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worden waren, obwohl sie in früheren Spielen für Deutschland Gold- und Silbermedaillen errungen hatten, aber erst der Fall der »blonden He«, die schon nach Amerika ausgewandert war, aber noch einen deutschen Pass hatte, brachte den Stein ins Rollen: Der amerikanische Vertreter im Internationalen Olympischen Komitee, General Charles E. Sherill, drohte mit dem Boykott der Berliner Olympiade durch die USA, falls Helene Mayer nicht in die deutsche Mannschaft aufgenommen würde. Die Nazis hatten zähneknirschend nachgegeben – mit dem Ergebnis, dass der »Führer« einem »amerikanischen Neger« gleich viermal zum Sieg gratulieren, außerdem drei jüdischen Florettfechterinnen widerstrebend die Hand geben und ihnen geheuchelte Glückwünsche aussprechen musste: der Ungarin Ilona Elek, der trotz großer Bedenken nach Berlin gekommenen Helene Mayer und der österreichischen »nichtarischen« Fechtmeisterin Ellen Preis!

      »Woher weißt denn du das alles?«, fragte Willy Karol sehr verwundert, worauf Putti ihm und seinen Eltern stolz berichtete, zwei seiner Mitschüler auf dem Lycée Chateaubriand seien Söhne von IOC-Mitgliedern, und der »Fall Mayer« wäre bei denen zu Hause tagelang heftig diskutiert worden.

      Auch zwischen Puttis Vater und Herrn Karol begann nun eine Debatte. Willy Karol meinte, das Nachgeben der Nazis und die Tatsache, dass sich Hitler dazu überwunden hatte, »Nichtarier« öffentlich auszuzeichnen, ließen auf eine gewisse Entkrampfung schließen. Curt Eichelbaum fand es empörend, dass jüdische Sportler überhaupt nach Berlin gekommen waren, und Puttis Mutter war der Meinung, die jüdischen Fechterinnen hätten wenigstens eine Medaille einer »arischen« Frau überlassen sollen.

      Putti hörte ihnen nicht mehr zu, denn im Radio wurde das Fußball-Endspiel der Berliner Olympiade übertragen.

      Der Sieg der Italiener, die vor Österreich und Norwegen Olympiasieger und Goldmedaillengewinner wurden, während die deutsche Mannschaft nur auf einen der hinteren Plätze kam, versetzte ihn dann in wilde Begeisterung.

      »Papa! Mama! Onkel Willy! Stellt euch vor: Wir haben gewonnen! Evviva l’Italia!«

      Nicht mal im Traum hätte er sich vorstellen können, dass ihn, als knapp zwei Jahre später, am 4. Juni 1938, Italiens Squadra Azzurra mit einem 4 : 2-Sieg über Ungarn erneut Fußball-Weltmeister und im ganzen Land stürmisch gefeiert wurde, ein solches Ereignis völlig kaltlassen und dass seine Begeisterung für Italien schon wieder dahin sein würde.

      Schon einige Monate vor diesem neuerlichen Fußballsieg hatte sich eine politische Klima-Veränderung angekündigt: Ende Januar 1938 begann plötzlich in ganz Italien eine wilde Hetzkampagne gegen die Juden. Über Nacht wurden sie von einer bis dahin kaum beachteten religiösen Minderheit zu einer fremden razza, ja zum Feind der Nation – zum Glück nur in der offiziellen Propaganda! Die große Mehrheit der Italiener nahm von dieser neuen Erkenntnis der faschistischen Führung keinerlei Notiz. Die neuen judenfeindlichen Parolen wurden zu Recht als eine Konzession Mussolinis an den immer mächtiger werdenden Hitler angesehen, der aber keine praktische Bedeutung zuzumessen wäre. Auch Willy Karol, der gute Beziehungen zu hohen Faschistenführern hatte, hielt die Kampagne für ganz ungefährlich.

      »Glaube mir, Curt, die Italiener sind völlig immun gegen dieses Gift! Außerdem gibt es unter 42 Millionen Einwohnern kaum 50.000 Juden, die etwa 10.000 Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich schon eingerechnet … Macht euch also keine Sorgen – es passiert nichts!«

      Aber Curt Eichelbaum traf dennoch einige Vorkehrungen: Da sie in ihrer kleinen Wohnung ohnehin nicht alles hatten unterbringen können, ließ er die wertvollsten Teile des Hausrats, darunter das Meißner Porzellan für 24 Personen, das schon Lottchens Eltern von ihren Großeltern geerbt und das sie in Rom noch gar nicht ausgepackt hatten, nach Zürich zurückschicken, wo es die Spedition wieder auf Lager nahm. Außerdem begann er nun, sich intensiv um Kontakte zu amerikanischen Filmgesellschaften zu bemühen.

