Fiktivtransmitter, der solch ein Objekt an jeden beliebigen Ort schicken konnte, ohne dass er in einer Gegenstation rematerialisieren musste?
Nein. Rhodan war sich völlig sicher. Dieser Vorgang, dieses Phänomen, hatte nicht das geringste mit dem Reich Tradom zu tun, das Terra aus einer fast 400 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxis angegriffen hatte.
Licht wurde stofflich, und vor Rhodan entstand ...
Ein Körper aus Fleisch und Blut?
Nein, dachte der Terranische Resident. Ganz bestimmt nicht. Eher schon ein ... Abbild.
Vor Rhodan verdichtete sich zusehends die Erscheinung des Körpers einer Frau. Sie war vielleicht einen Meter und siebzig groß. Ihr Gesicht war ebenmäßig geschnitten, die geradezu makellosen Züge wurden von einer aristokratisch anmutenden, geraden Nase und vollen, blassen Lippen beherrscht. Auch ihr Teint war blass, ein samtenes Hellbraun mit einer Häufung sommersprossenartiger Flecken um die Nase.
Sie trug ein halb transparentes, bis zu den Knöcheln reichendes Kleid in einer ockerähnlichen Farbe, das trotz des ziemlich durchsichtigen Stoffes keinerlei Merkmale der Figur enthüllte. Ob ihre Füße den Boden tatsächlich berührten oder dicht darüber schwebten, konnte Rhodan nicht genau erkennen.
Nein, dachte er erneut. Diese Frau kann kein Mensch aus Fleisch und Blut sein.
Sie war geradezu überirdisch schön. Der Resident musste an eine geheimnisvolle, in sich ruhende Priesterin voller Weisheit und innerer Ausgeglichenheit denken, deren Lebenserfahrung der seinen in jeder Hinsicht mindestens gleichkam.
Aber ... lebte sie überhaupt? Oder war sie nur eine Statue, die perfekte Darstellung eines idealisierten Wesens?
In der Kabine wurde es etwas heller. Das Licht schien aus dem Körper zu strömen, einzig deshalb, damit Rhodan die Gestalt besser wahrnehmen konnte.
Sein Blick fiel auf ihre Augen. Sie waren kohlschwarz, leicht schräg gestellt, mit einem asiatischen Einschlag. Und sie versprühten eine beinahe unbändige Energie und ließen Willenskraft bis zur Selbstaufgabe erahnen. Diese Augen waren es, die die fast schon zu perfekte Erscheinung erst zum Leben erweckten.
Rhodan richtete sich langsam von seinem Bett auf. Ihm kam die Situation unwirklich, fast surreal vor. Er war als Sofortumschalter bekannt, wusste aber nicht, was er nun tun sollte. Aus einem fast lächerlichen Grund: Alle Möglichkeiten erschienen ihm furchtbar profan. Wenn dieses Wesen Kontakt mit ihm suchte, sich mit einem Hilferuf an ihn wenden wollte, würde es schon wissen, wie es vorgehen musste.
Aber die überirdisch schöne Frau stand einfach nur da und schwieg.
»Wer bist du?«, fragte Rhodan schließlich.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis so etwas wie eine Antwort erfolgte. Zuerst glaubte der Resident, einen unverständlichen Wortfetzen zu vernehmen, unter dem wieder ein starkes Gefühl mitschwang, doch dann konkretisierte das Geräusch sich zu einem Begriff.
Zu einem Namen.
»Kiriaade.«
»Syntron«, sagte Rhodan. Seine Kabine wurde, wie alle anderen auch, von der Bordsyntronik des Schiffes überwacht. Zusätzlich sorgte der Kabinenservo für ein Maximum an Komfort und den direkten Zugriff auf alle Informationsquellen, die die LEIF ERIKSSON aufzubieten hatte. »Wer befindet sich außer mir in meiner Kabine?«
»Niemand«, erklang wie aus dem Nichts eine angenehm modulierte, zweifelsfrei aber künstliche Stimme. Sie war mit ihrem rauchigen, vollen Timbre zu perfekt, um natürlichen Ursprungs sein zu können. »Du bist allein, Resident.«
Rhodan riss die Augen auf. »Analyse mit sämtlichen zur Verfügung stehenden Mitteln!«, befahl er. »Direkt vor mir, mitten in meiner Kabine, steht eine mir unbekannte Person.«
»Ich versichere dir«, erwiderte der Kabinenservo, »dass dort niemand ist. Meinen objektiven Kriterien zufolge ist gar nichts zu erkennen. Du bist allein.«
»Liegen Informationen über den Begriff Kiriaade vor?«
»Ich bedaure, nein. Dieser Begriff ist mir völlig unbekannt.«
»Rhodan«, unterbrach die Frau das Zwiegespräch. »Ich brauche deine Hilfe.«
»Wer bist du? Wie kann ich dir helfen? Vertraue mir, ich ...« Er verstummte. Etwas hatte sich verändert.
