Jürgen Friedrich Schröder

Feenders


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einem zweifelnden Gesichtsausdruck an.

      »Es müsste irgendetwas mit größerer Verantwortung sein … aber was?« Lilli schaute ihre Großmutter ratlos an.

      Melitta Feenders überlegte einen Moment. Ein Lächeln ging über ihr Gesicht. »Ich habe eine Idee!«

      »Und welche?«

      »Warte mal ab, ich muss erst mit Oltmanns sprechen, ob das geht.«

      »Was haben unsere Nachbarn damit zu tun?«

      »Das verrate ich dir, wenn es geklappt hat.« Melitta Feenders begann zu lachen. »Dein Bruder wird Augen machen!«

      Georg staunte nicht schlecht über den Vorschlag seiner Großmutter. Die alte Dame war klug genug, ihren Enkel nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen. Den Hintergrund ihrer Idee verriet sie ihm wohlweislich nicht.

      »Und ab wann soll das sein?«

      »Wenn du willst, kannst du gleich rübergehen.«

      »Mensch, Oma, das ist ’ne tolle Idee, danke!« Weg war er.

      Ein Weilchen später kam er zurück – mit einer Schubkarre. Und darin lag auf einer Decke ein kleines Hundekind, ein braun-grau gefleckter Jagdterrierwelpe.

      »Oh, ist der niedlich!« Lilli war begeistert.

      »Das ist kein der, sondern eine die!« Georg hob das kleine Tier vorsichtig hoch und nahm es auf den Arm. »Ich werde sie Antje nennen.«

      »Und wer kümmert sich darum?« Lilli musste innerlich lachen, als sie die Idee ihrer Großmutter erkannte.

      »Ich natürlich«, sagte Georg im Brustton der Überzeugung. »Frau Oltmanns hat mir genau erklärt, wie ich das machen muss. Swantje, die Hundemutter, hat vier Junge bekommen. Sie ist bei der Geburt leider gestorben. Daher wollen sie einen Welpen behalten und drei weggeben. Antje ist jetzt mein Hund!«

      »Hoffentlich bringst du ihr nicht lauter Unsinn bei!«

      »Lilli, wie kommst du denn da drauf?«, antwortete Georg empört. Dann musste er selber lachen. »Nee, nee, ich werde mir schon Mühe geben. Antje ist so klein, die kriegt noch die Flasche. Und wenn ich in der Schule bin, übernimmt Oma das, hat sie mir versprochen!«

      Ob Georg wirklich weniger Unfug machte, ist nicht überliefert. Größere Zwischenfälle waren jedoch nicht mehr zu vermelden. Es gab nun zwei, die regelrecht unzertrennlich wurden. Nur als Antje eines Morgens in Georgs Bett lag, da protestierte seine Mutter energisch. Also wurde ein Hundekorb neben das Bett gestellt. Wenn Georg morgens zur Schule fuhr, heulte Antje regelmäßig. Wenn er mittags zurückkam, brachte sie sich bald um vor Freude. Für den Rest des Tages wich sie meist nicht mehr von seiner Seite.

      *

      Schon der »Anschluss« Österreichs und die Besetzung der Tschechoslowakei geschahen unter anderem, um sich der dortigen Industrie und der Bodenschätze zu bemächtigen. Sie waren unabdingbare Voraussetzungen für die weitere deutsche Aufrüstung.

      Am 9. April 1940 um 5.15 Uhr morgens begann das Unternehmen »Weserübung«. Die Besetzung Dänemarks erfolgte aus militärstrategischen Gründen. Hauptziel war jedoch Norwegen mit seinen eisfreien Häfen wie Narvik, dem Endpunkt der von Schweden herführenden Erzbergbahn. Während der dänische König Christian X. seinen unvorbereiteten Truppen jegliche Gegenwehr untersagte, leisteten die Norweger erheblichen Widerstand. In mehreren Häfen des Landes kam es außerdem zu schweren Kämpfen mit den englischen und französischen Expeditionskorps. Vor allem die deutsche Kriegsmarine erlitt hohe Verluste.

      10 – Marijke Dijkstra

      Nieuweschans, Nederland, zaterdag, 4 mei 1940

      Das ganz Besondere an diesem Rad war die Gangschaltung. Die kam aus England von der berühmten Firma Sturmey-Archer. Drei Gänge, einfach über einen Hebel am Lenker zu schalten. Das Fahren mit diesem Wunderwerk war einfach herrlich, auch bei Gegenwind. Aus Groningen hatte ihr Vater das Prachtstück geholt. Die ganze Strecke war er damit hergefahren.

      Marijke kümmerte das wenig. Sie hatte ein sonniges Gemüt und eine freundliche Art, und wenn ihr einer zu nahe kam, konnte sie ziemlich resolut werden. Bislang hatte das jeder respektiert und so machte sie sich keine allzu großen Gedanken. Für einen Freund, Verehrer, Kavalier oder wie auch immer man das nennen wollte, fühlte sie sich einfach noch zu jung.

      Vom deutschen Posten wurde Marijke allerdings kontrolliert, ihr »persoonlijk document« sorgfältig studiert.

      »Gute Fahrt, Fräulein Dijkstra!«, wünschte der Wachhabende und trat aus dem Weg. Höflich waren sie, die deutschen Wachposten. Meist trugen sie keine Helme, sondern nur diese komischen Mützen. Das ließ sie ein wenig menschlicher erscheinen.

      Normalerweise hätte Marijke die Emsfähre bei Leerort genommen. Der Bau der neuen Brücke, vor drei Jahren begonnen, war noch nicht fertig. An der Dampffähre gab es oft längere Wartezeiten. So hatte sie beschlossen, über Bunde und Weener zu fahren und den Bohlenweg an der großen Eisenbahnbrücke über die Ems zu nehmen, obwohl es ein Umweg war.

      Dort an der Emsbrücke stand zwar ein Posten, der sie sehr höflich bat, einen Blick in ihre Fahrradtaschen werfen zu dürfen, aber das war es auch schon.

      »Obacht!«, hatte der Soldat noch gesagt. »Die Bohlen sind glitschig, schieben Sie Ihr Rad lieber!«

      Nun ging es den alten Klosterweg entlang bis zur nächsten Eisenbahnbrücke.