      Seine Sorgen, die er vor Lottchen und Putti zu verbergen suchte, verstärkten sich noch, als im März 1938 Hitler-Deutschland von Österreich Besitz ergriff. Nun wehte die Hakenkreuzfahne schon am Brenner; aus Wien und anderen österreichischen Städten kamen Schreckensmeldungen über die plötzliche grausame Verfolgung der dortigen Juden, und es kursierten Gerüchte, Hitler und Mussolini wollten ihre durch den Anschluss Österreichs an Deutschland etwas getrübten Beziehungen in Kürze wieder klären und alle »offenen Fragen« besprechen, so dass es zwischen den Endpunkten der »Achse Berlin-Rom« keinerlei Differenzen mehr geben würde.

      Die wenigen deutschen Emigranten in Italien sahen diesem Spitzengespräch mit einiger Sorge entgegen. Willy Karol aber meinte: »Hitlers nächstes Angriffsziel ist die Tschechoslowakei. Das aber wird deren Garantiemächte, vor allem Frankreich, zum Eingreifen zwingen. Dann ist Hitler auf Mussolinis Unterstützung dringend angewiesen, und er wird ihm gar nichts abverlangen können, vielmehr jedes gewünschte Zugeständnis machen müssen.«

      »Karol hat recht«, meinte auch Georg Krauss, der zu Besuch gekommen war. »Ich glaube, ihr habt hier nichts zu befürchten.«

      Putti, der dem Gespräch aufmerksam zugehört hatte, war nun sehr erleichtert. Wenn auch sein Onkel Georg fand, dass sich die Eltern unnötige Sorgen machten, stand der Ausführung seiner Pläne wohl nichts mehr im Wege: Signore Luigi hatte sich bereit erklärt, ihn im nächsten Jahr, wenn er 18 geworden war und die Schule hinter sich hatte, zu seinem Assistenten zu machen; die Direktion des Excelsior war einverstanden, und alles, was er noch benötigte, war etwas Kapital, denn Signore Luigi war kein Hotelangestellter, sondern ein selbständiger Unternehmer, der seinerseits die lukrative Portierloge des Nobelhotels gepachtet hatte und vom künftigen Juniorpartner eine stattliche Einlage verlangen konnte.

      »Das Geld hast du in zwei, drei Jahren beisammen, wenn du ein bisschen sparst, Riccardo«, hatte Signore Luigi gemeint, »aber das lohnt sich! Wenn du erst einmal die gekreuzten Schlüssel auf dem Revers trägst, bist du ein angesehener und bald auch ein gemachter Mann! Ich, zum Beispiel, werde mir in sechs, acht Jahren noch ein Hotel kaufen – auf Ischia, wo ich zu Hause bin …«

      »Sie haben schon ein eigenes Hotel!?«

      »Ja, ein Ferienhotel, das ich meinem Schwager verpachtet habe, aber das auf Ischia, das werde ich selbst führen, und dann …«

      Seither hatte Putti die kühnsten Pläne, und er fragte sich, warum er, nur seinen Eltern zuliebe, internationales Recht studieren sollte.

      Am Abend des 2. Mai, als er mit seinen Eltern auf dem Balkon saß und gerade den ersten Versuch machen wollte, sie mit den verlockenden Vorschlägen des Signore Luigi bekannt zu machen, klingelte es.

      Putti ging zur Wohnungstür. Als er sie öffnete, standen dort zwei bewaffnete Schwarzhemden. Etwas im Hintergrund sah er Peppino, den Hausmeister, sehr verlegen und ihm stumm bedeutend, es sei nicht zu verhindern gewesen.

      »Sie und Ihr Vater, der dottore, müssen leider mitkommen«, erklärte der eine der beiden Bewaffneten, freundlich, aber bestimmt.

      Putti erfuhr dann zu seinem Entsetzen, dass er und sein Vater verhaftet wären, aber zehn Minuten Zeit hätten, das Nötigste, das sie im Gefängnis brauchen würden, einzupacken.

      »Gefängnis? Hören Sie, das muss eine Verwechslung sein! Wir haben nichts getan, ich bin avanguardisto, mein Vater ist avvocato in Cinecittà, unsere Papiere sind in Ordnung!«

      Er zeigte ihnen seinen Ausweis – es half nichts. Sie mussten mit und in den vergitterten Transportwagen steigen, der auf der Straße vor dem Haus wartete, umlagert von neugierigen Nachbarn. Die Mutter stand am Fenster, fassungslos schluchzend.

      »Verständige sofort Willy!«, rief sein Vater ihr noch zu, ehe er in den Wagen stieg, wo schon acht andere Gefangene saßen – alle aus Deutschland geflüchtete Juden! Auch Dr. Veilchenfeld, ihr Hausarzt, war dabei.

      »Das Unglück hat uns eingeholt, Herr Eichelbaum«, sagte er traurig.

      Die Fahrt ging nach Trastevere, dem Stadtteil auf dem rechten Tiber-Ufer, zu dem uralten Gefängnis, das verblüffender Weise Regina Coeli, Himmelskönigin, hieß. Unterwegs hörten sie von ihren Mitgefangenen, ihre Einlieferung sei nur eine Sicherheitsmaßnahme zum Schutze Hitlers, der am nächsten