Caroline Sendele

Chiemsee-Komplott


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in einen der Sessel und lehnte höflich ab, vom Sushi zu probieren. Adelhofer schien das nicht weiter zu stören, er schob sich lustvoll ein Stück rohen Fisch in den Mund.

      »Herr Adelhofer, ich arbeite an einer Serie über Sie und es wäre wunderbar …« Katharina kam nicht weiter. Achim Wedel riss die Tür auf und stürzte auf Robert zu. »Hier steckst du. Das gibt’s doch nicht. An dein Handy gehst du auch nicht. Wir müssen sofort fahren.« Nach einem kurzen entnervten Blick Richtung Katharina fixierte er Adelhofer, als würde der sich dadurch hypnotisch aus dem Sessel bewegen.

      Der blieb entspannt sitzen und sagte ruhig, mit nicht zu überhörender Schärfe: »Ich komme gleich, Achim. Wartest du bitte draußen?« Wedel machte auf dem Hacken kehrt und schloss die Tür hinter sich etwas zu laut. Adelhofer überging das.

      »Frau Langenfels, das tut mir ausgesprochen leid, entschuldigen Sie bitte Herrn Wedels ungebührliches Verhalten. Es ist offenbar wichtig. Dürfte ich Sie kommende Woche anrufen, damit wir unser Gespräch fortsetzen? Bitte seien Sie mir nicht böse.« Er hatte den »Der liebe Bub aus den Bergen«-Blick aufgesetzt, mit dem er offenbar bei den Frauen recht erfolgreich war. Katharina bemerkte das eher amüsiert.

      »Auf Wiedersehen, Herr Adelhofer. Ich freue mich auf unser Gespräch nächste Woche. Hoffentlich erwarten Sie keine schlechten Nachrichten.«

      Sie bemerkte ein kurzes Aufflackern von Unsicherheit in Adelhofers Gesicht, und schon war Katharina draußen. Der Bodyguard mit Knopf im Ohr stand weiterhin vor der Tür. Ein Stück entfernt telefonierte Achim Wedel. Er war sichtlich nervös, eine gegelte Haarsträhne war ihm ins Gesicht gefallen, er schien es nicht zu bemerken. Katharina nahm sich ein Glas Sekt, das eine Servierdame ihr anbot, und schlenderte durch den Salon. In Hörweite Wedels blieb sie stehen. Er konnte sie nicht sehen, schlemmende Kollegen verdeckten die Sicht.

      »Das weiß ich noch nicht, macht lieber einen Plan B … Heute auf keinen Fall … An den Chiemsee, habe ich doch gesagt … Ich habe keine Ahnung, wie lang er dableibt und ich habe auch keine Zeit mehr. Servus.« Wedel winkte nervös Adelhofer zu sich, der inzwischen aus dem Nebenraum gekommen war, und die beiden verschwanden.

      Katharina rief Birgit in der Redaktion an. »Schaust du mal, ob du den Rosenheimer Polizeifunk anzapfen kannst? Da muss irgendwas passiert sein. Ich sollte nach Hause, habe ich Svenja und Oliver fest versprochen.«

      »Alles klar, Chefin«, kam es gut gelaunt zurück. Dann war die Verbindung unterbrochen und sie wusste, dass ihre Freundin sofort beginnen würde, sich in geheime Netze zu hacken.

      Dienstagnachmittag,

      Breitbrunn am Chiemsee

      Malerisch lag die alte Scheune des Adelhofer-Hofs auf der kleinen Anhöhe inmitten einer saftigen Sommerwiese. Für Touristen war dieser Anblick normalerweise ein begehrtes Fotomotiv, man hatte von hier oben einen wunderbaren Blick auf den Chiemsee und einen Zipfel der Insel Herrenchiemsee. Für die Adelhofers stellte das Gebäude einen überflüssigen Rest der großen landwirtschaftlichen Vergangenheit dar. Ende des 18. Jahrhunderts hatte ein Urahn die Scheune aus Holz gebaut. Einige Hundert Meter vom Hof entfernt wurde hier das Heu der umliegenden Wiesen gelagert – und Generationen von Adelhofers hatten in der romantischen Abgeschiedenheit ihre Unschuld verloren.

      Das lag lange zurück, inzwischen stand die Scheune ungenutzt da und wurde in der Regel nur noch von Mäusen und Mücken bewohnt.

      Daher bot die Adelhofer-Höhe heute ein ungewohntes Bild. Mehrere Polizeiwagen hatten tiefe Spuren in die Wiese gegraben. Die ganze Scheune war weiträumig abgesperrt. Geduldig schickten Polizeibeamte ein paar Neugierige weg, die von dem Auftrieb auf der Höhe angelockt worden waren. Gesehen hatten den Tatort bislang nur Kriminalhauptkommissarin Nina Obermann, die Spurensicherung und der Streifenpolizist, den die Bereitschaftspolizei hier vorbeigeschickt hatte, nachdem ein Anrufer die Polizei in Prien über das Verschwinden von Lukas Adelhofer informiert hatte. Der Mann hatte die Scheune ins Spiel gebracht, aber angegeben, selbst nicht dort gewesen zu sein. »Des erspar’ ich mir lieber, ich kann mir vorstellen, wie’s da ausschaut.«

