hat der Sanktus mit mahnender Stimme und erhobenem Zeigefinger deklamiert, »auf dem Platze der Kirche darfst du doch nicht fluchen. Schäme dich, Weib! Wir hatten ein Bedürfnis, dem nachgegangen werden musste.«
»Hä?«
»Beim Pieseln waren wir halt, der Graffiti und ich.«
»Ja, is scho recht. Jetzt komm. Alle sitzen schon drin.«
5.
Und jetzt ist dem Sanktus genau das passiert, was er eigentlich mit dem Gang zur Toilette vermeiden hat wollen. Die Leute haben in der Kirchenbank wegen ihm aufstehen müssen, und natürlich Kopfschütteln und abfälliges Gemurmel. Der Kathi war das furchtbar peinlich, nur dem Graffiti war das egal. Er ist einer Übermutter, die sich am lautesten beschwert hat, dass man ja auch pünktlich zum Gottesdienst in die Bank kommen könnte, einfach auf ihre weißen Lackschuhe getreten, ist da drauf kurz verweilt, hat sich freundlich entschuldigt, noch einmal das Gewicht verlagert, damit die Zehen wirklich blau werden würden, und hat sich mit einem Lächeln zum freien Platz neben der Sandy weiter durchgearbeitet. Kommentare der Übermutter gar nicht so christlich.
Direkt, nachdem der Graffiti gesessen war, hat die Glocke geläutet, die Gemeinde hat sich erhoben, die Ministranten und der Pfarrer Hintermeier, ein mittelgroßer, etwas korpulenter Herr mit Bart und Brille, sind in den Altarraum geschritten, aber dann hat den Sanktus fast der Schlag getroffen, denn die Kathi hatte weit vorn einen Platz ergattert, und somit hat er eine gute Sicht gehabt. Der zweite Geistliche mit der Bischofsmütze, der Abt vom Berg, der die Firmung durchgeführt hat, ist nun aus der Sakristei gekommen, und er war niemand anderes als der Mann, den der Graffiti grad vorher auf dem Pfarrheimklo am Schlawittl gehabt hat.
Der Sanktus hat zum Graffiti geschaut, und der hat ein diabolisches Lächeln auf den Lippen gehabt. Gar nicht gut. Nein. Gar nicht gut, Meinung vom Sanktus. Gefährlich, aber hat ja jetzt gerade nichts passieren können. Wenn der Sanktus gewusst hätte, wie falsch er mit dieser Schlussfolgerung gelegen ist, hätte er sich nicht so entspannt in die Kirchenbank gefläzt und durchgeschnauft.
Der Pfarrer Hintermeier hat die Messe in seiner umgänglichen, niederbayerischen sympathischen Art perfekt gestaltet und der Sanktus war froh, dass die Zeit wie im Flug vergangen ist.
Als die Firmlinge mit ihren Paten vorgetreten sind, hast du ein Blitzlichtgewitter gesehen, dass du meinst, du bist bei den Filmfestspielen in Cannes oder bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles. Tausende von selbsternannten Hoffotografen haben sich aus den Bänken geschält, um den besten Blick auf ihre pubertierenden Schratzen zu erhalten und den Schnappschuss ihres Lebens zu machen.
Der Pfarrer Hintermeier hat die umtriebige Fotografenmenge mit einem Grinsen im Gesicht aufgefordert, sich wieder zu setzen, da er sonst nicht weitermache, und die Kirche dann wohl so lange dauern würde, dass die Weißwürste definitiv das Zwölf-Uhr-Läuten hören würden oder es sie gar zerreißt. Ein Affront im katholischen Bayern, und so hat sich die Menge wieder zurück in die Bank gepresst. Völkerwanderung Scheißdreck dagegen.
Der Sanktus hat von hinten auf seine Martina geschaut und war stolzer Vater, obwohl sie nicht seine leibliche Tochter war. Aber sie hatte seine Prägung, sprich, sie war halt doch irgendwie eine Sanktjohanser, auch wenn die Pubertät alles versucht hat, um die humorige bayerische Gelassenheit aus ihr zu vertreiben. Ja, sie hat sogar angefangen, daheim Hochdeutsch zu reden, also nach der Schreibe, was den Sanktus wirklich fertiggemacht hat. Aber zwischendrin, also zwischen Telefon und Smartphonewischen, war sie dann wieder ganz die Alte, und der Sanktus hat erneut Hoffnung geschöpft. Sie war halt sein kleines Mäderl und würde es für immer bleiben.
Der Schorschi, der neben ihm gesessen ist, hat ganz leise gefragt: »Wann ist des endlich aus? Ich hab Hunger!«
Der Sanktus hat ihm über den Kopf gestreichelt und gemeint, dass es wohl noch 20 Minuten dauern würde.
»Bei dir dauert immer alles 20 Minuten«, hat der Bub gemeint. »Und dann dauert’s ewig.«
Der Sanktus hat schmunzeln müssen. Wie so oft hatte ihn sein Sohn wieder einmal entlarvt. Die Kathi, die den Dialog mitbekommen hatte, hat gelächelt und dem Schorschi die Hand gedrückt.
