Kai Hirdt

Perry Rhodan 2998: Drei Tage zum Weltuntergang


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nahm Sharoun die Pille auf, legte sie in seine Handfläche. Sie schien ein Loch hineinzubrennen. Das, so wusste er, lag nicht nur an der Nervenreizung. Dieselbe Täuschung hätte sich auch unter völlig normalen Umständen eingestellt.

      »Zeig die Nachricht von der RAS TSCHUBAI!«, krächzte er.

      Die chaotischen Szenen vom Raumhafen erloschen. Stattdessen erschien wieder der Schriftzug, den er kurz zuvor betrachtet hatte. Wenige Tage noch, dann würde der Weltenbrand unumkehrbar.

      Auf seltsame Weise gab diese eigentlich niederschmetternde Botschaft Hekéner Sharoun etwas Hoffnung zurück. Einige Tage lang kam ihm der Kampf wenigstens noch sinnvoll vor. So lange konnte er sich gegen das Ende stemmen. Erst danach war alles endgültig vorbei.

      Diese Tage würde er noch aushalten. Das Leben erträglich gestalten, mit den stärksten Betäubungsmitteln, die sein Körper vertrug. Erst dann würde er die Pille nehmen, die ihn beständig lockte. Die Pille, die seine Leiden endgültig beenden würde.

      1.

      Hinter dem Spiegel

      Trotz der ernsten Lage musste ich kurz lächeln, als ich Perry Rhodan von der Seite betrachtete. Er war sich der kosmischen Bedeutung seines Handelns vollauf bewusst, das sah man ihm allzu deutlich an. Oder zumindest ich tat das, weil seine Körpersprache auch die meine war – schließlich war auch ich Perry Rhodan, wenngleich es mich lediglich aus einem anderen Universum in diese Variante der Realität verschlagen hatte.

      Ich konnte nun erstmalig von außen betrachten, wie es aussah, wenn ich mich gerade sehr wichtig nahm. Was ich meinen Alter Ego gar nicht verübelte. Von dem Erfolg dieses Experiments hing schließlich das Schicksal einer ganzen Galaxis ab.

      Der andere Rhodan hielt sich aufrechter als zuvor, zögerte kurz, atmete einmal etwas tiefer ein. Dann trat er entschieden, aber ohne Hast auf den Shod-Spiegel zu, den uns die Gemeni zur Verfügung gestellt hatten.

      Eine schillernde Folie spannte sich in dem übermannsgroßen Rechteck, wie ein hauchdünner Film aus Kunststoff. Oder wie Zellophan, nur etwas milchig.

      Doch das war nur, was meine Augen wahrnahmen. Meinem Körper fehlten die Sinne, die nötig gewesen wären, um das wirklich relevante Geschehen wahrzunehmen. Dieses spielte sich nämlich im sechsdimensionalen Bereich ab.

      Die vermeintliche Folie war in Wirklichkeit eine Kopie von Atlan da Gonozals Ritteraura – einer für meine Begriffe unfassbaren Ausstrahlung, die ihm vor vielen Jahrhunderten aufgeprägt worden war und die ihn als Beauftragten irgendwelcher Hohen Mächte auswies.

      All das klang in meinen Ohren fast schon esoterisch. Nur war Atlan alles andere als das, sondern einer der tatkräftigsten und geerdetsten Menschen oder eben Arkoniden, die mir je begegnet waren.

      Zudem hatte mein Alter Ego die Geschichte von der Aura bestätigt. Der Perry Rhodan dieses Universums hatte einst ebenfalls eine solche Aura besessen, sie jedoch irgendwann wieder opfern müssen, um eine große Gefahr von mehreren Galaxien abzuwenden.

      Und damit waren wir beim Kernpunkt, der Rhodans leicht gehobenes Kinn und den durchgedrückten Rücken mehr als rechtfertigte: Erneut war die Galaxis bedroht, und zwar durch den Weltenbrand, den ich unwissentlich und unwillentlich mit ausgelöst hatte.

      »Um die Verödung der Milchstraße abzuwenden, müssen wir nach Wanderer vordringen und die erbeutete Proto-Eiris neu programmieren« – das war der Auftrag. Bis vor Kurzem hätte ich mit all diesen Begriffen nichts anfangen können.

      Der andere Rhodan hatte es mir erklärt. Der Kunstplanet war – so meinte er – »gewissermaßen die manifestierte mentale Substanz der Superintelligenz ES«. Aus den bisherigen Erkenntnissen zu diesem Kunstplaneten, der weder der erste noch der einzige dieser Art zu sein schien, hatte man geschlossen, dass in der Maschinenstadt diese Proto-Eiris eingesetzt werden sollte.

      »Die ist ja auch ein Ausfluss von ES«, hatte der andere Rhodan gesagt. Er hatte mir Berichte gezeigt, die aus der Station Arkanum-Alpha stammten, umfangreiche wissenschaftliche Darstellungen, und versucht, sie in mein bisheriges Weltbild einzuführen.

