die linke den Bogen führte. Seine nervige Faust drückte den Bogen so kräftig auf die Saiten, als ob er ein Stück Eisenholz zersägen wollte.
Unsere Wirtin konnte nun mit Füßen und Händen und Armen tanzen.
Anfangs glaubten wir, der Anblick der drei bärtigen Gesichter, die wir mitbrachten, werde sie aus der Fassung bringen; aber sie mochte die Jäger wohl schon kennen, denn sie ging ihnen mit holdseligem Lächeln entgegen, reichte Bajeniok die Hand und sprach einige Worte mit Ignaziew und Michailuk.
Ignaziew zog seine Geige unter seiner Tscherkesska hervor und begann die Lesghinka zu spielen. Ohne sich weiter bitten zu lassen, fing Leila sogleich an zu tanzen und Bajeniok mit ihr.
Der traurige, melancholische Charakter der russischen Nationaltänze gleicht den Tänzen, mit denen die Griechen ihre Toten zu Grabe geleiteten. Es sind eigentlich keine Tänze, sondern langsame Bewegungen vorwärts und rückwärts. Die Füße bleiben immer auf dem Boden, die Arme, die weit mehr zu tun haben als die Beine, machen die Gebärden des Herbeiziehens oder Zurückstoßens. Die sich gleichbleibende Melodie verlängert sich bis ins Unendliche, denn der Spielmann weiß, dass Tänzer und Tänzerinnen diese Bewegungen eine ganze Nacht fortsetzen können, ohne am nächsten Morgen im Mindesten müde zu sein.
Der Ball dauerte bis Mitternacht. Leila tanzte abwechselnd mit Bajeniok, Michailuk und Kalino, der von Zeit zu Zeit, dem Zuge seines Herzens folgend, die Lesghinka oder Kabardinka gegen einen russischen Tanz vertauschte.
Ignaziew, der sich am meisten Bewegung machte, schien unermüdlich.
Um Mitternacht hörte man ein Geräusch im Hof und Hausgang. Es waren die Kameraden unserer Jäger, die zum Aufbruch gerüstet waren. Sie trugen nicht mehr die Staatstscherkesskas, in denen sie uns empfangen hatten, sondern zerlumpte, an Dornen und Gestrüpp zerrissene, hie und da von Kugeln und Dolchstichen durchlöcherte und mit Blut befleckte Tscherkesskas. Wenn diese hätten sprechen können, wie ihre Namensvettern von Fleisch und Blut, sie würden von erbitterten Kämpfen, von dem Geschrei der Verwundeten, von den letzten Verwünschungen der Sterbenden erzählt haben.
Jeder Jäger trug seine Doppelbüchse auf der Schulter und seinen langen Handschar im Gürtel. Die alte Feldkleidung und die Büchsen für Bajeniok, Michailuk und Ignaziew hatten die anderen mitgebracht. Den Handschar legen sie nie ab, eine hinlängliche Anzahl Patronen ist immer bereit.
Unsere beiden Tänzer und der Geiger zogen ihre alten Tscherkesskas an; unterdessen nahmen auch Moynet, Kalino und ich unsere Waffen.
»Yedem, vorwärts«, sagte ich in russischer Sprache.
Die Jäger sahen uns erstaunt an.
»Erklären Sie ihnen«, sagte ich zu Kalino, »dass wir sie begleiten und an dem Streifzug teilnehmen wollen.«
Kalino übersetzte ihnen meine Worte. Bajeniok, der Oberjäger, der gewöhnlich den Befehl führte, wurde ernsthaft. »Ist es wirklich wahr«, sagte er zu Kalino, »was der französische General und sein Adjutant sagen?« Es war ihnen nicht auszureden, dass ich ein französischer General und Moynet mein Adjutant sei.
»Jawohl«, antwortete Kalino.
»Dann müssen die beiden Franzosen unsere Kampfart kennenlernen«, fügte Bajeniok hinzu; »sie mögen dann tun, was sie wollen, sie gehören ja nicht zur Kompanie. Nie greifen zwei Jäger einen Tschetschenen an; es wird Mann gegen Mann gekämpft. Erst wenn um Hilfe gerufen wird, dürfen es zwei mit einem aufnehmen, aber man ruft nie um Hilfe. Wenn ein Jäger von zwei, drei, vier Feinden angegriffen wird, so kommen ihm so viele Kameraden zu Hilfe, wie Feinde da sind, weder mehr noch weniger. Wenn man zu Schuss kommen kann, so schießt man, dazu hat man die Büchse.«
»Was wollen die Franzosen tun?«
Kalino übersetzte uns die Frage.