Als Firmling und Patin an der Reihe waren, hat die Anna der Martina von hinten die Hand auf die Schulter gelegt, und der Abt hat dem Mädchen ein Kreuzzeichen mit Chrisam auf die Stirn gezeichnet. Dann hat er sich kurz mit der Martina unterhalten, und die nächsten waren an der Reihe. Eigentlich ein sympathischer Mensch, hat sich der Sanktus gedacht. Was hat der Graffiti wohl gegen ihn gehabt? Oder doch eine Verwechslung? O mei! Das würde wieder ein Gewürge werden, bis er das aus seinem alten Spezl herausbekommen würde.
6.
Nachdem der Gottesdienst vorbei war, haben sich alle Beteiligten auf dem Vorplatz der Kirche versammelt, wo bereits weiße Stehtische aufgestellt waren. Nun konnte sich jeder stärken, denn es gab Sekt, Bier, alkoholfreie Getränke sowie Canapés.
Der Schorschi ist schnurstracks zur Bar gerannt und mit einer Orangenlimonade zurückgekommen.
»Der ist viel zu brav«, hat der Sanktus gemeint. »Der kommt dir nach, Kathi. Ich hätt auf jeden Fall ein Cola dahergebracht.«
»Oder gleich eine Halbe Bier«, hat die Kathi schmunzelnd gemeint. »Aber hast recht. Ein braver Bub ist er, Gott sei Dank.«
Die Martina ist gerade mit der Anna zu der Gruppe hergekommen, beide Damen waren mit einem Glas Sekt mit Orangensaft bewaffnet, da war auch schon die Birthe wieder auf dem Tableau. Gott sei Dank hatte sie in der Sandy ein williges Opfer gefunden, das sich nicht getraut hat, ihr einen Korb zu geben oder einfach abzuhauen, und die Birthe hat gnadenlos in sie hineinblubbern können. Dem Sanktus war es recht, da der Graffiti eh noch nicht aus der Kirche herausgekommen war. Komisch, denn der Sanktus hat sich nicht vorstellen können, dass sein Freund länger als nötig in einem Gotteshaus verweilt. Aber sei’s drum, die Sandy und die Birthe waren aufgeräumt, die Mädels haben geratscht und der Hannes war mit dem alten Sanktjohanser völlig unterhopft zu dem Tisch, wo es das Bier gegeben hat, durchgestartet. Natürlich haben sie dem Sanktus und dem Graffiti auch ein Bier mitgebracht. Doch der Spezl war immer noch nicht da.
Auf einmal ist der Pfarrer Hintermeier bei den Herren gestanden und hat mit ihnen angestoßen. Wie immer war er in eine schwarze Soutane gekleidet. Anders hast du ihn nirgends antreffen können. Selbst wenn er mit seinem Mountainbike durch München geradelt ist, hat er dieses Gewand angehabt. Wie er es geschafft hat, mit dem Stoff nicht in der Kette des Radls hängenzubleiben, war dem Sanktus ein Rätsel.
»Prost. Kennen mia zwoa uns?«, hat er den Sanktus gefragt. »Sie komma mir so bekannt vor. Aber ich weiß jetzt ned, wo ich sie hintun muss.«
Der Sanktus, personengedächtnismäßig seit eh und je schlecht, hat den Kopf geschüttelt.
»Ich auch ned, aber bekannt schon, äh, ja, ja …«, hat er geflunkert.
»Wurscht. Komma schon no drauf, aber hobts es den Abt g’sehn? Der geht ma no ab. I hob ja drin versprochen, dass na alle jetzt Fotos mit eahm machen können. Wo is na der? Der wollt sich eigentlich nur noch in Ruhe umziehn. I schau amoi«, hat er gemeint und sich zum Gehen umgedreht.
»Moment, Herr Pfarrer«, hat der Sanktus gemeint. »Ich geh mit. Mir geht nämlich mein Spezl, der Himsl Quirin, noch ab.«
»Na pack ma’s! Auf geht’s«, hat der Hintermeier gemeint, und die beiden sind in Richtung Kirche und durch das große Portal wieder in den mächtigen Backsteinbau hinein.
Sie sind durch die langen dunklen Bankreihen mittig durch das Kirchenschiff in Richtung Altar geeilt. Dem Sanktus war bereits klar, dass irgendetwas nicht stimmen hat können, denn, wenn der Graffiti jemanden am Vormittag eine aufstreichen will und zwei Stunden später gehen diese Person und der Graffiti ab, dann kannst du eins und eins zusammenzählen. So schaut’s aus! Nicht, dass der Graffiti aggressiv wäre oder ein großer Schläger, brauchst du nicht glauben. Außerdem hat es lange gedauert, bis man den Graffiti so gereizt hat, dass er ausfallend wird. Handgreiflich eigentlich nie, also privat. Geschäftlich hätte der Sanktus jedoch keineswegs