Andreas Schröfl

Pfaffensud


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großen Schluck Wasser hinunter und schickte gleich noch zwei Kopfwehtabletten hinterher. Sofort wurde das Brennen gelindert, und ein satter Rülpser stieg aus der Speiseröhre hoch. Die Magensäure war neutralisiert, und er war wieder halbwegs hergestellt. Er bespritzte sein Gesicht kurz mit Wasser und fuhr mit den feuchten Händen durch seinen spärlichen Haarkranz. Haareschneiden war auch wieder einmal angesagt Aber für wen? Die alten Weiber in der ersten Reihe würden ihm auch so bei seinen unmotivierten Predigten zuhören.

      Nun erst bemerkte er seinen furchtbaren Durst. Was würde er nun für eine Weißweinschorle geben? Haus und Hof? Ein Königreich? Seine Seele? Allein der Gedanke an das prickelnde kühle Nass mit dem säuerlichen Geschmack ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ein Fall für eine weitere Natrontablette.

      Er öffnete den Kühlschrank, rülpste noch einmal, aber weit und breit kein Chardonnay, kein Veltliner noch sonst eine Rebsorte zu entdecken. Aber eines war klar: Ohne Gute-Nacht-Schluck würde er keinen Schlaf finden und sich ewig im Bett wälzen. Am nächsten Tag würde er total verkatert und zerstört aufwachen, und die Frühmesse würde eine Tortur für ihn darstellen. Solche neumodischen Sachen wie das Wiederaufleben einer Roratemesse, die gefühlt mitten in der Nacht stattfand, lehnte er aus diesem Grund völlig ab.

      Missmutig schloss er den Kühlschrank und streifte seine Soutane über, die zwar über seinem Ranzen spannte, aber selbst zu solch einer späten Stunde hätte er sich nicht im Bademantel in die Sakristei getraut. Auch wenn er lediglich eine Flasche Messwein holen wollte.

      In diesem Moment fiel ihm ein, dass er den Ministrantenstammtisch wieder einmal vergessen hatte. Also eher verschlafen, aber der anstrengende Tag eines Geistlichen mit Weißwurstfrühstück im Kreis seiner Kollegen und ein opulentes Mittagessen mit dem CSU-Ortsverband hinterließen Spuren. Dazu kamen Kaffee und Kuchen beim Tanztee im Pfarrsaal mit den älteren Damen. Anschließend ein paar Halbe im Bierstüberl gegenüber. Da kannst du einen Stammtisch schon mal versäumen.

      Er zog seine Hose unter dem Pfarrersgewand hoch und merkte, dass der Gürtel trotz des neu hinzugefügten zusätzlichen Lochs schon wieder zu eng war. Missmutig schloss er ihn trotzdem. Ab morgen würde er eine Diät anfangen.

      Er öffnete die Tür, die vom Pfarrheim zu Kirche führte, und wollte sich im spärlich beleuchteten Gotteshaus zur Sakristeitür schleichen, doch schon als er in den Altarraum trat, kam ihm etwas anders vor als sonst. Von rechts, aus dem hintersten Teil der Kirche, wo sich der Hochaltar befand, konnte er einen flackernden Lichtschein ausmachen und zischende Geräusche vernehmen.

      Pfarrer Zechbauer schritt zögerlich aus der Tür und schwenkte in diese Richtung.

      Vor dem Altar, der ganz an der hinteren Wand der Kirche erbaut war, war eine Leiter aufgestellt worden, die von einer schwarzen Gestalt gesichert wurde. Oben auf der Leiter stand eine weitere Gestalt, die dabei war, die weiße Wand über dem Altar mit Farbe zu besprühen.

      Wehe denen, die sich früh am Morgen aufmachen, um Rauschtrank nachzujagen, die bis spät am Abend bleiben, dass der Wein sie erhitze! Zither und Harfe, Tamburin und Flöte und Wein gehören zu ihrem Gelage. Aber auf das Tun des HERRN schauen sie nicht, und das Werk seiner Hände sehen sie nicht, Jes 5,11-13

      war in roter Farbe in großen Lettern zu lesen.

      Die Gestalt auf der Leiter drehte sich zu Zechbauer um. Es war das gehörnte Gesicht des Teufels, das ihn feindselig anblickte.

      Pfarrer Zechbauer grunzte wieder, und ihm entkam ein leise gehauchtes »Zefix!«. In diesem Moment wurde er ohnmächtig.

FREITAG

      1.

      Es war soweit. Das langersehnte Fest war endlich da. Heute war Firmung! Die von der Martina, also von Sanktus’ Stieftochter. Eigentlich hat sich der Sanktus, obwohl er nicht der wirkliche Extremkatholik vor dem Herrn war, auf den Tag gefreut, doch jetzt ist er, gefühlt seit fast einer Stunde, auf dem engen Klo der Haidhauser Altbauwohnung gesessen und hat auf sein Handy gestarrt. Nicht, dass du meinst, eine schlechte Nachricht auf dem Display, nein, nur das Solitär-Kartenspiel. Kurz und gut, der Sanktus hat sich einfach nicht aus der Toilette hinausgetraut, weil draußen Chaos. Meinst du, kannst du ihm nachfühlen, da die Kathi und die Martina herumgefuhrwerkt haben wie zwei Berserkerinnen? Das natürlich auch, aber es war zusätzlich ein weiterer Krisenfaktor hinzugekommen: Birthe Dombrowski, eine alte Freundin von der Kathi, und jetzt halt dich fest, aus Dresden!

