Alex Baur

Unerhört – Esther Vilar und der dressierte Mann


Скачать книгу

von Tokio bis Caracas. Der dressierte Mann prägte eine ganze Generation, in welche Richtung auch immer.

      Gemäß den einen Umfragen stießen Vilars Thesen um den dressierten Mann mehrheitlich auf Ablehnung. Andere schienen das Gegenteil zu belegen. Es kommt halt immer drauf an, wer wen wie befragt. Wer sieht schon in die Köpfe der Menschen hinein, zumal in keinem Bereich so viel gelogen und geschummelt wird wie bei den Fragen des Geschlechts. Wenn es um Beziehungen und Sex geht, entspricht die geäußerte Meinung nicht immer (oder auch eher selten) dem tatsächlichen Empfinden. Es war auch von Land zu Land verschieden. Die Deutschen debattierten eher mit harten Bandagen, die Angelsachsen etwas kühler, bei den Lateinern wurde es oft chaotisch. Das Entscheidende aber war: Es erschien unmöglich, keine Meinung zu diesem Büchlein zu haben – man war entweder für oder gegen Vilar, dazwischen gab es nichts.

      Wie war es möglich, dass ein dünnes Büchlein – eine Streitschrift, ein Pamphlet, wie sie es nannte – einer bis dahin völlig unbekannten Autorin, die bar jeder Rückendeckung allein gegen den gefühlten Rest der Welt angetreten war, einen derartigen Wirbel auslöste?

      Es kommt nicht oft vor, dass ein Einzelner mit einer zündenden Idee, mit nichts als Worten und Sätzen einen Flächenbrand auslöst. Gewiss, mit den Tricks der Werbung kann man einiges steuern, und wenn das Budget nur groß genug ist, lässt sich jeder Schund an den Mann oder die Frau bringen. Doch echte Scoops lassen sich weder voraussehen noch lenken, sie passieren einfach. Als Martin Luther vor 500 Jahren seine 95 Thesen ans Tor der Schlosskirche zu Wittenberg hämmerte, war ihm kaum bewusst, dass man seinen Protestakt dereinst als Auftakt zur Reformation memorieren würde. Zweifellos hatte Karl Marx nicht weniger als eine Weltrevolution im Auge, als er 1848 mit dem kommunistischen Manifest der kapitalistischen Ordnung den Krieg erklärte. Doch wie viele Revolutionäre hatten vor Marx schon Kampfschriften verfasst, die vielleicht viel besser und eloquenter waren – und die, sofern sie überhaupt einer auch nur zur Kenntnis nahm, unbeachtet auf der Müllhalde der Geschichte landeten. Mutmaßlich haben die wenigsten, die sich auf Marx berufen, das schwer verdauliche und von Pathos nur so strotzende Manifest zu Ende gelesen, geschweige denn verstanden. Aber aus irgendeinem Grund setzte es sich durch.

      Zugegeben, der Titel war genial: Der dressierte Mann! Eine solche Marke provoziert, weckt Neugierde. Schon die englische Übersetzung, The Manipulated Man, klang dagegen eher holprig und auch die spanische, El Varón Domado, nur halbwegs verheißungsvoll. Offenbar steckte doch mehr als nur Marketing und Provokation (ein Vorwurf, den sich Esther Vilar immer wieder anhören musste) in diesem Stoff. Offensichtlich hatte sie einen Nerv getroffen, einen zentralen Nerv. Und eigentlich war das Verwunderlichste an der ganzen Geschichte, dass noch keiner vor ihr auf diese Idee gekommen war.

      Bleibt die große Frage: War die Aufmerksamkeit lediglich dem Zeitgeist geschuldet – oder ging es hier um etwas viel Grundsätzlicheres, etwas Universales?

      Vilars Kernthese: Die Frauen sind weder benachteiligt noch unterdrückt, sie sind bloß zu faul und zu bequem, um in der Wirtschaft, in der Kunst, in der Wissenschaft oder in der Politik Führungsverantwortung zu übernehmen; für die harte und anspruchsvolle Arbeit schicken Frauen Männer vor, die sie zu diesem Zweck mit allerlei Tricks manipulieren; sie zelebrieren sich als Dummerchen, vermitteln dem Mann das Gefühl von Überlegenheit, so dass der eitle Geck gar nicht merkt, wie sie ihn an der Nase herumführen; Frauen erpressen ihre Männer in zwei existenziellen Bereichen, in denen sie ihnen weit überlegen sind: Sie kontrollieren den Sex und den Nachwuchs; das Getöse um die Ausbeutung der Frau ist nicht mehr als eine raffinierte Täuschung, deren Ziel es ist, die tradierte Rollenteilung zu zementieren; wahre Emanzipation beginnt mit der Befreiung des Mannes aus seiner von den Müttern anerzogenen Unterwerfung.

