Frank Wilmes

Ein letzter Frühling am Rhein


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weil Cosima genau das Gegenteil damit meinte. Diese Art der Kommunikation, mit Ironie zu spielen, damit zu locken und zu necken, beherrschten beide prächtig.

      Er blätterte weiter durch die Akte des Stalkers. Weil die Polizei in einer anderen Sache Diebesgut bei ihm vermutet hatte, erwirkte sie eine Hausdurchsuchung und machte Fotos von der Wohnung. An einer Wand hingen übereinander und nebeneinander Bilder von Chira Walldorf, überzeichnet mit einem wilden Gekritzel, als hätte ein Kind erstmals einen Stift in der Hand gehabt, um damit etwas anzufangen. Auf manchen Bildern standen Worte wie »Hässlich grässlich« oder »Saublöde Visage« oder »Ritz dir eine Falte auf die Stirn«.

      Das Gesicht des Stalkers erinnerte ihn an einen römischen oder antiken Jüngling, wie er in etlichen Büchern abgebildet ist oder als Bildhauerei in einem Museum steht. Er hatte markante Wangenknochen und kurzgeschnitten Locken. »Ist das ein schöner Mann«, fragte Miko seine Kollegin.

      »Er ist dann schön, wenn er ein Typ ist.«

      »Verstehe ich nicht.«

      »Miko, ich weiß, dass Du das nicht verstehst«, antwortete Cosima mit übertrieben fürsorglicher Stimme.

      Beide mussten lachen.

      Ihn ließ die Frage nicht los, was der Stalker von Frau Walldorf wollte. Glaubte er wirklich, sie würde ihn lieben und sich auf eine Beziehung mit ihm einlassen? War er beleidigt, weil seine Liebe verachtet wurde? Schlug dann eine Mischung aus Kränkung und mangelndes Selbstwertgefühl in Mord um? Miko stutzte über seine Gedanken, abwegig fand er sie aber nicht. Häufig in seinem Polizistenleben war er Psychopaten begegnet mit einer braven Umhüllung bürgerlicher Normalität. Was sie sagten, wie sie es sagten, wie sie sich kleideten, wie sie ihre Freizeit gestalteten, sie wirkten zufrieden und innerlich aufgeräumt. Doch in ihren Köpfen bildeten sich Nester mit gefährlichen Raubvögeln, die nur darauf warteten, Beute zu machen. Dann verwandelten sich die Körper zu einer Masse ohne Seele – zu einer Drangsal der bösen Tat.

      Miko bestellte den Stalker ins Präsidium ein.

      13.

      Der Tag begann heiter. Die einfühlsame Radiostimme vom Wetterdienst kündigte für den kommenden Samstag Höchsttemperaturen von bis zu 24 Grad an. Es war die Zeit des Übergangs. Der Frühling witterte schon den Sommer und würde bald Wiesen, Gärten und Gefühle mit einem frischen Aroma der Lebensfreude übergeben. Miko schüttelte sich, um wach zu werden. Ihn plagte die Frühjahrsmüdigkeit. Cosima pries ihm die Wirkung einer kalten Dusche an, die er wegen der Kälte aber ablehnte.

      Er wohnte nur einige Fußminuten vom Präsidium entfernt. Und von dort waren es wiederum nur wenige Fußminuten bis zum Landtag und zum Rhein mit seiner Promenade, die in die Altstadt führte und zur Wohnung von Chira Walldorf. An diesem Morgen stellte er Cosima und Kilian Dr. Robert Kirsch als »Experten« vor. »Er wird uns unterstützen, um ein Täterprofil zu entwickeln.«

      Cosima und Miko hörten brav zu, machten einen interessierten Gesichtsausdruck, und Miko fragte Dr. Kirsch, was für einen Doktor er habe.

      »Ich habe in Psychologie promoviert.« Dabei schaute er professionell freundlich.

