Jürgen Friedrich Schröder

Feenders


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»III A«. Georg konnte damit nichts anfangen und fragte einen der Fahrer, einen schon etwas älteren Mann mit kurzem Schnurrbart. Bekleidet mit Hut und Mantel hob er sich in seiner äußeren Erscheinung deutlich von den übrigen Fahrern und Beifahrern ab, die überwiegend Uniformen des RAD trugen, des Reichsarbeitsdienstes.

      »Das Kennzeichen steht für den Neckarkreis, also die Polizeidirektion Stuttgart!«

      »Ich dachte, der neue KdF-Wagen wird bei Fallersleben gebaut?«

      »Wird er auch. Aber diese Fahrzeuge stammen noch aus der letzten Vorserie. Die wurden in Stuttgart-Zuffenhausen entwickelt und gebaut. Daher die Stuttgarter Zulassung. Später werden alle Autos bei Fallersleben produziert.«

      »Warum dort?«

      »Wir haben da sehr viel freie Fläche zur Verfügung. Außerdem liegt das Gelände verkehrsgünstig am Mittellandkanal. Hameln war auch im Gespräch, weil es dort bis zur Weltwirtschaftskrise zwei kleinere Automobilfabriken gab. Aber letztlich hat Fallersleben das Rennen gemacht. Dort entsteht zurzeit das neue Volkswagenwerk.«

      »Dürfte ich einmal den Motor sehen?«

      »Klar!«, entgegnete sein Gegenüber und klappte am Heck des letzten Wagens die Motorhaube auf.

      Georg ging in die Knie, betrachtete die Maschine des Autos und nannte die technischen Daten: »Vierzylinder-Viertakt, 986 Kubikzentimeter, 23,5 PS, von denen 8,5 PS für die Überwindung des Rollwiderstandes benötigt werden. Luft- und ölgekühlt, Leergewicht des Wagens 650 Kilogramm!«

      »Donnerwetter, du kennst dich aber aus!«

      »Ehrensache, hab ich neulich erst gelesen.«

      Der Mann blickte auf seine Armbanduhr. »Wir liegen heute recht gut in der Zeit. Möchtest du einmal mitfahren?«

      »Das wäre ein Traum!« Georg schaute den Mann nachdenklich an. »Eine Frage …«

      »Ja?«

      »Sie sind aber kein einfacher Versuchsfahrer?«

      »Das lass nicht unsere Leute hören!« Der Mann lachte. »Es sind keineswegs einfache Fahrer, die sind schon sehr gut ausgebildet.«

      »Nein, so meinte ich das nicht!«

      »Um deine Frage zu beantworten, ich bin einer der Entwicklungsingenieure. Natürlich muss ich sehen, wie sich unsere Arbeit in der Praxis bewährt. Daher fahre ich teilweise mit oder auch selber! Komm mit zum ersten Wagen. Der ist schon fertig betankt. Den hintersten hier bekommen wir eh nicht aus der Menschenmenge heraus!« Der Ingenieur ging nach vorne und öffnete die Fahrertür des ersten KdF-Wagens. »Herr Wagner, unser junger Freund möchte gern ein Stück in unserem neuen Wagen mitfahren. Wenn Sie mich einmal ans Steuer lassen?«

      Georg öffnete die Beifahrertür, setzte sich hinein und sah – nichts. Genauer gesagt, er schaute gegen das Armaturenbrett.

      »Setz dich einfach auf deine Schultasche, dann kannst du rausschauen!«

      »Moment, ich muss erst mein Radio herausnehmen. Sonst ist es platt!«

      Georg beförderte zunächst die abgenommene Antenne und anschließend sein Radio ans Tageslicht.

      »Darf ich mal sehen? Oh ja, ein Detektorempfänger!« Der Ingenieur musterte Georgs Radio genau. »Selbst gebaut?«

      Georg nickte: »Ja.«

      »Saubere Arbeit, vor allem die gewickelte Antenne. Ganz hervorragend!«

      »Na ja, so hervorragend auch wieder nicht. Es funktionierte zunächst nicht. Ich komme gerade vom Radiohändler. Der hat mir auf die Sprünge geholfen.«

      »Und, woran lag es?«

      »An einer kalten Lötstelle.«

      »Ach so. Na, wenn das die einzige Ursache war?«

      Georg nickte erneut.