      Das »Dadüdada« hätte der Sanktus ja auch noch vertragen, weil ja Dialektfan, aber diese Frau, wenn sie geredet hat, hat direkt gesungen, mit so einer hohen Stimme, und jetzt pass auf, die Zeit, in der sie am Tag den Mund einmal gehalten hat, war so ungefähr auf 20 Minuten begrenzt. So ist es dem Sanktus zumindest vorgekommen, denn dieses Weib hat den ganzen lieben langen Tag geschnattert, da wirst du verrückt. Dauerbeschallung kein Ausdruck. Und das Schlimme an der Sache, sie hat die Kathi mitgezogen, und die hat somit ungefähr zehnmal so viel geredet wie sonst. Normalerweise hat die Kathi nie kopflos drauflosgeplappert, sondern immer erst ihr Hirnkastl eingeschaltet. Das war die Eigenschaft, außer ihren wunderschönen Zehen und ihrem Humor natürlich, die der Sanktus an der Kathi so gemocht hat, aber dieser Schalter war anscheinend gerade auf »Off« gestellt und der Sanktus am Leiden.

      Wie kannst du dir die Birthe jetzt vorstellen? Sie war blond, ihre Haare hat sie zu einem Knoten auf dem Kopf zusammengefasst gehabt, aber nicht hinten, sondern zentral oben, wie die kleine My von den Mumins, also Fernsteuerantenne Anfänger. Ihr Gesicht war, abgesehen von dem brutal überschminkten roten Mund, ganz hübsch, aber die Erscheinung! Nix für den Sanktus. Die Birthe hat circa 100 Kilo gewogen und hat in ihrer unpassenden Kleidung ausgesehen wie eine abgepresste Blutwurst. Wäre auch noch gegangen, aber ihre Füße für den Sanktus halt überhaupt nicht tragbar. Sie hat extrem hässliche Zehen gehabt, die sie, es war ja warm, da Juni, barfuß zu jeder Gelegenheit auf dem Sofa oder auf einem Stuhl in die Höhe gereckt hat. Und immer »Dadüdada und Gänsefleisch«.

      Der Sanktus, der die Birthe vorher nicht gekannt hat, war voller Tatendrang gewesen und hatte den Damen einen Schweinsbraten mit Blaukraut und Knödel gekocht, weil man muss ja jemand aus einem anderen Bundesland die bayerischen Schmankerl näherbringen, aber weit gefehlt, da Veganerin. Wie kannst du jetzt, wenn du nur Grünpampf frisst, so einen Ranzen in der Gegend umeinander schleppen, hat sich der Sanktus gefragt. Ist ihm dann auch plausibel erklärt worden, denn der Veganerwahn sei aus ihrem Abnehmwahn entstanden. Jo-Jo-Effekt-Vorbeugung hat es geheißen. Alkohol hat sie aber schon getrunken, und bei den Mengen an Wein, die sie weggepumpt hat, hätte sie auch eine halbe Sau in der Semmel essen können, Meinung vom Sanktus. Aber die war ja bei den Damen nicht gefragt. Ob das Etikett der Weinflasche mit veganem Kunstleim oder auf gar ketzerische Weise mit nichtveganem, auf Milcheiweiß basierendem Caseinleim draufgepickt war, war der Dame aber wurscht.

      So hat sie halt das Blaukraut und die trockenen Kartoffelknödel mit zwei Flaschen Merlot runtergespült, und der Lärmpegel hat proportional zur Rotweinabnahme zugenommen.

      »Ünd do Zwinger und die Semperöper und da müsstet ihr ünbedingt mol kömm. Und weste noch früher?«, und so weiter.

      Und dann haben die Damen in Erinnerungen geschwelgt, wie toll es damals war, als die Kathi sie mal in Dresden besucht hat, und wie viel Männer die Birthe seinerzeit abgekriegt hat und so weiter. »Gloobste nüsch, nö?«

      Und wenn der Sanktus die Birthe angeschaut hat, hat er das auch nicht geglaubt. Aber mei, weiß man’s? Steckst du nicht drin.

      Die Martina hatte den Ausführungen am Anfang noch interessiert gelauscht, weil Weibergespräch, hatte aber dann auch schnell eine Müdigkeit vorgetäuscht und war ins Bett gegangen. Der Schorschi, Sanktus’ Sohn, und er selbst waren auch, nach Verstreichen eines unauffälligen Zeitraums, gefolgt. Die Frauen hatten noch bis 1 Uhr weitergemacht, und da das »Dadüdada« inzwischen recht laut gewesen war, war für den Sanktus an Schlaf nicht zu denken gewesen.

      Wenn du jetzt meinst, das kannst du deiner Frau zuliebe mal aushalten, liegst du falsch, weil die Birthe war nicht nur zwei Nächte, sondern jetzt schon eine geschlagene Woche bei ihnen in München und der Sanktus kurz vor dem Durchdrehen. Baldiger Amoklauf relativ wahrscheinlich!

      Der Sanktus