      Tatsächlich bot sich ein schrecklicher Anblick: Ein Toter lag inmitten einer riesigen Blutlache auf dem Boden. Eine Leiter führte neben dem Toten auf den oberen Scheunenboden. Von dort schien der Mann gefallen oder gesprungen zu sein, aus circa fünf bis sechs Metern, schätzte die Kommissarin. Der Schädel war am Hinterkopf eingedrückt, Hirnmasse war herausgelaufen. Über den Boden verteilt lagen NATO-Draht und Unmengen von Glasscherben, auf denen der Körper offenbar gelandet war. Wie die Unterseite des Toten aussah, mochte sich Nina Obermann lieber nicht vorstellen. Arme und Beine zeigten aberwitzige Verrenkungen, waren vermutlich mehrfach gebrochen. »Sammelt bitte alle Spuren, Fingerabdrücke, Stoffreste, Essensreste, liegen gelassene Tatwaffen, Abschiedsbriefe und so weiter.« Die genervten Blicke der Kollegen von der Spurensicherung verrieten, dass sie sich nicht gerne ihre Arbeit erklären ließen.

      Nina Obermann verließ daher lieber die Scheune. Draußen sah sie eine dunkelblaue Limousine die Anhöhe hochrauschen. Sie grub eine weitere Spur in die Wiese und blieb mit quietschenden Reifen direkt vor der Absperrung stehen. Nina Obermann kannte Robert Adelhofer von den Plakaten, mit denen er zurzeit Werbung für sein Buch machte. An denen kam keiner vorbei. Und der Mann, der dynamisch und mit resolutem Gesichtsausdruck aus dem Auto stieg, war tatsächlich derselbe, der von den Litfaßsäulen grinste. Der Fahrer – gegelte Haare, rosa Sakko – blieb sitzen.

      »Was ist hier passiert und wieso darf ich nicht in unsere eigene Scheune?«, schnauzte Adelhofer einen Polizeibeamten an, der ihm den Weg versperrte, als er über das rot-weiße Absperrband steigen wollte.

      Nina Obermann ging auf Adelhofer zu und reichte ihm die Hand: »Guten Tag, ich bin Nina Obermann, Kriminalpolizei Rosenheim, wer sind Sie?« Adelhofer erstarrte.

      »Das ist der Fernsehmoderator und Buchautor Robert Adelhofer und ich bin sein Manager Achim Wedel. Diese Scheune gehört der Familie Adelhofer, er wird wohl diese Wiese betreten dürfen«, mischte sich der Gegelte ein.

      Nina Obermann wandte sich dem Mann zu: »Herr Wedel, ich muss Sie bitten, sich aus der Absperrung zu entfernen. Sie können am Wagen auf Herrn Adelhofer warten. Herr Adelhofer, kommen Sie bitte mit.«

      Wedel plusterte sich auf – wodurch sich eine unschöne Rotfärbung in seinem fleischigen Gesicht ausbreitete. Eine kurze Handbewegung und ein Kopfnicken Adelhofers Richtung Auto sorgten allerdings sofort dafür, dass der Manager sich zurückzog.

      »Wenn mein eigener Bruder hier drin tot liegt, werde ich wohl das Recht haben, ihn zu sehen.« Mit diesen Worten ging Adelhofer Richtung Scheune.

      »Herr Adelhofer, ich kann Ihre Aufregung verstehen. Jemand wie Sie ist es nicht gewohnt, dass andere Ihnen sagen, was Sie zu tun und zu lassen haben. In diesem Fall müssen Sie sich damit abfinden. Zunächst möchte ich wissen, wie Sie darauf kommen, dass der Tote dort drin Ihr Bruder ist? Soweit ich informiert bin, hat man Sie in München angerufen und gebeten hierherzukommen, um einen Toten zu identifizieren. Ihre Eltern sahen sich dazu nicht imstande. Sie sagten uns noch, dass Ihr Bruder mit Ihnen auf einer Pressekonferenz in München gewesen sei?«

      Die Kommissarin beobachtete, wie für einen Moment Unsicherheit über Adelhofers Gesicht flackerte.

      »Ich weiß natürlich nicht, ob der Tote mein Bruder ist. Und ich finde es ungeheuerlich, wie Sie mich indirekt für verdächtig erklären, nur weil ich den berechtigten Verdacht äußere, der Tote könnte mein Bruder sein. Er war nicht mit auf der Pressekonferenz in München, ich dachte, diese Recherchefähigkeit hätte sogar die Kripo Rosenheim«, fügte Adelhofer spitz hinzu. »Ich habe mir bereits den ganzen Tag Sorgen gemacht, wo er bleibt. Dann ist es doch nachvollziehbar, dass ich bei einem solchen Anruf der Polizei denke, es handelt sich um meinen Bruder. Könnten wir dieses Versteckspiel endlich beenden und in die Scheune gehen?«

      »Folgen Sie mir«, erwiderte Nina Obermann knapp.

      Adelhofer trottete mit verächtlichem Blick hinter der Kommissarin her. Die glänzend schwarzen Schnürschuhe und die Hosenbeine des grauen Designeranzugs wurden zunehmend von kleinen braunen Dreckspritzern bedeckt, die der stampfende Schritt Adelhofers aus den in die Wiese gegrabenen Fahrrillen