      »Weißt du, einen Fehler zu machen ist nicht schlimm. Man sollte ihn sich nur genau merken und möglichst nicht wiederholen. Dann hat auch der Fehler seinen Sinn gehabt.«

      »So habe ich das noch gar nicht gesehen!«

      »Was glaubst du, wie viele Fehler und Irrtümer uns bei der Entwicklung dieses Wagens unterlaufen sind. Wir lernen ständig hinzu, bis das Auto möglichst perfekt ist.«

      Der Ingenieur drehte den Zündschlüssel herum. Im nächsten Moment war das kernige Brummen des Boxermotors aus dem Heck des Wagens zu hören. Georg verfolgte alles genau. Der Fahrer trat das Kupplungspedal durch, legte den ersten Gang ein und gab das Pedal langsam wieder frei, während er mit dem rechten Fuß leicht auf das Gaspedal trat. Langsam rollte der KdF-Wagen an. Die Zuschauer machten Platz und das Auto bog auf die Heisfelder Straße ein. Zweiter, dritter Gang. Da flog schon die Kreuzung Dorfstraße/Logaer Weg vorbei. Der Ingenieur trat kräftig aufs Gas. Vierter Gang!

      »Da staunst du, wie unser Wagen beschleunigt!«

      »In vierzehn Sekunden von null auf sechzig Kilometer in der Stunde!«

      »Gibt es auch etwas, was du nicht weißt?«

      »Zu viel!«, räumte Georg selbstkritisch ein.

      »Das ist allerdings schade. Sonst hätte ich dich gleich nach Fallersleben mitgenommen.«

      Der Ingenieur schmunzelte. »Nein, im Ernst, du bist wirklich nicht von schlechten Eltern.«

      »Oh, danke. Ich werd’s ihnen ausrichten.«

      Georg hatte heimlich gehofft, der Ingenieur würde mit ihm bis Emden durchfahren, doch in Neermoor wendete er den Wagen. Auf der Rückfahrt war die Straße fast völlig frei. Die Tachonadel pendelte zeitweise bei sagenhaften neunzig bis einhundert Stundenkilometern und ein Hanomag wurde im Nullkommanichts überholt. Die Reifen sangen auf der mit Klinkern gepflasterten Straße ihr helles Lied. Viel zu schnell erreichten sie wieder die Tankstelle und die fantastische Fahrt war zu Ende. Georg fand seine Sprache erst wieder, als er sich bei dem Ingenieur recht herzlich bedankte.

      Am nächsten Tag war Georgs Fahrt das Gesprächsthema in der Klasse. Er selbst hatte sie gar nicht erwähnt, aber ein Mitschüler hatte ihn gesehen und für entsprechende Verbreitung des Abenteuers gesorgt.

      Bald stand auch ein ausführlicher Bericht in der Tageszeitung – mit Bild. Darauf war der Mann zu sehen, der ihn in dem neuen Wagen mitgenommen hatte. Darunter stand die Zeile: »Dipl.-Ing. Ferdinand Porsche und vier KdF-Versuchswagen in Leer!«

      Oh nein! Wenn er das nur geahnt hätte! Er war mit dem Konstrukteur des zukünftigen Volkswagens unterwegs gewesen.

      Ach, was hätte er ihn noch alles fragen können!

      *

      An diesem Tag »erledigte« der Führer sein Problem mit der Rest-Tschechei. Ab dem 15. März 1939 besetzten deutsche Truppen das gesamte Land. Die Tschechen sahen keinen Sinn in einer Gegenwehr und kapitulierten, ohne einen Schuss abgegeben zu haben. Ihnen war bekannt, dass England und Frankreich nicht eingreifen würden, obwohl das Vorgehen Hitlers einen klaren Bruch des Münchner Abkommens bedeutete. Mit ihrer Beschwichtigungspolitik hatten Chamberlain und Daladier dem deutschen Diktator dieses Land auf dem silbernen Tablett serviert. Anscheinend schenkte man immer noch den ein ums andere Mal wiederholten Beteuerungen Hitlers Glauben, dies solle seine letzte territoriale Forderung in Europa sein.

      Auch tschechische Fahrzeug- und Rüstungsfabriken wie die Škoda-Werke mit Hauptsitz in Pilsen oder ČKD-Praga fielen in deutsche Hände. Die weitere Produktion nahm die deutsche Wehrmacht ab. Beispielsweise wurden ganze deutsche Einheiten mit dem leichten Kampfpanzer vom Typ 38(t) ausgerüstet. Es handelte sich dabei um die deutsche Bezeichnung. Die Zahl stand für das Jahr der Serienreife in der Tschechei, der Buchstabe für das Herkunftsland.

      8 – Das verschwundene

       Maschinengewehr

      Am 1. September 1939 hatten deutsche Truppen die Grenze zu Polen überschritten. Die Ultimaten Frankreichs und Großbritanniens auf sofortige Einstellung