Redaktionsdiener verbeugte sich:
„Muss sofort da sein, Herr Generalkonsul!“
„Endlich, mein lieber Doktor!“ rief der Herr und streckte die Hand mit matter Anmut einem großen eleganten Manne entgegen, der von der Treppe her eintrat und dem Diener Hut und Paletot zuwarf. Bevor die beiden hinter der Flügeltür verschwanden, hörte man den Generalkonsul fragen:
„Sie waren im Auswärtigen Amt? Nun, was sagt unser Minister?“
Andreas erschauerte vor Ehrfurcht, während er bedachte, welche Unendlichkeit von Macht und Ansehen diese Worte ahnen ließen. Wer hier im Vorzimmer des „Nachtkurier“ stand, war gewissermaßen in den Bereich einer Organisation eingetreten, die es an Ausdehnung und Festigkeit selbst mit der des Staates aufnahm. Doktor Bediener ging im Palais der Wilhelmstraße aus und ein wie der Staatssekretär selbst. Sein Kollege war ein Minister des Innern, dem kein Wille im Lande leichtfertig zuwiderhandelte. Die Ämter waren verteilt genau nach dem Vorbilde des Staates, von den Botschaftern in allen Hauptstädten der Welt bis hinab zu jener Schar von überschüssigen kleinen Beamten, unbezahlten Referendaren, die ihre Bleistifte spitzten und sich die Nägel pflegten. Hoch über dieser unpersönlichen Verwaltungsmaschine aber, hinter dem Gehege der Gesetze und gedeckt durch die Verantwortlichkeit seiner Minister, die er berief und entließ, thronte der große Jekuser, der Besitzer des „Nachtkurier“, ein konstitutioneller Monarch. Von den Tagesmeinungen unabhängig wie andere gekrönte Häupter, bewahrte er dennoch einen unbeschränkteren Einfluss als diese, da er sogar die Volksvertreter vermöge seines „parlamentarischen Bureaus“ zu zensieren und zu maßregeln vermochte. Und er war reicher als sie, denn von den Abgaben seines Volkes, von den fünfzehn Pfennigen, die hunderttausende von Lesern täglich erlegten, blieb der größere Teil in seiner Tasche zurück.
Die Flügeltür öffnete sich halb, ohne dass jemand sichtbar wurde. Aber in der wartenden Menge pflanzte sich sogleich ein Stoß fort, den schließlich der gegen die Wand gedrückte Andreas vor die Brust erhielt. Er griff hastig in die Tasche, die seine Papiere enthielt. Glücklicherweise fand sich der Brief des Herren Schmücke noch vor. Seit einem Jahre hatte der junge Mann nicht mehr des Empfehlungsschreibens gedacht, dass ihm der alte Herr in Gumplach, der sich mit Literatur befasste, an den Doktor Bediener mitgegeben hatte. Andreas kam mit zu großer Ehrfurcht vor den Mächtigen der Erde nach Berlin, um sich gleich anfangs bis zu einem von ihnen vordrängen zu wollen. Herr Schmücke war gewiss ein braver liberaler Bürger, aber ob der Chefredakteur des „Nachtkurier“ auf seine Empfehlung großes Gewicht legen würde, war mehr als zweifelhaft. Um den Brief nicht unbenutzt zu lassen, übergab Andreas ihn einem vorübergehenden Diener, der mit einer Handvoll Depeschen das Erscheinen des Chefs erwartete. Gleich darauf verabschiedete sich der Generalkonsul, den Doktor Bediener bis zur Treppe begleitete. Andreas verfolgte mit scheuem Blick jede Bewegung des Mannes, von dem sein Schicksal abhing. Er sah ihn mit einigen jungen Leuten, die zunächst an seinem Wege standen, leise Worte wechseln und nachdenklich, die Hand, auf der ein großer Brillant blitzte, an seinem grauen Spitzbart, in seinem Kabinett verschwinden. Welche betäubende Fülle von Geschäften und wie wenig Hoffnung für einen bescheidenen Neuling, hier ans Ziel zu gelangen! Doch schon nach wenigen Minuten trat ganz unerwarteterweise derselbe Diener, dem Andreas seine Empfehlung anvertraut hatte, auf den jungen Mann zu, um ihn zum Eintritt in das Bureau des Herrn Chefredakteurs aufzufordern. Andreas durchschritt blutübergossen die Reihen der Wartenden. Er meinte, die Bevorzugung, die ihm zu teil ward, müsse Jedermann auffallen.
Und dann führte er eine möglichst korrekte Verbeugung vor Doktor Bediener aus, der ihm lächelnd die Hand mit dem Brillanten entgegenstreckte.
„Sie sind mir als ein sehr aussichtsreiches Talent empfohlen, Herr — re…“
„Zumsee,“ ergänzte Andreas.
„Herr Zumsee,“ wiederholte Doktor Bediener.
