Achim Wigand

Montenegro Reiseführer Michael Müller Verlag


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ein biss­chen ratlos zu­sehen. Sie, wie die ab­so­lute Mehrzahl der Besucher des Landes, lassen es eher geruh­sam angehen. Morgens an den Strand, nachmittags ein Kloster oder einen Wasserfall anschauen und dann aber schnell in irgendeine Alt­stadt ein Bier trinken. Oder, wenn die Sonne in der Adria versinkt, den ge­grill­ten Tin­ten­fisch mit einer Flasche Vra­nac hinunterspülen.

      Klöster und Festungen

      Die Küstenregionen Montenegros waren über Jahrhunderte der Wanderpokal unter den Großmächten des Mediterrans, im Binnenland beharkten sich die Osmanen und die Orthodoxie. Es ging lebhaft zu im Siedlungsraum Montenegro, und das kann man auch sehen.

      Die Römer waren auch schon da: Bodendekoration im antiken Ferienhäuschen.

      Die Juwelen in der montenegrinischen Küs­tenkette sind die Ensembles der Altstädte, die - kleinen Trutzburgen gleich - die historischen Schnittstellen von Land und Meer bereitstellten. Eine Son­derrolle spielt, schon wegen der einzigartigen Lage am Ende der langen Bucht, das ehedem märchenhaft reiche Kotor. Besonders in den fast 400 Jahren unter venezianischer Herrschaft mau­serte sich die Kleinstadt am Fuß des Lovćen-Gebirges zu einem Schmuck­käst­chen der Renaissance. Verteidigt wurde Kotor vor allem gegen das Hin­ter­land, davon zeugen die mächtigen Mauern, die sich 4,5 km den steilen Berg­rücken hinaufziehen.

      In Budva, auf einem vorgelagerten Fel­sen schon in der Antike ins Meer hin­ein­gebaut, ist das alles eine Nummer klei­ner und wahrscheinlich deswegen auch putziger. Ganz im Süden schließ­lich prangt das alte Piratennest Ulcinj hoch über einer Bucht.

      Ein Sonderfall ist die Insel Sv. Stefan - das war zwar bloß ein Fischernest, mit sei­ner einzigartigen Lage auf einer In­sel im Meer vor den Paštro­vići-Hügeln aber wahrscheinlich das Premium-Foto­motiv der montenegrinischen Ad­ria.

      Ganz sicher trieben sich schon die alten Griechen an der östlichen Adria herum, davon lassen sich aber heute keine Spuren mehr finden. Von der römi­schen Herrschaft sind hingegen noch einige sehr anschauliche Überreste er­hal­ten. Die Mosaiken in Risan in der Bucht von Kotor sind wahr­scheinlich die bekanntesten, die Fund­stätten von Duklija die bedeu­tend­s­ten und größten.

      Die eindrucksvollste Ruine Monte­ne­gros aber ist das Ensemble von Stari Bar oberhalb der Hafenstadt Bar. Vermutlich 2000 Jahre lang war der Ort besiedelt und wurde von allen mög­lichen Fremd­herr­schern im­mer wieder zer­stört und neu aufgebaut, bis Ende des 19. Jh. nur noch eine ver­wun­sche­ne Geisterstadt übrig blieb.

      Die politische Klasse des Landes besorgt ihr Geschäft heute in der weitgehend ge­sichts­losen Groß­stadt Podgorica, für den längs­ten Teil der Geschichte Monte­ne­gros und seiner Vorstaaten war der ad­mi­ni­stra­tive Mit­tel­punkt Ce­ti­n­je im Hin­ter­land. Die Klein­stadt be­her­berg­te di­plo­ma­tischen Ver­tre­tungen aller euro­pä­i­schen Groß­mächte, was dem etwas ver­schla­fe­nen Ort eine un­er­wartet in­ter­nationale Fa­cet­te ins Stadtbild ge­schliffen hat. Au­ßer­dem ist Cetinje mit seinen Mu­seen und Aka­de­mien das künstlerische Zen­trum Mon­te­negros.

      Alle orthodoxen Klöster sind wichtig, man­che noch wichtiger, die meisten sind aber die allerwichtigsten - die Hierarchie unter den mönchischen Niederlassungen im Land ist mir auch noch 20 Jahren immer noch unklar. Klar ist aber, dass die intellektuelle und spirituelle Geschichte des Landes ohne die über das ganze Land verstreuten or­t­ho­doxen Klöster völlig unvorstellbar wäre. In vorsichtiger Näherung wage ich zu behaupten, dass man die Re­li­quien des spektakulären Felsenklosters Ostrog, die berühmten Ikonen des Bi­schofssitzes in Cetinje und die unge­heu­er malerisch in der Morača-Schlucht gebaute Anlage unter dem Drei­fal­tigkeitskreuz einfach einmal gesehen haben muss.

