blickte in den Spiegel, der an der Wand gegenüber der hing, vor der er den Schrein errichtet hatte.
Das Bild, das er sah, betrübte ihn.
Seine Augen kamen ihm verschleiert vor. Sehr ungewöhnlich für einen Buddhisten. Die Anhänger dieser Religion hatten ausnahmslos, von einer schlechten Tagesform einmal abgesehen, sehr klare, strahlende Augen.
Ich habe es noch nicht überwunden, dachte er. Das, was mir den Blick trübt, trage ich noch mit mir herum.
Er schloss die verschleierten Augen. Sofort sah er wieder die Uhr.
Ihr altmodischer Zeiger sprang vor und zurück, vor und zurück.
Er öffnete die Augen wieder.
Die Uhr ließ ihn nicht los. Sie verhinderte, dass er sich konzentrieren, meditieren konnte. Es war sinnlos, es zu verleugnen.
Seine Wahrnehmung hatte sich verändert. Vielleicht versuchte sein Unterbewusstsein, ihm mit diesem Bild etwas zu verraten, ihn auf eine Spur zu bringen. Vielleicht war es aber auch etwas ganz anderes.
Wie dem auch sein mochte – hier in seiner Kabine würde er keine Ruhe und Ausgeglichenheit finden, die er dringend brauchte, um die selbstgestellte Aufgabe lösen zu können. Die Befreiung des Herzens musste noch etwas warten, wie so oft.
Oder fast immer.
In diesem Augenblick gellte das Jaulen der Alarmsirene durch das Schiff.
Für Norman gestaltete es sich äußerst schwierig, Benjameen und Tess in die Hauptzentrale zu folgen. Nicht nur seine kurzen Beine, sondern auch der hin und her pendelnde Rüssel waren ihm mehr als einmal hinderlich.
Normalerweise war er sehr geschickt mit seinem Rüssel, aber das Geräusch des Alarms hatte ihn aus seinen Träumen gerissen. Schlaftrunken war er gegen Benjameen gestoßen, der deshalb fast gestürzt wäre.
Der kleine Klonelefant fand sich plötzlich im Getümmel etlicher Beine wieder, was ihm nicht gerade half, sich zu orientieren.
Er vermisste die vertraute Umgebung des Quartiers, das er sich mit Benjameen und Tess teilte. Norman hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, in seinem Körbchen still vor sich hin zu dösen, während die beiden Dosenöffner auf ihrem Bett lagen. Allzu oft hatte man ihn nämlich des Raumes verwiesen und in diese kalte Hygienezelle gesperrt, wenn er sich allzu hartnäckig mit schrägen Trompetenstößen bemerkbar machte. Tess gab ihm dann zwar immer einen Leckerbissen zum Trost, aber er lag lieber auf seinem flauschigen Kissen als in einer Dusche.
Die technische Welt der Zweibeiner war ihm sowieso nicht geheuer. Zwischen all den merkwürdigen Gerüchen versuchte er, den vertrauten Duft von Benjameen oder Tess auszumachen.
Niemand achtete auf ihn, wie er vergeblich seinen Rüssel vor Stößen und Remplern zu schützen suchte. In dem Gang war es zu eng, und die Hektik war groß. Der Alarm hatte das eintönige Bordleben auf Trab gebracht.
Diese Betriebsamkeit war ihm unheimlich. Keiner, der sich zu ihm hinabbeugte und ihn am Ohr kraulte. Niemand sprach ihn an oder hielt ihm einen Leckerbissen hin.
Solch eine Ignoranz war er nicht gewöhnt. Traurig ließ er die Ohren hängen. Und seine beiden Menschen waren auch verschwunden.
Allmählich überkam ihn ein Gefühl der Verlassenheit. Zwischen all den umherstampfenden Beinen, dem Stimmengewirr und Piepsen von irgendwelchen positronischen oder sonstigen Geräten fühlte er sich einsam. Wäre doch nur Tess hier, sie würde ihn in sein Körbchen bringen, zu seinem Flauschkissen, auf das er sich legen konnte.
Sein Spürsinn ließ ihn im Stich, er war einfach zu erregt. Tess' und Benjameens Verschwinden hatte ihn verwirrt. Es half nichts, er musste sich bemerkbar machen.
Mit aller Kraft stieß er Luft durch seinen Rüssel. Das Geräusch, das er dabei erzeugte, erinnerte an den Klang eines verrosteten Jagdhorns, das der Jäger auf seinem Hochstand liegen gelassen hatte und nach Jahren im Regen wieder benutzte. Es ging durch Mark und Bein.
