Tages vergessen.
Schließlich handelte es sich um einen wertlosen Städter. Der Feind hinter den Mauern. Das ureigene Übel.
Nein, dir stehen meine Gedanken nicht zu!
Mit der Hand angelte ich nach einer ledernen Tasche.
Der schlauchförmige Beutel aus Ziegenfellen und Rinderhaut lag mittlerweile von Sand überzogen im Staub, verwuchs allmählich mit den Farben der Wüste und wäre bald gänzlich mit der Steppe verschmolzen, hätte ich ihn nicht in meiner Kurzschlussreaktion aus seiner misslichen Lage befreit. So klopfte ich mit energischen Bewegungen die feinen Partikel aus dem Ziegenfell und platzierte das gute Stück erst danach auf dem Schoß, um meine Finger ins Innere der Tasche gleiten zu lassen.
Es dauerte nicht lange, ehe ich das Objekt der Begierde zu fassen bekam.
Meine Fingerkuppen ertasteten den rauen Stamm einer Pflanze. Die zierlichen Knospen. Die Wurzelknolle.
»Na also.«
Ich schloss meinen Griff um die sich verjüngende Stelle des Holzteils und befreite die Wüstenrose aus dem Schatten des Beutels. Kaum war die Pflanze aus dem Dunkel geglitten, da entwich mir auch schon ein behaglicher Seufzer, wie ich da so auf meinen Schützling blickte und das kostbare Gut in den Händen wog. Bald schon würden Blüten in Farben von zartrosa bis rot aus den Knospen brechen, den Stamm in eine Krone aus Blumen hüllen … und meinem Lieblingsplatz eine neue Maske verleihen.
An diesem Ort wollte ich meinen Schützling pflanzen. Ich wollte wieder eine Wüstenrose pflanzen, wie ich es mir seit jeher zur Aufgabe machte.
Denn – ungeachtet meiner Geschichte, ungeachtet der Kommentare meines Stammes, ungeachtet all der düster darbenden Dinge der Welt, ungeachtet des Schicksals, ungeachtet der Götter – da hegte ich einen utopischen Traum im Herzen.
Den Traum, meine Wüste würde eines Tages im Meer zahlreicher Wüstenrosen erblühen und sich über den Staub ihrer Vergangenheit erhaben erweisen.
In einer vorsichtigen Geste strich ich über die Blätter der Rose, führte sie unter meine Nase und kostete den Duft des puren Grüns jenes Wunders. Wohl wusste ich um die zahlreichen Strapazen, die hinter dem kleinen Sprössling lagen und ihn so manches Mal an den Rand des Todes getrieben hatten, die mich um die bloße Existenz des Grüns hatten bangen und mich mit allen Mitteln für das Pflänzchen hatten kämpfen lassen. Wohl wusste ich um die Mühen hinter dem Grün, die es nun einmal kostete, wollte man den Setzling mit wenigen Wasserresten von Ritualen und Pferdemist am Leben erhalten.
Doch die Rose hatte selbst den dürrsten Perioden getrotzt.
Sie hatte überlebt. Meine Rose war bereit, in die Steppe entlassen zu werden und auf den Regen des nächsten Rituals zu harren.
Ich bedachte die größte der Knospen mit einem Kuss und setzte die Rose auf den versandeten Boden. Dann befreite ich eine Harke aus meinem Gürtel, schob die oberen Sandschichten beiseite und machte mich daran, ein Loch in die härteren Erdschichten unter den Verwehungen zu graben. Der trockene Boden platzte, bröckelte, sprang wie die trockenen Lippen des Landes, doch grub sich das Werkzeug Schicht für Schicht in die Tiefe und schuf ein Bett für die Rose im Staub.
»Du wirst nicht lange auf den Regen warten müssen«, versicherte ich der Pflanze mit mutiger Brust. »Die Älteste hat das Ritual für den morgigen Abend angesetzt – und so die Götter es wollen, schenken sie uns einen Schauer, der das Land für eine Weile befriedigen kann. Dann bist du sicher.«
Obgleich ich mir sehr wohl der Tatsachenlage bewusst war und ebenfalls nicht daran glaubte, dass der Schössling mich auf irgendeine Art zu verstehen vermochte, so kam ich nicht umhin, mit Stolz über meinen Traum zu sprechen. Die blühende Wüste blieb der stetig währende Antrieb, der mein Leben wieder in geregelte Bahnen lenkte und mich einen Sinn aus meiner Existenz schöpfen ließ.
»Lass mich nicht umsonst hoffen, kleine Rose«, bat ich das Pflänzchen.
