Hanna Nolden

Tripod – Das schwarze Kätzchen


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Wie von Geisterhand standen sie nach dem Klick neben ihnen. Olivers war pechschwarz, während Bens weiß mit schwarzen Kuhflecken war. Den Pferden konnte man auch Namen geben, aber Ben verschob die Entscheidung auf später. Bis auf Kleiner Donner war ihm noch nichts Gescheites eingefallen. Mit einem Tastendruck saßen sie auf, dann war das Pferd genauso zu steuern wie die Spielfigur. Sie ließen Yuki stehen und preschten davon.

      „Juhuuuu!“, rief Oliver. „Oh, das ist so cool!“

      Ben grinste. Er wusste genau, was Oliver fühlte, denn ihm ging es genauso. Die Landschaft raste vorbei und er fühlte sich frei und lebendig. Als würde er wirklich auf einem Pferd sitzen und über die Ebene preschen. Als wäre er ein gesunder Junge auf zwei gesunden Beinen. Er hörte Yuki lachen.

      „Oh, die sehen toll aus“, sagte sie. „Und ihr seid voll süß, wie ihr euch freut.“

      Wir?, dachte Ben. Schließlich hatte er kein Wort gesagt. Aber er nahm es hin.

      „Ich gebe mal meine Blumen ab. Treffen wir uns gleich im Gildenhaus?“

      „Klar“, sagte Oliver.

      „Mal sehen“, meinte Ben. Er hätte sie jetzt lieber aus dem TS rausgeworfen und sich allein mit Oliver unterhalten, aber er wusste, dass Oliver da vermutlich keinen Bock draufhatte. Ihm gefiel es, mit Yuki zu quatschen, das konnte Ben an seiner Stimme hören. Nun war es ja nicht so, dass sie ihm unsympathisch wäre, aber er konnte halt nicht so offen sprechen wie sonst. Da kam ihm das Schicksal entgegen und Yuki sagte: „Mist. Meine Mutter ruft zum Essen. Seid ihr heute Abend nochmal on?“

      „Logo“, meinte Oliver.

      „Dann bis später!“

      Und weg war sie.

      „Boah“, machte Oliver. „Fassen wir mal zusammen: Sie wohnt noch bei Muttern, also wird sie nicht zu alt sein. Und sie ist echt verdammt süß!“

      „Sie klingt süß“, verbesserte Ben. „Du hast doch keine Ahnung, wie sie aussieht.“

      „Wen interessiert, wie sie aussieht, wenn sie nett ist?“, fragte Oliver und erwischte Ben damit eiskalt. Verdammt. Oliver hatte ihm schon oft vorgeworfen, wie oberflächlich er war und irgendwie hatte er sogar recht damit. Auch jetzt konnte Oliver sich nicht zurückhalten und setzte nach: „Alter, wir sind einbeinige Krüppel! Ich will, dass sich ein Mädchen in mich verliebt, weil sie mich nett findet. Und mir ist bei einem Mädchen auch wichtig, dass sie nett ist. Ganz egal, wie sie aussieht.“

      „Ist ja schon gut“, gab Ben nach. „Du hast ja Recht. Aber ich gucke mir Mädchen trotzdem lieber an, wenn sie gut aussehen.“

      „Gucken ist gucken und chatten ist chatten“, meinte Oliver. „Naja, wahrscheinlich wohnt sie eh am Arsch der Welt. Aber nett ist sie.“

      Da wollte Ben nicht widersprechen. Der erste Eindruck war jedenfalls nett. Sie ritten noch ein wenig um die Wette und Oliver erzählte Ben von der Schule. Er fragte ihn auch ein wenig zu seinem Schulalltag, aber Ben blockte ihn ab. Er wollte nicht über die Schule sprechen. Er wusste nicht, ob Oliver ebenfalls gemobbt wurde und sich die ganzen positiven Geschichten nicht einfach ausdachte, aber so wie er Oliver einschätzte, stimmte das, was er sagte, tatsächlich. Oliver war der Typ Mensch, den jeder auf Anhieb mochte. Er ging auf die Menschen zu, hatte immer gute Laune und sah alles positiv. Er war das genaue Gegenteil von Ben. Und das war wohl der Kern des Übels.

      Kapitel 7

      Schnurrend döste ich auf Bens Schoß und folgte dem, was Ben sagte, nur halbherzig. Ein paar Mal schlief ich sogar richtig tief ein. Hinter mir lag ein langer und aufregender Tag und ich war wirklich müde. Ich wurde wach, als Ben mich von seinem Schoß hob und aufstand.