»Ach, der Arme, hat sich wohl verlaufen.« Eine junge Frau beugte sich zu ihm hinab und kraulte ihn am Ohr. Endlich. Wäre er eine Katze, würde er jetzt schnurren.
Das Gefühl der Verlassenheit hatte er schon vergessen, die vielen Stöße und Rempler auch. Er folgte der jungen Frau durch das Schott, das sich für ihn nicht öffnete, das, das in die so genannte Hauptzentrale führte. Und er freute sich, als er Tess und Ben sah, und brachte dieses Gefühl mit einem kläglichen Trompetenstoß zum Ausdruck.
Die Gesichter der Anwesenden wandten sich ihm zu. In ihnen stand Entsetzen über den soeben erlittenen Anschlag auf ihr Gehör geschrieben.
Stolz marschierte Norman zu Tess, rieb sich an ihrem Bein und sah sie erwartungsfroh an.
»Wie schön, jetzt sind alle wichtigen Offiziere mit besonderen Kommandofunktionen anwesend. Führen wir die Situationsanalyse fort.«
Kapitel 4
Indras Netz
JOURNEE, Bordzeit 15. März 1312 NGZ
Rhodans Stimme klang gar nicht amüsiert, aber durch die Reihen der Menschen in der Zentrale ging ein Auflachen.
Es klang nicht einmal gezwungen. Als Tess die Zentrale betrat, hatte sie sofort eine extrem starke Spannung wahrgenommen. Irgend etwas war passiert – die JOURNEE war aus dem Hyperraum in den Normalraum gestürzt –, und niemand schien den Grund dafür zu kennen.
Normans Auftreten mochte zwar ungelegen kommen, aber es hatte diese Spannung zumindest für einen Augenblick aufgelöst.
Tess lächelte verlegen und warf Benjameen, der die Zentrale kurz nach ihr betreten hatte, einen verzweifelten Blick zu. Sie hatte die Wissenschaftliche Leitung der Mission inne. Sie konnte doch nicht einfach mal eben kurz gehen und die Lagebesprechung verpassen, um ihr Haustier zurück in die Kabine zu bringen ...
Benjameen war Stellvertretender Missionsleiter. Er konnte es sich auch nicht leisten, den Krisengipfel zu versäumen.
Norman rieb sich noch immer an ihrem Bein.
Sie ging in die Hocke. »Norman«, flüsterte sie, »jetzt sei schön brav und geh zurück in die Kabine!«
Der kleine Klonelefant sah sie aus großen Augen an – und hob den Rüssel, um erneut ein klägliches, schrecklich schiefes Trompeten auszustoßen.
»Können wir fortfahren?«, fragte Rhodan. Seine Stimme klang allmählich sehr ungehalten.
»Bitte, Norman«, flüsterte Tess und schwor sich, demnächst darauf zu achten, dass der kleine Elefant nicht einfach so aus der Kabine entwischen konnte.
Zu ihrer grenzenlosen Verwunderung drehte ihr Haustier sich um und watschelte auf den kurzen Säulenbeinen zum Schott. Zischend öffnete es sich vor ihm, und der Kleine entschwand ihren Blicken. Sie fragte sich, ob Norman tatsächlich direkt zu ihrer Kabine zurückkehren oder durch die JOURNEE streifen und noch mehr Unsinn anstellen würde, verdrängte den Gedanken dann und konzentrierte sich auf Rhodan.
»Also noch einmal von vorn«, sagte der Resident. »Zim, was genau ist geschehen?«
Die Stimme des jungen Emotionauten klang seltsam geistesabwesend. Tess konnte seine Augen nicht sehen, bezweifelte jedoch nicht, dass sie genauso entrückt schauten.
»Die JOURNEE hat rund zwei Komma eins Millionen Lichtjahre zurückgelegt«, sagte er und stockte sofort wieder. Offensichtlich wusste er nicht, wie er anfangen sollte. Oder er hatte auch keine Erklärung für das, was soeben geschehen war. »Mit der Höchstgeschwindigkeit von neunzig Millionen Überlicht, abgesehen von fünf Etappen über je dreißigtausend Lichtjahre mit einem Überlicht-Faktor von zweihundert Millionen ...« Er hielt endgültig inne.
»Vielleicht erweist es sich noch einmal als wichtig«, sagte Rhodan. »Die Distanz vom Hayok-Sternenfenster bis hierher beträgt exakt 2.129.456 Lichtjahre. Wir haben die Randbereiche von Andromeda erreicht.«