Hanna Nolden

Tripod – Das schwarze Kätzchen


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Tanja lachte. „Na, da bin ich aber beruhigt.“

      Karin setzte mich wieder ab, und ich strich um ihre Beine, um ihr deutlich zu machen, wie dankbar ich war.

      „Ist ja nicht so, dass ich nicht auch Trost gebrauchen könnte“, seufzte Karin und setzte sich wieder. „Er macht es mir nicht leicht. Wir hatten immer so einen guten Draht zueinander, doch seit dem Unfall lässt er mich nicht mehr an sich heran. In der Reha hatte er therapeutische Unterstützung, aber seit er wieder zuhause ist, lehnt er alles ab. Ich kann schon froh sein, dass er zur Schule geht. Sonst würde er die ganze Zeit nur vor dem Rechner sitzen.“

      „So wie du“, frotzelte Tante Tanja, und Karin musste lachen.

      „Ach, wer will schon, dass die Kinder so werden wie man selbst? Mit Kreativität habe ich es auch versucht. Mal doch mal ein Bild, schreib Gedichte, vielleicht ein Tagebuch? Nichts. Er verbringt Tage und Nächte in diesem dämlichen Onlinespiel.“

      „Lass ihm Zeit“, sagte Tante Tanja sanft und legte eine Hand auf Karins Arm. Dann sah sie auf ihre Uhr. „Apropos Zeit: ich muss langsam los. Da wartet noch ein Dutzend anderer Tiere auf meine Zuwendung.“

      Die Frauen standen auf und umarmten einander.

      „Schön, dass du da warst, und danke für alles.“

      Jetzt war der Moment gekommen, den ich gefürchtet hatte. Tante Tanja ging neben mir in die Hocke und kraulte mich hinter den Ohren.

      „Tja, Flint, ich hätte dir einen besseren Start gewünscht, aber das wird bestimmt noch. Ich komme dich auf jeden Fall mal besuchen. Versprochen.“

      Ich stieß meinen Kopf gegen ihre Hand, schnurrte und versuchte, tapfer zu sein. Für einen kurzen Augenblick dachte ich an meine Mama, meine richtige Mama. Wir hatten nie die Möglichkeit uns zu verabschieden. Das war diesmal anders. Und das war gut so. Karin brachte Tante Tanja zur Tür und dann waren wir nur noch zu zweit. Karin setzte sich wieder an den Küchentisch und sah mich ratlos an. „Weißt du was? Man sagt zwar immer, dass eine Katze das Haus Zimmer für Zimmer kennenlernen soll, aber du bist so ein mutiger kleiner Kerl, du kannst es bestimmt verkraften, wenn ich dir den Rest des Hauses zeige. Komm mit!“

      Sie nahm mich wieder auf den Arm, vermutlich, weil sie dachte, ich hätte sie nicht verstanden und würde ihr nicht folgen. Ich protestierte nicht. Ich schnurrte. Sie öffnete eine Tür und sagte: „Hier ist unser Wohnzimmer. Früher haben wir hier immer zusammengesessen und ferngesehen. In letzter Zeit haben wir es nicht mehr so oft benutzt. Ich bin meistens in meinem Arbeitszimmer und Ben in seinem Zimmer. Aber ich habe mir gedacht, dass wir das wieder ändern sollten. Ich kann auch am Laptop arbeiten. Durch die Fenster kannst du unseren Garten sehen.“

      Ich sah mir alles genau von Karins Arm aus an und hoffte, dass sie nicht näher an die Fenster heranging, obwohl das Wort Garten nicht so gefährlich klang. Das Zimmer sah schön aus und das große Sofa super bequem. Wir gingen weiter und Karin zeigte mir das Gäste-WC, wo sie ein Klo für mich aufgebaut hatte. Als ich das sah, musste ich plötzlich ganz dringend und fing an, auf Karins Arm zu zappeln. Sie verstand mich zum Glück sofort: „Oh, du willst es gleich ausprobieren? Alles klar.“

      Behutsam setzte sie mich auf dem Boden ab, und ich hüpfte in mein neues Kistchen. Das Streu war ganz frisch und roch gut. Man konnte prima darin buddeln. Ich war zufrieden und nachdem ich mich erleichtert hatte, war ich bereit, den Rest des Hauses zu sehen. Karin nahm mich wieder auf den Arm und erzählte: „Die anderen Räume sind oben. Dafür müssen wir die Treppe hochgehen.“

      Interessiert betrachtete ich die Treppe. So hieß das Ding also. Oben gab es ein weiteres Badezimmer, wo Karin ein zweites Katzenklo für mich aufgestellt hatte. Darüber freute ich mich riesig, aber diesmal musste ich es nicht gleich ausprobieren.