      Das war auch und gerade in jener Zeit eine unerhörte Theorie. Die erste Welle von Woman’s Lib, die seit Mitte der 1960er Jahre von den USA aus über die ganze Welt schwappte, hatte Anfang der 1970er Jahre Europa erreicht. Gewiss, die Emanzen, Mannsweiber oder Suffragetten, wie sie von ihren Gegnern beschimpft wurden, waren stets auch auf Widerstand gestoßen. Doch was Vilar postulierte, entsprach nicht dem gängigen Muster der Abwehr. Sie rief die Frauen ja nicht zurück an den Herd, sondern im Gegenteil, die Frauen sollten endlich aus ihren Haushaltungen herauszustürmen und Verantwortung übernehmen. In ihrer Radikalität überholte Vilar viele Feministinnen sogar – allerdings, um beim Bild zu bleiben, nicht auf der linken, sondern auf der verpönten rechten Fahrspur. Das Problem lag aus ihrer Sicht nicht bei den Männern, sondern bei den Frauen. Sie sollten nicht darauf warten, dass ein Gentleman nach alter Väter Sitte ihnen den Vortritt ließ, sie sollten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Frauen waren keine Opfer, sondern Täterinnen.

      Es gab durchaus engagierte Feministinnen, die in Vilar eine Verbündete erkannten und sich von ihrem Weckruf begeistern ließen. Doch das war eine kleine Minderheit. Vor allem gab es auch keine Bewegung, wirklich keine einzige, die sich auf ihre Seite geschlagen hätte. Esther Vilar war eine Solokämpferin, die sich nirgends einordnen ließ. Auf der politischen Ebene mag das ein Nachteil gewesen sein, der ihren Kampf aussichtslos erscheinen ließ. Auf der intellektuellen aber war es ihr vielleicht größter Vorteil. Vilar musste nie auf die Befindlichkeiten von Mitstreiterinnen Rücksicht nehmen. Das Ringen um den kleinsten gemeinsamen Nenner brauchte sie nicht zu kümmern; sie konnte sich auf die maximale Kontroverse konzentrieren. Diese große Freiheit nutzte sie gnadenlos. Diese Freiheit machte Vilar zu einer ungemein agilen und schwer berechenbaren Gegnerin im Rededuell. Und sie verschaffte ihr eine hohe Glaubwürdigkeit.

      Wäre es anders gekommen, wenn Vilar sich an den Kopf einer Bewegung gestellt hätte, wenn sie Kompromisse eingegangen wäre? Vielleicht. Nur stellte sich ihr diese Frage gar nicht. Es lag nicht in ihrem Naturell. Wo sie es trotzdem versuchte, sollte sie grandios scheitern. Vilar baute allein auf die Kraft der Argumente in der offenen Debatte. Und von diesen hatte sie doch einige auf ihrer Seite – starke Argumente, die nicht so einfach zu widerlegen waren und die ihre Kontrahenten (meistens waren es Kontrahentinnen) regelmäßig aus der Fassung brachten.

      Es war ja nicht so, dass die Frauen in den 1970er Jahren auf der Weltbühne von der politischen Macht ausgeschlossen gewesen wären. Schaut man zurück, fragt man sich vielmehr augenreibend, wo all die Powerfrauen von damals heute geblieben sind. In Indien, immerhin der größten Demokratie der Welt, regierte Indira Gandhi (1966 bis 1977); Golda Meir führte Israel (1969 bis 1974) durch den vielleicht gefährlichsten Krieg seiner Geschichte; in Großbritannien trimmte die eiserne Parteivorsitzende Margrit Thatcher (1975 bis 1990) die Konservativen gerade auf ihren Kurs und zettelte eine liberale Revolution an, die weit über ihr Land hinausstrahlen sollte. Gandhi, Meir, Thatcher, das waren keine Quotenfrauen, sondern Macherinnen, die sich in der Männerwelt offensichtlich durchsetzen konnten. Keine von ihnen hat sich je beklagt, dass ihr Geschlecht ein Nachteil gewesen wäre.

      »Dass ich eine Frau war«, schrieb Golda Meir in ihrer Autobiographie, »hat mich nie in irgendeiner Weise behindert.« Es habe ihr allerdings auch nicht genützt, es sei einfach ohne Bedeutung gewesen. Women’s Lib war aus Meirs Sicht »ein Haufen Torheit« (a lot of foolishness). »Mächtig zu sein ist, wie eine Lady zu sein«, spottete Thatcher einmal, »wer es zur Schau stellt, ist es mit Sicherheit nicht.« Der Frauenbewegung, erklärte die eiserne Lady, schulde sie »rein gar nichts«. Genderfragen, so schrieb ihr Biograph Allan Mayer, hätten sie nur gelangweilt.

      Es zeigte sich auch, dass Frauen nicht unbedingt die friedfertigeren und rücksichtsvolleren Machthaber waren. Sirimavo Bandaranaike gilt als erste demokratisch gewählte Präsidentin der Welt, sie regierte Ceylon beziehungsweise Sri Lanka von 1960 bis 1965 und von 1970 bis 1977. Ihr rücksichtsloses Vorgehen gegen die tamilische Minderheit gab den Anstoß zu einem blutigen Bürgerkrieg; die von Bandaranaike forcierten Verstaatlichungen ruinierten das Land nachhaltig. Die übelsten Despotenjener Epoche waren wohl Männer, doch diese hatten nicht selten raffgierige Frauen – wir erinnern uns an Imelda Marcos oder María de Trujillo – an der Seite, die ihren Ehegatten bei der Plünderung der Staatskassen eifrig zur Hand gingen. Auf der anderen Seite schaffte es im sozialistischen Block, wo die Gleichstellung der Frauen seit je besonders forciert wurde, nie eine Genossin zur großen Führerfigur.

      Offensichtlich waren die Machtverhältnisse unter den Geschlechtern etwas komplizierter, als sie in den