Er wies auf einen Sessel, und Andreas, der dem Leiter des „Nachtkurier“ gegenüber Platz nahm, sagte sich, dass der Empfang gar nicht günstiger hätte sein können. Doktor Bediener begann wieder:
„Die Empfehlung, die Sie geltend machen, ist mir besonders wertvoll, weil sie von einem langjährigen, lieben Freunde kommt. Ich hoffe, es geht meinem alten Schmücke gut?“
Andreas erteilte befriedigende Auskunft über die Gesundheit des alten Herrn. Aber er erfuhr mit Erstaunen die nahen Beziehungen des Chefredakteurs zu Schmücke, der sich deren nie gerühmt hatte.
„Ich meine sogar, Ihren Namen schon irgendwo gefunden zu haben, Herr, Herr — re…“
„Zumsee,“ ergänzte Andreas.
„Herr Zumsee,“ wiederholte Doktor Bediener, und er strich mit zwei gespreizten Fingern suchend über seine hohe Stirn. Dachte er an den „Gumplacher Anzeiger“? Andreas hätte gern von seinen Erfolgen und Hoffnungen, von den Gedichten, der Novelle, Köpf, dem Café Hurra und Türkheimers, des längeren gesprochen. Aber durch die ungeahnte Liebenswürdigkeit des mächtigen Mannes ward in ihm ein solches Entzücken erregt, dass er minutenlang stumm und rot vor heftiger Schwärmerei, den Doktor Bediener ansah.
Nie im Leben hatte Andreas solche ausgesuchte Manieren kennen gelernt, solche weltmännische Haltung, solche natürliche Glätte in jeder Bewegung, jedem Blick und jedem Worte. Doktor Bediener saß ein wenig seitwärts über die Lehne geneigt, auf die er einen Arm stützte. Mit dem andern beschrieb er zuweilen eine flüchtige, doch unnachahmlich runde Geste, die alles zu erklären schien was er andeuten wollte. Sein Lächeln war offenbar so ganz für sein Gegenüber bestimmt, dass dieses sich nicht denken konnte, er werde je einem Andern so viel Aufmerksamkeit schenken. Er sprach zögernd, mit leicht verschleierter Stimme und ließ das R weit hinten im Halse verschwinden, was distinguiert klang. Er mochte mit einem armen jungen Manne noch so familiär tun, ohne es zu wollen bewahrte Doktor Bediener in seinem ganzen Wesen stets eine so vornehme Zurückhaltung, dass es Andreas vorkam, als steige er aus einer höheren Diplomatensphäre hernieder, wohin er jeden Augenblick entrückt zu werden drohte.
Er ließ die Frage, wo er Andreas’ Namen schon gefunden haben mochte, nach einiger Überlegung auf sich beruhen, um sich zu erkundigen:
„Haben Sie schon literarischen Anschluss gefunden?“
„Es ist mir als ganz unbekanntem Anfänger sehr schwer gefallen,“ erwiderte Andreas bescheiden.
„Ich kenne ein paar Redakteure, zum Beispiel Doktor Pohlatz.“
„O, Pohlatz,“ sagte Doktor Bediener mit einer Handbewegung, die nicht viel Hochachtung auszudrücken schien. Doch setzte er hinzu:
„Ich schätze Pohlatz persönlich hoch, ich kann sogar sagen, dass wir recht gute Freunde sind.“
„Schon wieder jemand, mit dem ich verkehrt habe ohne zu wissen, dass er mit dem Chefredakteur des ,Nachtkurier‘ befreundet ist,“ dachte Andreas.
„Nur möchte ich Ihnen davon abraten,“ fuhr Doktor Bediener fort, „an seinem Blatte mitzuarbeiten. Es würde für Sie wenig Wert haben — dies unter uns.“
Andreas verbeugte sich, voll Vergnügen über die vertrauliche Mitteilung, deren er gewürdigt wurde. Wie gut, dass Pohlatz gar nicht daran gedacht hatte, ihn beim „Kabel“ einzuführen! Er lauschte atemlos auf Doktor Bedieners Belehrung.
„Alle diese Blätter mit strenger Parteirichtung taugen nichts für ein aussichtsreiches Talent,“ sagte der Chefredakteur. „Sie würden sich dort kompromittieren, ohne für den Verlust Ihrer Selbständigkeit entschädigt zu werden. Bei uns dagegen, wissen Sie wohl, behält jeder Mitarbeiter seine Eigenart. Der ,Nachtkurier‘ hat vor allen Andern erkannt, dass die Parteipresse sich überlebt hat. Dass man eine gesunde liberale Wirtschaftspolitik vertritt, versteht sich von selbst; wir wären verrückt, wenn wir es nicht täten. (Hier vollführte Doktor Bediene! eine Armbewegung, die einer längeren Parenthese gleichkam.) Im Übrigen betrachten wir uns als ein Organ der deutschen Geisteskultur.“
Doktor Bediener hielt an; er war beinahe warm geworden. Aber er erlangte sofort sein vornehmes Gleichgewicht wieder, dessen augenblickliches Abhandenkommen Andreas