      Später lästerte Miko gegenüber Cosima: »Ich habe die Ehrendoktorwürde für praktische Appetitkunde verliehen bekommen.«

      Kilian und Robert zogen sich zurück und tranken einen Kaffee.

      »Mensch, Kilian«, meinte Robert plötzlich, »ich dachte immer, es sei ein Klischee, dass Polizeikaffee ungenießbar ist, aber das ist ja die pure Wahrheit.«

      »Der Kaffee ist auch nicht für uns gedacht, sondern für herzkranke Zeugen.« Kilian freute sich über seinen gelungenen Konter.

      Kilian erklärte ihm Vordergründiges und Hintergründiges über den Fall. »Der Tatort war ein Lebensort der Getöteten. Sagen wir mal so: erster Wohnsitz. Sie war als Model in der Welt ständig unterwegs. Fest steht, dass der Lebensort bewusst als Tatort ausgewählt worden ist. Denn der Hergang der Tötung, Giftmord, war so gewählt, dass das Sterben in dieser Wohnung stattfinden musste. Wie sie auf dem Bett dalag, ausgeruht schlafend mit sorgsam gekämmten Haaren, so sieht ja kein normal sterbender Mensch aus, das alles wirkte sehr, sehr theatralisch.«

      Robert machte sich Notizen, schrieb Worte auf wie »Bühne«, »Inszenierung«, »Dramaturgie des Sterbens«, »schöne Tote«.

      Er hatte schon ein Grundgefühl für diesen Fall parat, weil die Umstände des Todes nur in eine Richtung zielten konnten, aber er behielt den Gedanken noch für sich.

      In seinem Büro ging er die Tatortbilder erneut durch und verinnerlichte den Tathergang.

      Er versuchte, eine Struktur, einen Sinn, eine Richtung zu erkennen. Aber dafür war es jetzt noch zu früh. Er brauchte mehr Informationen. Merkwürdigerweise gingen ihm ein paar Märchen durch den Kopf. »Hänsel und Gretel«, »Schneewittchen« und »Der Räuberbräutigam«, grausame Geschichten über Liebesentzug, Verzweiflung und Tod, irgendwann folgte ein glückliches Ende. Er dachte darüber nach, wie sein Fall heißen würde, wenn es ein Märchen wäre. Vielleicht »Goldhaarliebe« oder »Komm ins Zuckerliebesland« oder »Weine nicht um mich«.

      Er konnte den Gedanken, dass dieser Mordfall ihm wie ein Märchen vorkam, nicht abschütteln, zu merkwürdig, fantastisch, unwirklich erschienen ihm die einzelnen Sätze, deren er habhaft werden wollte, denen er ihr Geheimnis entlocken wollte.

      ICH HABE MIR DEINE SCHÖNHEIT GELIEHEN.

      »Wie kann man Schönheit leihen? Und warum sollte man sie leihen? Für welchen Anlass?«

      Er wurde aus seinen Gedanken selbst nicht mehr schlau. Er spürte, wie ihn das Verharren an der Oberfläche schmerzte. Es war kein körperlicher Schmerz, sondern eine Ungeduld, die sich nicht entladen konnte und dadurch Druck in seinem Innersten aufbaute.

      DU LEBST WEITER. IN EINER ANDEREN WELT.

      »Du lebst weiter. In einer anderen Welt? Welche Welt soll das nur sein?«

      DU MUSST DAS VERSTEHEN.

      »Sie muss ihren Tod verstehen? Wie kann man einem unschuldigen Opfer zumuten, seinen gewaltsamen Tod verstehen zu müssen?«

      ICH WEISS, DASS DU JETZT GLÜCKLICH BIST. DAS IST MEIN TROST.

      »Das Opfer soll glücklich sein, weil es versteht, tot sein zu müssen, damit seine Schönheit ›verliehen‹ werden kann? Das ist für den Täter tröstlich.«

      Er schrieb mit einem roten Stift auf ein großes Blatt Papier die Worte

      DAS IST PSYCHO

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