Heinrich Mann

Die Göttinnen


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erschraken und verschwanden. Sie wartete, abgewendet, bis sie allein war. Endlich erreichte sie, fast flüchtend und unterwegs ihr Haar zusammenraffend, ihren Wagen. Sie warf sich in eine Ecke und schloss die Augen, voll wilder Bilder, die sie schwindeln machten. Nach einer Weile fand ihr Finger im Winkel des Lides eine Träne.

      Beim Kardinal erzählte sie alles, kühl und anschaulich. Dabei formte sich ihr erst der Vorgang; sie ergänzte ihn durch Züge, die nicht hätten fehlen dürfen. Sie waren grausam, und die Herzogin lächelte dabei nur noch zurückhaltender. Ehe sie die Hingabe ihres Haares eingestand, ward es ihr heiß zu Mute. Sie fügte rasch hinzu, die beiden Wilden hätten ihr mit den Zähnen große Stücke herausgerissen. Da sie gleichzeitig vor wütendem Eifer sich selbst in die Hände gebissen hätten, so sei das Blut ihr über die Haare geronnen. Man fand ihre Stimme vollkommen gefühllos. Die Blà zweifelte vorübergehend an ihr, die Cucuru fühlte sich unbehaglich.

      Zu Hause in ihrer Vigne, über der duftenden Stille des Frühlingsgartens, bebte sie bei der Erinnerung an jene Nacht.

      "Wer waren die beiden Seltsamen? Menschen und Freunde, die zu mir den Weg fanden und keine andere Bedeutung hatten als andere Menschen und andere Freunde?"

      "O nein, was ich damals sah, es muss ein Stück meiner eigenen Seele gewesen sein, mir unversehens entsprungen, rot, warm und pochend. Vor meinen Augen hat es sich geregt und gespielt, ein wunderbares Spiel, eine Maskerade, beängstigend und bezaubernd."

      Sie blieb stehen und lächelte sich zu.

      "Das hätte ich ihnen am Mittwoch sagen sollen! Aber du bleibst immer das Kind auf dem Felsenriff im Meer, — dein Leben lang, kleine Violante. Mit Monsieur Henry verspottest du Gott und die Weltgeschichte, und dann legst du dich an das Ufer deines Sees und träumst mit Farren und mit Eidechsen."

      Man ließ sie träumen.

      Am Abend nach ihrer erstaunlichen Erzählung blieb Monsignor Tamburini länger als sonst beim Kardinal. Seine Eminenz war angeregt und wissbegierig, er näherte einige Münzen dem Lichte der dreiarmigen Ampel und sah darüber weg.

      "Mit der Gesellschaft, die wir uns für unseren Mittwoch geschaffen haben, bin ich recht zufrieden. Was wir soeben wieder gehört haben, war durchaus merkwürdig und unterhaltend. Aber nun sagt mir einmal, lieber Sohn, was ihr mit diesen so liebenswürdigen Versammlungen für eine Absicht verfolgt. Ich gestehe, dass ich mich noch gar nicht darum bekümmert habe, warum Ihr eigentlich mit der schönen Herzogin Politik treibt. Mir selbst, — Ihr wisst, wie ich genügsam bin, — ist sehr an den schönen, alten Geldstücken gelegen, die sie mir verehrt. Aber Ihr, ein so wirklichkeitsliebender Mann…"

      "Eminenz, das Ganze ist ein Zufall, und mein Verdienst beschränkt sich darauf, dass ich ihn nicht ungenützt gelassen habe. Ich fand die Herzogin von Assy im Klostergarten zu Palestrina —"

      "Wie ein Blümchen! Und Ihr brachet es mir, Ihr Guter!"

      "Ich nahm sie mit, — ursprünglich nur aus Spekulation, weil eine Herzogin von Assy der Kirche stets nützen kann. Ich dachte an eine Bekehrung der allzu weltlichen Frau, an ihr großes Vermögen, auch an eine interessante und nutzbringende Verbindung mit ihrem Geschäftsmanns dem Baron Rustschuk…"

      "Ein großes Licht unter euch praktischen Leuten, nicht wahr?"

      "Ein hoch bedeutender Mann. All das Geld! All das Geld! … Leider ist die Bekehrung der Herzogin unmöglich; ich musste mich davon überzeugen. Diese Heidin verschließt sich der Gnade. Auch wurden ihre Besitzungen eingezogen. Ich gestehe, dass mich das anfangs gegen sie einnahm."

      "Ich begreife Euch, mein Sohn."

      "Dann aber erkannte ich, dass uns gerade die Konfiskation ihrer Güter die erfreulichste Aussicht eröffne, nämlich sie ihr wiederzugewinnen und dafür belohnt zu werden."

