Alexandre Dumas

Gefährliche Reise durch den wilden Kaukasus


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Geheul der im Gebirge herumstreifenden Schakale. Dieses dem Kindergeschrei ähnliche Geheul und das Rauschen des Wassers waren die einzigen Töne, die die nächtliche Stille unterbrachen. Wir waren zu weit von Kasafiurte entfernt, um die Turmuhr schlagen zu hören, und zu weit von Enesapnaja, um die Stimmen der Schildwachen zu vernehmen. Jedes Geräusch, das aus dem Gebirge zu uns drang, kam von feindlichen Geschöpfen, Menschen oder Tieren.

      Ich weiß nicht, was meine Gefährten dachten und empfanden, aber ich dachte mir, in wie kurzer Zeit die seltsamsten Gegensätze im Leben eintreten können. Vor kaum zwei Stunden waren wir mitten in der Stadt, in einem behaglichen Zimmer, Leila tanzte, mit Augen und Armen nach Herzenslust kokettierend; Ignaziew spielte Geige; Bajeniok und Michailuk tanzten; wir klatschten mit den Händen und trommelten mit den Füßen, kurz, wir waren seelenvergnügt. Und nun, zwei Stunden später, lagen wir in einer kalten dunklen Nacht, am Ufer eines unbekannten Flusses, auf feindlichem Boden, die schussfertige Büchse in der Hand, den Handschar an der Seite – und nicht auf dem Anstand nach Wild, sondern im Hinterhalt, um Mitmenschen zu töten oder von ihnen getötet zu werden. Und lachend hatten wir dieses Wagnis unternommen, als ob es nichts wäre, sein Blut zu verlieren und fremdes Blut zu vergießen.

      Die Feinde, denen wir auflauerten, waren freilich Banditen, Räuber und Mörder, die immer nur Elend und Tränen hinterließen. Aber diese Menschen waren tausend Meilen von uns geboren, sie hatten andere Lebensansichten, andere Sitten und Gebräuche als wir; was sie taten, hatten ihre Väter auch schon getan, und vor diesen ihre Urahnen.

      Konnte ich wirklich Gott bitten, mich in seinen Schutz zu nehmen, wenn ich so zwecklos, so unbesonnen die Gefahr suchte?

      So vergingen zwei Stunden.

      Mein Auge hatte sich durch beständiges Spähen so an die Dunkelheit gewöhnt, dass ich das jenseitige Ufer ganz deutlich erkennen konnte.

      Während ich mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte, glaubte ich rechts ein leises Geräusch zu hören. Ich sah meinen Gefährten an. Er schien das Geräusch nicht zu beachten oder nicht gehört zu haben.

      Das Geräusch wurde immer lauter. Ich glaubte, die Fußtritte mehrerer Personen zu hören.

      Vorsichtig kroch ich auf Bajeniok zu, legte meine linke Hand auf seinen Arm und streckte die rechte in der Richtung aus, wo ich das Geräusch hörte.

      »Nitschewo«, sagte er. Ich verstand das Wort nicht; aber ich erriet, dass er sagen wollte: »Es ist nichts.« Aber mein Blick war nichtsdestoweniger nach der Seite hin gerichtet, woher das Geräusch kam.

      Ich sah nun einen starken Hirsch mit einer Hirschkuh und zwei Kälbern am anderen Ufer erscheinen. Er trat ganz arglos ans Wasser und trank.

      Es war nichts, hatte Bajeniok gesagt; er hatte recht, wir warteten auf ein anderes Wild.

      Plötzlich hob der Hirsch den Kopf, windete ein paar Sekunden und lief ins Gebirge zurück.

      Als Jäger erkannte ich an dem Benehmen des Hirsches, dass drüben etwas Ungewöhnliches vorgehe. Ich sah Bajeniok fragend an. »Smirno«, sagte er leise. Ich verstand das Wort nicht, wohl aber die Gebärde, mit der er es begleitete; er meinte, ich solle mich ruhig verhalten und mich platt niederlegen.

      Ich gehorchte seiner Weisung.

      Er kroch nun wie eine Schlange am Ufer hinab, bis dicht an das Wasser. Ich ließ ihn nicht aus den Augen.

      Endlich verschwand er hinter der Böschung; ich schaute nun nach dem anderen Ufer hinüber.

      Ich glaubte den Galopp eines Pferdes zu hören und erblickte in der Dunkelheit eine Gruppe, die nicht deutlich zu erkennen war, aber aus mehr als einem einzigen Reiter zu bestehen schien.

      Die Gruppe näherte sich, ohne erkennbarer zu werden. Das ungestüme Pochen meines Herzens sagte mir noch mehr als meine Augen, dass ein Feind vor uns war.

      Ich schaute seitwärts nach Ignaziew. Niemand rührte sich. Das ganze Flussufer schien verödet zu sein. Auch Bajeniok war längst nicht mehr zu sehen. Ich wartete nun mit angehaltenem Atem, nach dem anderen Ufer hinüberschauend.

