Heinrich Mann

Die Göttinnen


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die Maske habe ich vergessen."

      Die beiden Geschöpfe starrten ohne einen Laut, unter gierigem Rücken ihrer Köpfe, in den tiefen Schatten, der ihnen die Frau verbarg. Die Laterne an der Mauer warf vier Lichtstrahlen in ihre vier Augen; sie suchten, scheu zuckend und leuchtend gleich Tierblicken. Plötzlich fanden sie; und die zwei Fremdartigen lagen am Boden, die Lippen im Staub.

      "Steht auf," sagte sie, und ungeduldig, da keiner sich rührte: "Richtet euch auf und antwortet! Ihr habt den Gendarmen blutig geschlagen?"

      "Mütterchen, wir lieben dich," erklärte der eine.

      "Und du?" fragte sie den andern. Er stotterte:

      "Mütterchen, wir lieben dich."

      Der Erste stampfte wild und schlug sich mit den Fausten vor die Brust; unter dem Fell klirrte etwas.

      "Hatten wir nur alle deine Feinde unter unsern Flintenkolben!"

      "Und du?"

      Der Zweite fugte nichts mehr. Er war eine jener strengen Bildsäulen in den epischen Feldern ihres Traumes, ein junger Hirt, schwarze Locken in der niedrigen, blassen Stirn, die Arme über dem Stabe gekreuzt, unbeweglich inmitten eines sich drehenden Kreises von Ziegen und Schafen. Sie dachte: "Ein sehr wohlgebildetes Tier, ich halte es gern für einen Halbgott. Der andere gebärdet sich menschlicher, aber ich habe nie von ihm geträumt." Er war erdfarben und starkknochig, mit dünnem Bart und äffischen Gebärden. Er fuchtelte mit langen, knotigen Armen.

      "Ihr sollt das nicht wieder tun," befahl sie. "Hört ihr? Ihr sollt den Tag abwarten, an dem ich euch das Zeichen gebe. Was nützt es, dass ihr einen armen Kerl prügelt, der gerade so viel wert ist wie ihr selbst."

      "Du irrst, Mütterchen. Thimko war ein Hund und dein Feind."

      "So? Du hast recht."

      Sie bedachte: "Ich darf nicht in den alten Fehler verfallen, der mich das erste Mal so viel gekostet hat, und wieder fragen, was ein Mörder für seine Tat könne. Das Exil hätte mich geschickter machen sollen. Der königliche Gendarm im Heimatsdorf meiner beiden Freunde ist ein Hund und mein persönlicher Feind. Ich hasse ihn."

      "Erzählt nun," äußerte sie, "was ihr für mich tatet."

      "Mütterchen, deinetwegen sind wir Räuber geworden und von den Bergen herabgestiegen."

      "Wart ihr sehr unglücklich?"

      "Es war ein freies Leben, an unserm roten Sonntagsrock saßen als Knöpfe lauter Taler, die haben wir auf der Reise nach dem Auslande alle hergeben müssen."

      "Es ist schön, dass es euch gut ging."

      "Herrlich war es! Wie vielen habe ich den Bauch aufgeschlitzt, wenn wir herabstiegen! Die Höfe, die wir verbrannten, rauchen gewiss noch jetzt. Die Kühe, die wir hinaufholten in die Berge, werden sich nun wohl verlaufen haben. Wir konnten nicht alle essen."

      Der Wohlgebildete machte eine Bemerkung:

      "Das schmerzt uns sehr."

      "Ihr musstet also fliehen?" fragte sie. Der Erdfarbene antwortete:

      "Der Hund Thimko, den wir prügelten, hat die andern Hunde auf uns gehetzt. Sie trennten uns von unseren Genossen, und diese kamen um, die Armen. Da gingen wir in ein Boot. Der Sturm warf uns weit fort von der Heimat, und fast waren auch wir umgekommen, wir Armen. Wir sind elend, Mütterchen, sei so gut und reiche uns eine Unterstützung!"

      Sie warf ihnen Goldstücke zu. Sie schossen, eines nach dem andern, blitzend aus dem Schatten des Torbogens, Flammen, die an den Gliedern der Fremden hinauf und bis in ihre Augen züngelten. Sie wälzten sich übereinander, unheimlich zusammen scherzend, unter Messergeklirr und rauen Kehllauten. Der Hässliche schien stärker, aber der Schöne kämpfte unbedenklicher und erraffte das meiste.

      "Ein Halbgott," meinte die Herzogin, "solange er Statue bleibt. Er zeigt nur selten, dass er lebt, und zwar als Tier."