      "Sie ihr wiedergewinnen? Ihr müsst mir das Kunststück zeigen. Ich habe nicht genug Genie, es selbst zu finden, doch reizt es mich gewissermaßen."

      "Sehr einfach. Die dalmatinische Regierung ist erzürnt wegen der revolutionären Umtriebe, die im Namen der Herzogin von Assy stattfinden. Wir verhandeln also mit der Negierung wegen Unterdrückung der Revolten. Alles kommt auf den Preis an, den sie uns bietet. Nach Beruhigung des Landes muss man das Assysche Vermögen freigeben, es wird keinesfalls möglich sein, die Konfiskation aufrecht zu erhalten. Die Herzogin hat zu mächtige Verbindungen, ihr Kredit bei den Höfen ist größer als der des Königs Nikolaus … Sie erhält alles zurück und zeigt sich natürlich gleichfalls gegen uns erkenntlich."

      "Belohnung von zwei Seiten! Ihr seid stärker als ich dachte, Tamburini. Nur möchte ich noch wissen, weil ich's ganz kurios finde, — wie Ihr's anstellen wollt, dass die Revolten aufhören."

      "Aber mir scheint … da wir sie anzetteln, können wir sie auch aufhören lassen."

      "Das ist … Das übersteigt, ich gestehe es, meine Voraussicht. Also man erregt Aufstände; die dalmatinischen Bischöfe, die Kirche, — sagen wir: wir…"

      "Jawohl, sagen wir: wir."

      "Wir erregen in jenem Lande Aufstände, dann gehen wir zu den Machthabern und sagen: Gebt uns Geld, so hört es auf. Das ist gut erdacht, mein Sohn. Und sollte es fehlschlagen, so war es darum doch eine höchst sinnreiche Sache."

      Der Kardinal kehrte bereits zu seinen Altertümern zurück. Eine Frage machte ihm noch zu schaffen.

      "Solch ein gelungenes Spiel, wie nennt man es nur? Erpressung, vielleicht? Mir scheint, ja, Erpressung."

      Und er nahm die Lupe zur Hand. Tamburini entrüstete sich ehrlich.

      "Es ist eine der heiligen Kirche durchaus würdige Angelegenheit, einer unglücklichen Verbannten ihr irdisches Gut zurückzugewinnen."

      "Um dafür belohnt zu werden."

      "Das ist nicht unmoralisch."

      "Ich sage ja nichts, lieber Sohn."

      Die Cucuru fragte ebenso wenig nach den Träumereien der Herzogin. Vinon musste ihr Schreibgerät ordnen und über die nächtliche Zusammenkunft beim Wechslerbogen einen reinlichen Bericht aufsetzen für den dalmatinischen Gesandten.

      "Stets auf Französisch, meine Vinon. Es ist die Diplomatensprache."

      "Und, Maman, wenn wir nicht so gut französisch schrieben, dann würden sie vielleicht noch weniger dafür geben."

      "Noch weniger! Die Schufte! Eine saubere Regierung, die einer armen, alten Frau für ihre mühsame Arbeit solche Hungerlöhne zahlt. Ihr könntet sticken für Geschäfte und würdet noch ebenso viel verdienen."

      Man warf rasch eine Handarbeit über das angefangene Schriftstück; Lilian betrat das Zimmer.

      "Gebt euch keine Mühe," sagte sie. "Ich habe es vorausgewusst, ihr würdet euch heute wieder mit eurem schmutzigen Gelderwerb befassen."

      "Schmutziger Gelderwerb? Vinon, hat sie schmutziger Gelderwerb gesagt? Aber das Geldausgeben, wenn man keines auszugeben hat, das ist wohl sauberer, mein Töchterchen? Da seht mir einmal die hochmütige, weiße Jungfrau an! Diesen Winter hat sie vier Promenadenkostüme angeschafft und keines bezahlt!"

      "Ich wohne in einem Stall, und ich würde, wenn es sein müsste, Käse essen und nichts weiter. Aber ich muss beim Korso in seidenen Kissen liegen und trage auf der Straße ein Kleid keinen Monat lang. Ich kann es nicht, ich bin eine Dame."

      "Sie ist eine Dame! Hörst du's wohl, Vinon? Aber sorgt sie wohl dafür, dass ihr Schatz die Schneiderin bezahlt? Und wenn ihre Mutter ihr sagt, wir brauchen in der Familie einen zweiten Mann, für die Schneiderin und den Konditor, dann vergisst sie sich fast und lasst es an Ehrerbietung fehlen gegen ihre alte Mutter."

      "Jetzt kommt Raphael Kalender! O mein Gott, erfinde etwas neues. Es ist langweilig, auch die Schande wird langweilig."

      Lilian warf sich in ein Sofa; es ächzte schwach.

      "Herr Raphael Kalender, was hat sie denn gegen ihn ? Vinon,