      Ein Reiter war mir schräg gegenüber an den Fluss gekommen, und ich konnte nun sehen, dass er eine an den Schweif seines Pferdes gebundene Person mit sich fortschleppte. Es war ein Gefangener oder eine Gefangene.

      In dem Augenblick, als er sein Pferd ins Wasser trieb und der oder die Gefangene gezwungen war, ihm zu folgen, hörte ich laute Klagetöne. Es war eine weibliche Stimme.

      Die Gruppe war bereits zweihundert Schritt unterhalb meines Verstecks im Wasser. Was sollte ich tun? Als ich mir im Stillen diese Frage vorlegte, fiel am Ufer ein Schuss, das Pferd stampfte unruhig im Wasser, und die ganze Gruppe verschwand mitten im Strom. Dann hörte ich wieder einen Schrei. Es war dieselbe Stimme, die vorhin um Hilfe gerufen hatte.

      Ich sprang nun auf und eilte der Stelle zu, wo der Schuss gefallen war. Da blitzte es auf einmal im Wirbel, den das zappelnde Pferd hervorbrachte, und ein Schuss fiel.

      Gleich darauf wurde wieder am Ufer geschossen, und ich hörte, dass sich jemand ins Wasser stürzte. Ein nur mit scharfer Beobachtung bemerkbarer Gegenstand bewegte sich gegen die Mitte des Flusses. Ich hörte schreien und fluchen. Dann war plötzlich alles still; kein Geräusch war mehr zu hören, keine Bewegung mehr zu sehen. Ich sah mich um. Unsere nächsten Gefährten waren ebenfalls herbeigeeilt und warteten wie ich.

      Nach einer Weile sahen wir etwas auf uns zukommen, was in der Dunkelheit nicht zu erkennen war, aber mit jeder Sekunde deutlicher wurde.

      Als sich uns die Gruppe bis auf zehn Schritte genähert hatte, ward uns alles klar.

      Die bewegende Kraft war Bajeniok. Er hielt seinen Handschar zwischen den Zähnen. Auf der Schulter trug er eine scheinbar bewusstlose, aber ihr Kind krampfhaft festhaltende weibliche Gestalt, und mit der linken Hand hielt er an dem langen Haarzopf einen halb im Wasser schleppenden Tschetschenenkopf.

      Er warf den Kopf auf die Böschung, legte das Weib mit dem Kind behutsam nieder und sagte mit der größten Ruhe in russischer Sprache: »Wer von euch hat einen Schluck Wodka?«

      Er verlangte die Herzstärkung nicht für sich, sondern für die Frau und das Kind.

      Nach zwei Stunden kehrten wir mit Mutter und Kind, die sich vollkommen erholt hatten, frohlockend nach Kasafiurte zurück.

      ALI SULTAN

      Am nächsten Vormittag um elf Uhr kam Oberstleutnant Coignard, um uns abzuholen.

      Moynet hatte die Frühstunden benutzt, um Bajeniok zu porträtieren. In der ersten halben Stunde hatte der Jäger gesessen wie eine Marmorbüste, aber plötzlich hatte ihn ein Fieberfrost befallen, ohne Zweifel die Folge einer Erkältung.

      Wir hatten ihm ein Glas Wodka bringen lassen, herzlichen Abschied von ihm genommen und ihn ins Bett geschickt.

      Während er saß, ließen wir ihn durch Kalino nach den näheren Umständen des nächtlichen Abenteuers befragen.

      Die Sache hatte sich folgendermaßen zugetragen: Sobald Bajeniok den Tschetschenen bemerkte, kroch er an die Stelle, wo jener vermeintlich durch das Wasser reiten würde. Bajeniok hatte gesehen, dass der Tschetschene ein am Schweif seines Pferdes festgebundenes Weib mit sich fortschleppte. Er berechnete nun, dass er den Reiter nicht zuerst niederschießen durfte, denn das sich selbst überlassene Pferd wäre dann durchgegangen und hätte die Gefangene zu Tode geschleift. Er entschloss sich daher, zuerst das Pferd zu erschießen.

      Seine erste Kugel traf das Tier mitten in die Brust, und während sein Pferd mit dem Tode rang, schoss der Tschetschene. Seine Kugel riss dem Jäger den Papak vom Kopf, aber ohne ihn zu verwunden. Bajeniok schoss nun einen zweiten Büchsenlauf ab und traf den Tschetschenen.

      Er stürzte sich nun ins Wasser, um die Gefangene zu retten, die leicht hätte ertrinken können.

      So erreichte er die Mitte des Flusses, wo das Pferd noch mit dem Tode rang. Er durchschnitt mit seinem Handschar die Halfter und hob die Gefangene aus dem Wasser. Erst jetzt bemerkte er, dass