      Dann zählte jeder seinen Raub, geduckt und schweigend. Der Tiber gurgelte. Aus der Ferne kam ein Pfiff, drei kurze Noten, die sich wiederholten. Plötzlich jagten ein paar unkenntliche Gestalten droben in der Zirkusstraße hintereinander her. Die Herzogin versuchte zu lachen, sie zitterte ein wenig.

      "Es stimmt alles. Jetzt wird jemand umgebracht. In den Fluss mit ihm! Wie ist es schwül, ich atme kaum noch!"

      Drüben in der schwarzen Höhe zuckte es wild und rot, mehrmals rasch nacheinander.

      "Auch das war vorhergesehen! Übrigens, — diese Räuber, die vom Bauchaufschlitzen reden wie vom Wassertrinken, sie verhalten sich gegen mich recht achtungsvoll. Vielleicht noch mehr als das? Werden sie bald fertig gezählt haben? Ich habe hoffentlich Mut? Sie fragte schroff:

      "Ihr wollt also für mich in den Krieg ziehen?"

      "Wir lieben dich, Mütterchen, wir sterben für dich. Gib mehr Gold! Ein Trinkgeld, Mütterchen!"

      Sie gab, ungeduldig und enttäuscht.

      "Kein Grund zur Furcht; es handelt sich immer nur um Geld."

      Die beiden standen schließlich, von verwirrendem Glück beregnet, fast davon erweicht, mit gehobenen, entzückten Sinnen.

      "Wie bist du schön, Mütterchen!"

      "Wie bist du groß, dein Haupt entschwindet weiß und hoch unter dem Turm, worin du gefangen sitzest. Wir wussten ja, es sei ein Turin. Anfangs sah es aus, wie ein Bogen, doch nun sehen wir wohl, dass es ein Turm ist. Merke dir das, Lazise, wir sagen es daheim."

      Der Wohlgebildete grunzte. Er stieß gewaltsam aus:

      "Mütterchen, wo ist dein Haar?"

      Der andere fuhr auf:

      "Dein Haar! Gib es, wo ist es?"

      Sie fühlte, sie werde ihre Haltung verlieren, und dachte an die Bestien, die ihren Bändiger erblassen sehen.

      "Nun geht heim!" befahl sie, und setzte gleich hinzu, unsicherer und schwacher:

      "Geht ihr heim?"

      Die beiden Wilden rutschten auf den Knieen, tastend und schnaubend.

      "Ja ja. Alle sollen kommen und dich befreien. Aber gib dein Haar!"

      Sie streckten die Hände aus und wagten doch nicht unter den Bogen zu greifen. Ohne Mauer und Gitter war er ihnen verschlossen durch einen magischen Strich.

      Die Herzogin nahm sich zusammen. Sie rief zornig und mit Gewalt:

      "Ihr geht auf der Stelle!"

      Sie richteten sich auf, sahen einander an, bezwungen und traurig, und schlichen zur Seite. Einer wandte sich.

      "Es ist gut, Mütterchen, wir gehorchen."

      Und sie tauchten langsam in das Dunkel.

      Sie sah ihnen nach. Plötzlich, ohne Nachdenken, sagte sie:

      "Kommt zurück!"

      Sie löste ihr Haar, mit zwei tapferen Griffen. Sie hielt es in den Händen, es entfloss ihr, lang und schwer. Da fiel ihr die Cucuru ein. "Das ist der Schlusseffekt," dachte sie. "Was für ein Theater!"

      Ich nächsten Augenblick sagte sie: "Trotzdem," und sie warf den beiden Seltsamen ihre schwarzen Flechten zu, wie vorher ihr Gold. Sie stürzten sich darauf, mit Lippen und Zähnen. Die Herzogin sah auf sie herab, erbleicht, den Kopf zurückgelehnt, wie aus der starren Höhe des Turmes, von dem nach dem Glauben dieser Geschöpfe ihr Haar herunterhing.

      "Geht nun!"

      Ihre Stimme drang matt in die mit Dämpfen von Sinnlichkeit erfüllten Köpfe. Sie fand sich überwältigt von einem Auftritt, den sie nicht überlegt hatte. Sie durchsuchte das Dunkel, ratlos und fast blind vor jäher Angst. Sie war nahe daran um Hilfe zu rufen. "Warum?" fragte sie, und gestand sich: "Weil ich mich schäme." Und dabei fühlte sie, dass sie diese sonderbare Feierlichkeit nicht hätte missen wollen.

      Sie