      „Ja, und hier ist mein Arbeitszimmer. Da verbringe ich die meiste Zeit. Direkt von da aus kommt man in mein Schlafzimmer. Ja, und dann bleibt noch diese geschlossene Tür. Da geht es in Bens Zimmer.“

      Sie klopfte an die Tür, wartete auf eine Reaktion und drückte die Klinke runter, als Ben von drinnen brummte.

      Kapitel 6

      Mama öffnete die Tür und betrat leise wie eine Maus das Zimmer. Sie hatte das dreibeinige Kätzchen auf dem Arm und sah sehr unglücklich aus. Ben tat sein Wutausbruch leid, war aber zu stolz, es zuzugeben. Er hatte sich das Headset vom Kopf geschoben und das Mikrofon stumm geschaltet, damit Oliver von dem Gespräch nichts mitbekam.

      „Also behalten wir das Kätzchen?“, fragte er.

      „Natürlich behalten wir das Kätzchen“, sagte seine Mutter und drückte das Tier fester an sich. „Und ich habe es nicht extra für dich besorgt. Meine Freundin Tanja hat das arme Ding vor ein paar Wochen gefunden und aufgepäppelt. Seitdem bekniet sie mich, es zu nehmen. Ich habe mich dagegen gewehrt, ehrlich!“

      Ben verzog den Mund. Gut, dann hatten sie jetzt eben einen behinderten Jungen und eine behinderte Katze im Haus. Wie auf Kommando fing die Katze so wild an zu zappeln, dass Mama sie nicht länger halten konnte. Mit einem Satz sprang sie von Mamas Arm, rannte Richtung Schreibtisch und war mit einem Umweg über Bens Schoß auf der Arbeitsplatte. Gegen seinen Willen musste Ben grinsen.

      „Na, der kommt ja prima zurecht. Erinnert mich an Oliver. Wie war noch gleich sein Name.“

      „Flint“, antwortete Mama, sah seinen Gesichtsausdruck und meinte: „Aber ich bin sicher, dass er auch auf einen anderen Namen hören wird, wenn du ihn umbenennst.“

      Zögerlich streckte Ben die Hand aus und kraulte das Nackenfell der Katze.

      „Ich denk mal darüber nach.“

      „Dann … dann kann ich ihn hier bei dir lassen?“, druckste Mama herum. „Ich muss nämlich noch 1000 Wörter schreiben, weißt du?“

      Ben verdrehte die Augen.

      „Alles klar. Geh schreiben. Lass die Tür einen Spalt offen, falls das Vieh zu dir will.“

      „Sag nicht Vieh zu ihm!“, schimpfte Mama und machte den Eindruck, als würde sie gleich auf die Katze zustürmen und sie schützend an ihr Herz drücken wollen. Resigniert schüttelte sie den Kopf, aber dann waren ihr die 1000 Wörter wohl wichtiger und sie ging aus dem Zimmer. Ben seufzte, schnappte sich das Kätzchen und hob es vom Schreibtisch.

      „Sorry, kleiner Kater, aber ich bin online und will Oliver nicht zu lange warten lassen.“

      Er setzte sich den Kopfhörer auf, doch das Kätzchen war hartnäckig und sprang wieder auf seinen Schoß. Da rollte es sich zusammen und fing an zu schnurren. Ben rückte etwas vom Schreibtisch ab und betrachtete das schwarze Fellbündel auf seinem Schoß.

      „Du kennst mich doch gar nicht“, sagte er. „Schämst du dich nicht, fremde Männer einfach so anzuschnurren? Aber gut, meinetwegen kannst du da liegenbleiben.“ Er aktivierte das Mikrofon. „Bin zurück.“

      „Was war denn?“, drang Olivers Stimme aus dem Kopfhörer.

      „Meine Mutter. Sie hat mir eine Katze geschenkt. Eine dreibeinige Katze.“

      „Echt jetzt? Wie cool!“

      War ja klar, dass Oliver so dachte. Manchmal hatte Ben den Eindruck, ihm hätte nichts Besseres passieren können, als ein Bein zu verlieren. Als würde ihn das irgendwie besonders machen. Aber das Besondere an Oliver war vermutlich seine positive Einstellung. Alles, was geschah, geschah aus einem bestimmten Grund. Insgeheim beneidete Ben ihn um seine Einstellung.

      „Naja“, machte er. „Find ich jetzt nicht so. Wie würdest du sie denn nennen?“

      „Keine Ahnung, Mann. Ich hab ja noch nicht einmal einen coolen Namen für mein Pferd hier. Hast du schon einen für deins?“

      „Kein Plan. Kleiner Donner?“

      Oliver prustete los. „Sag bloß, du guckst noch Yakari?“

      Die