Plötzlich drangen wieder Gefühle auf Rhodan ein, aber nicht, wie zuvor, die des Wesens selbst, das sich Kiriaade nannte. Nicht die Verzweiflung, Furcht und vielleicht sogar die Spur von Hoffnung, die er zuvor wahrgenommen hatte.
Nicht ihre Gefühle, sondern die anderer Wesen. Zuerst konnte Rhodan sie noch bewältigen, doch dann fegten sie ihn einfach hinweg, erfassten ihn mit unglaublicher Gewalt und drohten ihn zu zermalmen. Es waren Myriaden starker Gefühle, alle unterschiedlich und doch irgendwie gleich.
»Oh, nein«, flüsterte Rhodan. Er schwankte, musste nicht nur um sein seelisches, sondern auch sein körperliches Gleichgewicht kämpfen.
In seinem Geist entfalteten sich, einer schrecklichen, nachtschwarzen Blume gleich, die Facetten unermesslichen Leids. Des Leids einer Unmenge von Wesen, ein jedes davon eine eigenständige Persönlichkeit, obwohl nur ein winziges Bestandteil dieser Erscheinung hier war. Rhodan glitt an ihnen entlang, erhaschte hier einen Eindruck und dann dort, wurde sofort weitergerissen, bevor er etwas konkret wahrnehmen und der Schrecken, den diese Wesen empfanden, ihn überwältigen konnte. Doch die bruchstückhaften Einblicke blieben bestehen, ergänzten sich, bauten aufeinander auf, fügten sich zusammen zu eben jener Vorstellung unermesslichen Leides, die Rhodan tief in seinem Innersten erschütterte und ihm fast das Herz zerriss.
Er hatte den Eindruck, das Leid einer ganzen Galaxis konzentriere sich in diesem Augenblick in ihm, in seinem Geist, und würde ihn von innen heraus verbrennen.
Im nächsten Augenblick war es vorbei, als würde Kiriaade einsehen, dass sie dem Terraner mehr nicht zumuten konnte, ohne ihn um den Verstand zu bringen.
Sie stand da und schwieg einen Moment lang, als müsse sie sich zu dem Eingeständnis überwinden: »Wir brauchen deine Hilfe, Rhodan.«
Der Resident stöhnte leise auf. »Wenn ich dir helfen soll, muss ich mehr wissen, Kiriaade.«
»Nein«, sagte Kiriaade, »das musst du nicht.« Ihre Gestalt schien das Licht, das sie kurz zuvor eingesogen hatte, um ihren Körper zu bilden, nun wieder abzugeben. Erneut füllte dieser unwirkliche, fahle Schein Rhodans Kabine aus. »Du wirst mich finden.«
Rhodan wusste, was nun geschehen würde. »Warte, Kiriaade«, sagte er dringlich. »Ich möchte ...«
Zu spät. Die Erscheinung verlor sich so langsam, wie sie entstanden war, zumindest in ihrer Lichtgestalt. Er hatte tief und fest geschlafen, als sie sich ankündigte, und er konnte nicht sagen, wie lange sie ihn schon beobachtet oder versucht hatte, ihn aus diesem Schlaf zu reißen, bevor er dann endlich erwacht war.
Er stand völlig überwältigt da. Einerseits verspürte er Erleichterung, nicht mehr diesem schrecklichen Leid ausgesetzt zu sein, andererseits Bedauern, Kiriaade schon wieder verloren zu haben. Kiriaade ...
Einen Augenblick lang wusste er nicht einmal, ob er nicht doch nur geträumt hatte. Die Präsenz war fort, als hätte es sie nie gegeben.
Wo war er wirklich gewesen, in welchem Bereich dieser seltsamen Gefilde zwischen Traum und Wirklichkeit, in denen das eine nicht weniger real, aber auch nicht realer als das andere war?
Dann schrillte es an der Kabinentür, und Rhodan sagte: »Öffnen!«, und Benjameen da Jacinta stürmte in die Kabine, die Augen weit aufgerissen, die Hände ausgestreckt, als wolle er etwas ergreifen und festhalten. »Wo ist sie, Perry?«, fragte er. »Wo ist diese ... Präsenz?«
Rhodan musterte den arkonidischen Zeroträumer mit gutmütigem Amüsement. Benjameen rutschte aufgeregt auf der Couch aus Formenergie hin und her, die der Kabinenservo für ihn projiziert hatte. In diesem Augenblick erinnerte er den Residenten an jenes