine Kleider und Stiefel reinigte, dann begab ich mich in Begleitung meines Freundes Kalino zu dem Oberstleutnant.

      Dieser war nicht zu Hause, und ich ließ meine Karte zurück.

      Ich hatte dem Haus des Oberstleutnants gegenüber einen sehr schönen Garten mit Schwänen, Reihern, Störchen, Enten und anderem Geflügel bemerkt. Die Tür stand offen, ich ging hinein.

      Ein junger Mann von etwa vierundzwanzig Jahren kam mir entgegen.

      »Sie sind gewiss Herr Dumas?«, fragte er.

      »Ja, ich bin Dumas.«

      »Und ich bin der Sohn des Generals Grabbe.«

      Ich reichte ihm die Hand.

      »Ich habe Ihre Ankunft schon erfahren«, setzte er hinzu, »und war schon im Begriff, Sie aufzusuchen. Fürst Mirsky wird sehr bedauern, dass er nicht anwesend ist. Aber in seiner Abwesenheit erlauben Sie wohl, dass wir die Honneurs der Stadt machen.«

      Ich erzählte ihm nun, wie gastfreundlich man mich bei meiner Ankunft empfangen und dass ich den Oberstleutnant nicht zu Hause angetroffen hatte.

      »Haben Sie Ihre Wirtin gesehen? Es ist eine sehr schöne Tscherkessin aus Wladikawkas. Wenn Sie sie sehen, so ersuchen Sie sie um den lesghischen Nationaltanz, sie tanzt ihn allerliebst.«

      »Sie werden sie wahrscheinlich leichter dazu bereden können als ich«, erwiderte ich; »würden Sie wohl die Güte haben, ein gutes Wort für mich einzulegen?«

      »Ich will es versuchen.«

      Wir begaben uns in mein Quartier.

      Fünf Minuten später meldete man uns Oberstleutnant Coignard. Der Name schien mir von guter Vorbedeutung, denn zwei Freunde von mir hießen so.

      Meine Ahnung täuschte mich nicht. Niemand war gewiss mehr geeignet, mich über die Abwesenheit des liebenswürdigen Fürsten Mirsky zu trösten, als Oberstleutnant Coignard. Er versprach uns, für Pferde und Eskorte zu unserer Weiterreise zu sorgen.

      Während Oberstleutnant Coignard mit uns plauderte, sagte man ihm etwas ins Ohr. »Wollen Sie erlauben«, sagte er zu mir, »dass ich hier eine Person empfange, die mich zu sprechen wünscht? Sie werden Zeuge eines Auftritts sein, der nicht ohne Interesse für Sie sein wird.«

      »Erteilen Sie Ihre Audienz«, erwiderte ich, »wenn meine Anwesenheit nicht lästig ist.«

      Eine vermummte Tatarin, von der nur die Augen zu sehen waren, stieg vor dem Hause vom Pferd und erschien sogleich in der Zimmertür.

      Da sie den Oberstleutnant an seiner Uniform erkannte, ging sie gerade auf ihn zu. Er saß hinten am Tisch. Die Tatarin trat vor den Tisch, öffnete einen Beutel, den sie am Gürtel trug, und nahm zwei Ohren heraus.

      Der Oberstleutnant drehte die Ohren mit der Spitze seines Stockes um und nahm sie genau in Augenschein. Es waren zwei rechte Ohren. Dann schrieb er eine Anweisung auf zwanzig Rubel aus und sagte, die Ohren mit dem Stock zurückschiebend, zu der Tatarin: »Geh zum Zahlmeister.«

      Die Amazone steckte die Ohren und den Zettel in ihren Beutel, stieg wieder zu Pferd und ritt im Galopp