»Wir machen es wie Ihr.«
»Wollen Sie alle drei zusammen auflauern, oder wollen Sie bei uns bleiben?«
»Ich wünsche – und ich glaube, dass meine Freunde es ebenfalls wünschen – dass jeder von uns einen von euch in der Nähe hat.«
»Gut, ich nehme den General mit; Ignaziew nimmt den Adjutanten; Sie sind ein Russe und können tun, was Sie wollen.«
Kalino wollte durchaus die größte Gefahr aufsuchen und einem Tschetschenen das Lebenslicht ausblasen – er konnte dann zur Belohnung vielleicht das Georgskreuz erhalten.
Wir brachen auf. Anfangs schien die Nacht sehr finster, aber nachdem wir hundert Schritte gegangen waren, hatten sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Kein Mensch war draußen. Nur die Hunde richteten sich vor den Haustüren auf, aber keiner bellte, sie schienen zu wissen, dass wir Freunde waren.
Wir verließen die Stadt und befanden uns am rechten Ufer des Flusses Jaraksu. Das Rauschen des Wassers übertönte unsere Fußtritte.
Vor uns sahen wir das Gebirge wie eine schwarze Masse. Die Nacht war herrlich, der Himmel mit Sternen besät. Als wir etwa eine Viertelstunde gegangen waren, gab uns Bajeniok einen Wink, stehenzubleiben.
Wir gehorchten mit echt militärischer Pünktlichkeit.
Er legte sich nieder, hielt das Ohr auf die Erde und lauschte. Er richtete sich aber bald wieder auf und sagte: »Es sind Tataren aus dem Flachland.«
»Wie kann er das wissen?«, fragte ich Kalino, der mir seine Worte übersetzte. Kalino verdolmetschte meine Frage.
»Ihre Pferde haben den Passgang«, antwortete Bajeniok; »die Gebirgspferde hingegen können auf den felsigen Wegen nur im gewöhnlichen Schritt gehen.«
Fünf Minuten später sahen wir sieben oder acht Tataren vorbeireiten. Sie bemerkten uns nicht, denn auf Bajenioks Weisung hatten wir uns hinter der Böschung des Flussufers versteckt.
Die Gebirgsvölker haben oft Spione unter den Bewohnern des Flachlandes. Es war also immerhin möglich, dass unter den Reitern ein solcher Kundschafter war, der sich dann von den anderen getrennt und dem Feind Nachricht gegeben hätte.
Wir warteten daher, bis sie sich entfernt hatten.
Nachdem wir eine halbe Stunde schweigend und vorsichtig weitergegangen waren, sahen wir zur Linken ein weißes Gebäude. Es war das Fort Enesapnaja, der am weitesten vorgeschobene Posten der ganzen Linie.
Die Schildwache auf der Mauer rief: »Sluschai!« »Horch!«, und der Ruf wurde von einer zweiten, dann von einer dritten Schildwache wiederholt.
Wir gingen noch etwa zehn Minuten weiter und durchwateten dann fast trockenen Fußes den Jaruksu. Ein mit Dornenbüschen besetzter, von Hirten benutzter Weg führte uns an ein zweites, ebenfalls fast trockenes Flussbett; aber bald kamen wir an einen dritten, viel breiteren und tieferen Fluss.
Es war der Axai, der sich in den Terek ergießt. Der andere, den wir unweit seiner Quelle durchwatet hatten, war der Jamansu.
Ehe ich mir darüber klar geworden war, wie wir zu dem anderen Ufer hinüberkommen würden, lud mich Bajeniok durch einen Wink ein, auf seine Schultern zu steigen. Die gleiche Einladung erging von Ignaziew und Michailuk an meine beiden Reisegefährten.
Die Jäger gingen bis über die Knie im Wasser. Am anderen Ufer setzten sie uns ab. Dann führte uns Bajeniok stromabwärts am linken Ufer des Axai.
Einer unserer Leute wechselte mit Bajeniok einen Wink und blieb stehen, hundert Schritte weiter ein anderer, dann in gleicher Entfernung ein dritter. Ich sah ein, dass man sich auf den Anstand stellte.
Der Fluss war auf seinem ganzen Lauf durch das Gebirge so seicht, dass man ihn durchwaten konnte. Die Tschetschenen aber pflegten auf der Rückkehr von ihren nächtlichen Streifzügen nicht stromaufwärts zu reiten, sie stürzten sich mit ihren Pferden hinein, wo sie sich eben befanden, und deshalb stellten sich die Jäger in Entfernungen von je hundert Schritten am Ufer auf.
So blieben sie alle nacheinander stehen. Bajeniok, der voranging, war natürlich der Letzte. Ich blieb bei ihm. Da er nicht Französisch und ich nicht Russisch sprach, so konnten wir uns nur durch Zeichen verständigen.