      Der Raubtierkapitalismus Montenegros hat nur ein dünnes Fell, darunter schim­mert bei näherer Betrachtung immer noch stark das blutrote Fleisch des Sozialismus. Hier ein fünfzackiger roter Stern, dort ein nur teilweise über­wach­sener Lobpreis auf den Staats­grün­der Tito und Partisanendenkmäler in inflatorischer Menge. Die Ungetüme aus Spritz- und Waschbeton mögen oft von sehr zweifelhaftem künstlerischem Wert und von noch sehr viel mäßigerer hand­werklicher Qualität sein, aber wer sich nicht völlig ignorant durchs Land bewegt, wird auch noch im kleinsten Bergdorf daran erinnert, dass der Sieg der Arbeiterklasse einst unmittelbar bevorstand. Noch viel mehr sind diese Relikte aber bitteres Zeugnis der bru­ta­len Vehemenz und unfassbaren Grau­sam­keit der Auseinandersetzung zwi­schen Titos Partisanen und ihren ver­schiedenen Widersachern im Zweiten Weltkrieg: den deutschen und ita­lie­nischen Besatzern Jugoslawiens, den königstreuen Tschetniks und den Mi­lizen der faschistischen Ustascha.

      Die Wundertüte

      Montenegros Landschaften las­sen sich prima mit Superlativen beschrieben, aber jenseits der Marktschreierei vom Tiefsten, Höchsten und Einzigen ist die Natur vor allem ungeheuer vielseitig und abwechs­lungs­reich - bis auf Wüste und höchst­alpine Todeszone ist so ziemlich alles dabei. Man kann schon auch bloß zum Planschen im Mittelmeer herkommen, aber dann verpasst man doch eine ganze Menge.

      Wenn das kein Postkartenmotiv ist!

      Der über 40 km tiefe Einschnitt in den dinarischen Rücken gleich hinter der Landesgrenze ist bestimmt die bekann­teste Natur­sen­sa­tion Monte­negros. Ein auch nur vergleichbar großes na­tür­li­ches Hafenbecken findet man sonst nir­gends im gesamten Mittelmeerraum, schon ein­fach nur drum herumfahren ist ziemlich eindrucks­voll, noch ma­je­s­tä­ti­scher ist das Einschweben auf dem See­weg. Die monumentale Dröh­nung der Draufsicht auf die vier Be­cken der Bucht er­schließt sich aber erst von den Höhen des Jeserski Vrh im da­rüber thronenden Lovćen-Gebirge. Eine run­de im pri­vaten Helikopter oder Jet ist be­stimmt auch toll, habe ich aber man­gels Flug­gerät noch nicht aus­probiert.

      Das häufigste Sujet der Crème der mo­n­tenegrinischen Landschaftsmaler ist die Schlucht - die Nationalgalerie in Pod­gorica wirkt wie ein Katalog der tiefen Täler und wilden Flüsse. Prunk­stück der Canyons ist die Schlucht der Tara ganz oben im Norden des Landes. Vom oberen Rand des engen Flusstals am Ćurevac beträgt die lichte Fallhöhe bis zum Bett der Tara über 1300 m, das ist der europäische Spitzenwert. Das sieht von oben schon ergreifend toll aus, noch großartiger entfaltet sich die ge­o­lo­gische Sensation dann vom Was­ser, und so gehört die Rafting-Tour auf der Tara auf jeden Reiseplan. Wem der Spit­zenwert egal ist und wer und nicht un­be­dingt eine Fahrt im Gummiboot braucht: Auch Morača, Mrtvica und Piva haben sich ein­drucks­voll tief in die Berglandschaft ein­graben, der Preis für den spekta­ku­lärs­ten Canyon ge­bührt jedoch der su­per­engen Ko­mar­ni­ca.

      Montenegro allgemein ziem­lich hü­gelige Landschaft faltet sich am kräf­tigs­ten im Durmitor-Ge­b­irgs­stock in die Höhe. Ein halbes Hundert 2000er-Gipfel nimmt dort gerade einmal etwas mehr als die Grund­flä­che Mün­chens in Anspruch und hat trotz­dem alles, was ein rich­tiges Ge­bir­ge braucht: schrof­fe Fels­wände, Hoch­almen, Tief­täler, Schnee­felder und ein paar Schluch­ten. Das sieht nicht nur endschick aus, son­dern gibt Berg­sport­lern aller Cou­leur beste Be­din­gungen für ihre