töten?«
Selena riss die blauen Augen erschrocken auf. »Es geht also um Mord?«
»Ganz genau. Eine Frau wurde erstochen und anschließend in einem weißen Kleid mit Blumen drapiert und mit Devotionalien ausgestattet. Für uns sieht das wie ein Ritualmord aus.«
»Und du meinst, dass jemand von uns dafür verantwortlich ist?«
»Ich meine nicht, ich recherchiere, um die Wahrheit herauszufinden.«
»Also diese Hexe, die in der Region um Hirschhorn aktiv ist, halte ich persönlich für sehr umtriebig, aber völlig harmlos. Sie gibt auch Meditationskurse und bietet Kräuterwanderungen an.«
»Kannst du mir trotzdem ihren Namen und, wenn du hast, ihre Telefonnummer geben?«
»Das mit dem Namen und der Adresse ist so eine Sache«, meinte Selena. »Die meisten Hexen geben sich aus Selbstschutz nicht unter ihrem richtigen Namen zu erkennen. Ich schau mal, ob ich Moira auf der Bestellliste entdecke. Sie ordert ab und zu Räucherwerk und anderen Kleinkram bei mir.«
Während Selena ihre Auftragsdateien auf dem Computer öffnete, blickte Martina Lohse auf ihr Handy. Keine Nachricht von Gunter Haase. Er hatte ihr versprochen, Bescheid zu geben, sobald der Pathologe in Frankfurt seinen Bericht gemailt hatte.
»Hier habe ich sie!« Selena reichte der Kommissarin triumphierend einen Zettel mit der Handynummer.
»Danke. Ich werde bei dieser Moira nachhaken.«
»Aber dir drückt doch noch was auf der Seele.«
»Ja«, gestand Martina. »Du hast eben gesagt, dass ihr gerade dieses Frühlingsfest begangen habt.«
»Du meinst Ostara. Es ist eines unserer acht Feste im Jahreskreis und steht für den Neubeginn. Die Göttin erwacht nach dem langen Winterdunkel und bringt Licht und Fruchtbarkeit über die Erde. Das feiern wir mit verschiedenen Ritualen. Manche sind denen, die Christen zu ihrem Osterfest begehen, übrigens sehr ähnlich.«
»Kommen bei diesen Ritualen auch Blumen vor?«
»Selbstverständlich! Was wäre die Tagundnachtgleiche ohne Blumen? Wir verwenden sogenannte Sabbatkräuter.«
»Die da wären?«
»Eine Auswahl von Frühlingsblumen, die zu Ostara blühen. Narzissen und Osterglocken, Iris, Veilchen, Stechginster, Waldmeister. Dazu Birken- und Haselgrün sowie Forsythienzweige.«
»Eure Opferblumen sind aber nicht alle weiß, oder?«
»Nein.« Selena schüttelte den Kopf. »Der Jahreszeit entsprechend bunt gemischt.«
»Und ihr verwendet nur Blumen für eure Rituale?«
»Und anderes Hexenwerk.«
Nach dem netten und aufschlussreichen Gespräch fiel es Martina Lohse schwer, die nächsten beiden Fragen zu stellen. »Kannst du Menschenopfer zu diesem Ostarafest definitiv ausschließen?«
»Das werde ich immer mal wieder gefragt«, seufzte Selena Sinten. »Doch da muss ich dich enttäuschen. Menschenopfer gehören in die Sparte Horrorfilm. Oder in die Märchenwelt. Mit ›Hänsel und Gretel‹ haben wir modernen Hexen nichts zu schaffen.«
»Gut.« Die Kommissarin machte sich zum Gehen bereit. »Nur noch eine letzte Frage. Wo warst du und auch dein Mann am frühen Samstagmorgen?«
Selena Sinten lachte gutmütig auf. »Ich nehme an, du musst das fragen, oder?«
Martina Lohse nickte.
»Im Bett. Aber bevor du voreilige Schlüsse ziehst: Wir haben dafür einen Zeugen.«
»Tatsächlich?« Martina spürte, wie sich Erleichterung in ihr breitmachte.
»Um sieben schaute der Dachdecker durch unser Dachfenster. Wir hatten im wahrsten Sinn des Wortes verpennt, dass er wegen des undichten Kaminanschlusses vorbeischauen wollte.«
Martina Lohse reichte ihr den Zettel, auf dem die Telefonnummer der Hexe Moira stand. Selena fügte den Namen und die Adresse des Dachdeckers hinzu.
»Also dann, auf Wiedersehen!« Die Kommissarin streckte die Hand aus.
»Würde mich freuen«, erwiderte Selena Sinten und griff nach einem der Papiertütchen auf dem Tablett. »Finnischer Waldtee. Hilft dabei, einen klaren Kopf zu bekommen.«
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