      Letztlich war mir eines bewusst worden: Nur in der sogenannten Maschinenstadt konnte man die Neuprogrammierung vornehmen.

      Dieser Vorgang benötigte eine Autorisierung – nämlich die Anwesenheit von zwei Auraträgern. Atlan war der eine. Und Rhodan zog sich gerade die Kopie von Atlans Aura über, um als der zweite durchzugehen.

      Der Bhal der Gemeni hatte uns gewarnt, dass die Aura nicht lange stabil bleiben würde. Einige Stunden sicher, wahrscheinlich einige Tage. Aber keine ganze Woche. Sobald Rhodan Erfolg gehabt hatte, war also Eile geboten.

      Ich fragte mich, wie sich der Vorgang optisch darstellen würde. Ob die Folie sich um Rhodan wickeln würde, als ginge er wirklich durch Zellophan? Oder würde sie im Moment der Berührung zerplatzen wie eine Seifenblase? Würde sie blendend aufstrahlen und dann verschwinden?

      Nichts davon geschah. Rhodan trat durch den Rahmen und die Folie hindurch, als sei sie überhaupt nicht vorhanden.

      Verwirrt drehte er sich um, trat hinter dem Spiegel hervor und sah uns an. »Hat es funktioniert?« Der Zweifel in seiner Stimme enthielt im Grunde schon die Antwort.

      Gucky kratzte sich das fellige Kinn. Sein Nagezahn bohrte sich leicht in die Unterlippe. »Wie fühlt es sich denn an?«

      Rhodans Gesicht arbeitete. Seine Miene pendelte zwischen nachdenklich und verärgert. »Nach gar nichts. Keine Änderung. Ich habe die Aura zwar meist nicht gespürt, als ich sie hatte. Aber ich habe ihr Fehlen oft gemerkt, seit ich sie verloren habe. Und dieses Ziehen ist immer noch da.«

      »Ziehen?«, fragte ich.

      Atlan warf mir einen skeptischen Blick zu. Der Arkonide kam nicht gut damit zurecht, von zwei Perry Rhodans umgeben zu sein.

      »Ich kann es nicht besser ausdrücken«, gab der andere Rhodan zurück. »Es ist ... Phantomschmerz wäre zu viel gesagt. Aber ein Teil von mir fehlt. Ich bin weniger, als ich sein sollte.«

      Das machte im Grunde nichts klarer. Aber wenn ein Perry Rhodan mit fast dreitausend Jahren Lebenserfahrung es nicht richtig beschreiben konnte, war es vielleicht von einem anderen Perry Rhodan, der gerade erst Mitte Fünfzig war, auch nicht zu verstehen.

      Gucky spuckte in die Hände, klatschte sie zusammen und rieb sie aneinander. »Es ist also mal wieder Zeit für mich, das Universum zu retten.«

      »Wie stellst du dir das vor?«, fragte Atlan gereizt. Der Weltenbrand zehrte auch an seinen Nerven.

      »In Aurafragen hilft sofort der hochkompetente Teleport«, reimte der Mausbiber. Er präsentierte ein breites Grinsen, fast von einem großen runden Ohr zum anderen. »Diese Sache läuft sechsdimensional. Wenn Perry da hindurchtappt, ist das nur ein vierdimensionaler Vorgang. Und der funktioniert offensichtlich nicht.«

      Der andere Rhodan nickte. »Ich verstehe, worauf du hinauswillst. Ein Teleportsprung ist ein fünfdimensionales Ereignis. Wenn wir uns so annähern, ist die dimensionale Distanz geringer, und die Übernahme ist vielleicht einfacher.«

      »Einen Versuch ist es wert, oder?« Gucky fragte es in einem Ton, als habe er den großen Preis bereits abgeräumt.

      »Und wenn die Aura auf dich übergeht statt auf Perry?«, fragte Atlan.

      Rhodan lachte. »Dann gehst du halt mit Gucky nach Wanderer. Da bin ich nun überhaupt nicht eitel. Auch wenn ich meine Aura vermisse.«

      Ich konnte nicht umhin, die drei Wesen zu bewundern – den Menschen, den Arkoniden und den Ilt. Jeder Einzelne war alt genug, um ganze Kulturen aufstehen und vergehen zu sehen. Und wenn die Berichte stimmten, hatte zumindest Atlan beim Aufstieg einiger Hochkulturen tatkräftig mitgeholfen.

      Alle drei behandelten den Weltenbrand zwar mit dem nötigen Ernst; alles andere wäre in dieser Lage auch verwunderlich gewesen. Dennoch bewahrten sie eine gewisse Leichtigkeit, die ich selbst unter diesen Umständen nicht aufgebracht hätte. Wahrscheinlich kam das einfach mit den Jahrtausenden.