Aus dem Wasserschlauch entließ ich die kläglichen Tropfen, die nach der Übergabe an die Stammesälteste noch im Transportgefäß verblieben waren. Die aufgewühlte Erdschicht schluckte das Wasser mit gierigen Zügen und verfärbte sich derart rasch, dass man meinen mochte, sie wäre ein Verdurstender an der Schwelle des Todes.
Womöglich lag dieser Umstand der Wahrheit nicht fern.
Ich bettete die Wüstenrose in die feuchtgewordene Höhle und schlug die Erdklumpen wieder über die Wurzel, um sie danach mit weiteren Wassertropfen fest auf den Knollenstamm zu drücken. Die lehmartige Masse schien mit dem Stamm zu verwachsen, verankerte die Pflanze an ihrem Platz und ließ sie selbst den Wüstenwinden trotzen.
Da stand sie nun. Meine Wüstenrose.
Da stand sie und machte mich glauben, dass der Tag wohl doch noch ein guter werden würde.
Zu diesem Zeitpunkt konnte und wollte ich nicht erahnen, wie sehr ich mich in jenem Glauben nur täuschte.
***
»Ich wusste, dass ich dich hier finden würde.«
Die knarzende Frauenstimme hinter den Felsen ließ den Atem in meiner Kehle stocken, so sehr hatte ich mich in meine Gedankenwelten vergraben und in den Utopien einer blühenden Wüste verloren. Zunächst erschien mir der Klang jener Worte derart fremd, derart Stille zerstörend und fehl an diesem friedlichen Ort, dass ich die Person hinter den Sätzen über Minuten nicht einordnen konnte. Dann allerdings trat die Gestalt hinter den Steinen hervor …
… und ich landete unwillkürlich in der Realität.
»Sei gegrüßt, Nakhara«, krächzte die Stammesälteste.
Ein Schmunzeln legte sich auf das faltenzerfurchte Gesicht jener Frau, deren Körper unter einem roten Leinengewand verborgen war und indessen jegliche Körperlichkeit an die zahlreichen Stofflagen zu verlieren schien. Die Zeremonienkleidung bedeckte den buckligen Leib wie eine Wand des Unantastbaren, täuschte die Sinne mit zahlreichen Perlen und reflektierte die Sonne mit ihren bunten Scherben, sodass man glaubte, die Älteste würde über die Sanddünen schweben. Lediglich ihre knochigen Hände verliehen der Gestalt ein wenig Menschlichkeit, wie sie da so ohne jegliche Hautfarbe aus den Ärmeln ragten und sich an einen Gehstock aus Wurzeln klammerten.
Silbernes Haar schmiegte sich als Zopf an die Wange. Die Miene lag im Schatten eines dunklen Turbans, doch ihre Augen, die blitzten stahlblau aus der Nacht ihrer Kleidung.
»Sei willkommen, Älteste«, ließ ich mit einem ehrfürchtigen Nicken verlauten und erstarrte sogleich mit offenem Munde, als ich mir meiner wenig ehrfürchtigen Position vor ihr gewahr wurde. »Ach herrje, ich …«
Für gewöhnlich war die Stammesälteste mit einer angemessenen Verneigung zu begrüßen, wohingegen ich noch immer am Boden kauerte und meiner Rose augenscheinlich mehr Respekt in den Gesten zollte als der Lebensbringerin meines Stammes höchstselbst.
Ich saß auf dem Boden! Auf den Knien. Im Sand.
Schon fuhr ich in einer eiligen Bewegung in den Stand und stolperte über meine kribbelnden Beine, torkelte letztlich in Richtung der Felsen, stützte mich an die große Säule und raffte mich rasch zu einer besseren Haltung. Während auf den Lippen der Ältesten ein Lächeln der offensichtlichen Belustigung erschien, mühte ich mich gegen die Nebenwirkungen der lang gehaltenen Knieposition und versuchte, den Knicks nicht noch ungeschickter als meine Aufstehtorkeleien zu vollführen. Dann klopfte ich mir den imaginären Staub von der Kleidung. Man mochte meinen, ein Skorpion hätte mich in mein Sitzfleisch gestochen.
»Oh Götter! Entschuldigung. Ich war in Gedanken«, brabbelte ich mit hochroten Zügen in mich hinein, während die Bewegungen meiner Hände einer gewissen Hektik verfielen.
Mein Kommentar provozierte jedoch nur ein weiteres Lachen ihrerseits. Diesmal … gänzlich ungehalten. Und laut.
Die Älteste lachte mit ihrer knarzenden Reibestimme derart laut auf, dass der knochige Brustkorb unter den Stofflagen zu wippen begann und mit den aufgenähten Perlen und Scherben um die Wette zu schlackern schien. Der raue