      „Riecht nach Essen“, sagte Ben zu mir und ging aus dem Zimmer. Ich folgte ihm in die Küche und knusperte etwas Trockenfutter, während er Karin beim Kochen half. Karin gab sich gut gelaunt, huschte durch die Küche und summte beim Kochen eine Melodie. Offenbar hatte das Schreiben gut geklappt. Das kannte ich noch von Tante Tanja. Wenn das Schreiben gut lief, waren die Schreibenden gut drauf. Ben konnte ich immer noch nicht richtig einschätzen. Er schien nett zu sein und es war schön, auf seinem Schoß zu schlafen, aber er wirkte so traurig. Als hätte er eine Mauer um sich hochgezogen. Ich spürte, dass er mich brauchte. Er war der Grund, aus dem ich hier war. Aus dem Tante Tanja mich hergeschickt hatte. Weil er mich brauchte. Ich wusste noch nicht, wie ich ihm helfen konnte, aber ich entschied, immer in seiner Nähe zu bleiben, bis ich es herausgefunden hatte.

      Ben und Karin aßen in der Küche und ich wuselte unter dem Küchentisch herum und hoffte, dass eine Nudel herunterfiel. Aber die beiden schienen nicht zu wissen, wie sehr ich Nudeln mochte, obwohl ich hätte schwören können, dass Tante Tanja es erwähnt hatte. Da ich keine Nudeln abbekam, aß ich das Nassfutter auf.

      „Er hat sich schon gut eingelebt, oder?“, fragte Karin und nickte in meine Richtung. Ben sah mich an und zuckte mit den Schultern.

      „Mag sein.“

      „Hast du dir inzwischen überlegt, wie du ihn nennen willst?“

      „Tripod“, sagte Ben, und ich zuckte zusammen. Meinte der etwa mich? Ich hieß doch nicht Tripod! Ich hieß Flint. Jawohl! „Ich werde es Pod abkürzen.“

      „Aha“, machte Karin und klang, als wäre sie von dem Namen so wenig begeistert wie ich. Hmpf. Na toll. Vermutlich würde ich den beiden nicht begreifbar machen können, dass ich so nicht genannt werden wollte. Dann eben Pod.

      „Gehst du gleich wieder zocken?“

      „Hatte ich vor.“

      Mir tat Karin ein bisschen leid, weil Ben so abweisend war. Ich spürte, wie weh ihr das tat. Ich wusste, dass Ben es auch bemerkte. Um Karin zu trösten, schnurrte ich ihr um die Beine. Sie hob mich hoch und setzte mich auf ihren Schoß. Das mochte ich! Am liebsten wäre ich nach dem Abendessen mit Karin gegangen, aber ich musste bei Ben bleiben. Er war meine Mission, das spürte ich mit absoluter Sicherheit, und davon würde ich mich nicht abbringen lassen.

      „Ich schreibe vielleicht noch ein Kapitel“, sagte Karin, obwohl Ben nicht gerade den Eindruck machte, als würde ihn das groß interessieren. Als die Teller leer waren, stellte Ben sie in die Spülmaschine und sagte: „Gute Nacht.“

      „Gute Nacht, Schatz“, gab Karin zurück und wandte sich ab, damit Ben ihre Enttäuschung nicht bemerkte. Ich konnte sie sehen und wurde langsam wütend. Karin war schließlich Bens Mutter, und seine Mutter sollte man besser behandeln. Kurz schoss mir die Erinnerung an meine Mutter durch den Kopf. An Wärme und Milch und Schnurren. Ich wurde traurig und stapfte entschlossen hinter Ben her. Für die Treppe brauchte ich ein wenig. Das war ich noch nicht gewohnt. Aber dem würde ich die Meinung geigen, sobald ich oben war. Jawohl! Doch als ich im Flur ankam, musste ich feststellen, dass die Tür zu Bens Zimmer zu war und ich nicht hineinkam. Mist! Oh Mann, dieser Ben war echt eine harte Nuss. Aber den würde ich schon noch knacken – so wahr ich Flint Tripod hieß!

      Kapitel 8

      Ben ließ sich wieder in den Schreibtischstuhl fallen und loggte sich ein. Oliver war immer noch afk, also machte er zwei Quests, während er auf ihn wartete. Das schlechte Gewissen nagte an ihm. Er wusste, dass er seiner Mutter unrecht tat, aber er konnte nicht aus seiner Haut. Je mehr sie versuchte, zu ihm durchzudringen, desto mehr machte er dicht. Wie so oft wünschte er sich zurück ins Rehazentrum. Da hatte er jede Nacht in seinem Bett gelegen und gedacht, wie sehr er sich nach Hause wünschte und wie sehr er seine Mutter vermisste. Aber irgendwie war da doch alles leichter gewesen. Niemand, der ihn hänselte oder einfach dumm anglotzte. Und man war den ganzen Tag abgelenkt. Bewegungstherapie, Gesprächstherapie, Kunsttherapie. Sie hatten sich oft darüber lustig gemacht, aber im Grunde hatte es gut getan. Jede einzelne Therapiestunde. Er hatte das Gefühl gehabt, voran zu kommen. Jetzt trat er auf der Stelle. Treten. Schon wieder so ein Zweibeinerwort. Vielleicht sollte er doch noch einmal mit einem Experten quatschen.

      „Hallo