Als das Projektionsfeld die Sättigung erkennen ließ, zuckte eine meterdicke Glutbahn in die Tiefe. Dass er schrie, bemerkte der Maahk erst Augenblicke später. Ungläubig stellte er fest, dass er noch am Leben war. Der Thermoschuss hatte ihn um geringe Distanz verfehlt, aber fast zum Greifen nahe wölbte sich vorübergehend der Rumpf des Kriegsschiffes über ihm. Mit dem Bezugspunkt wurde sein Sturz deutlicher. Grek-665½ fiel dennoch unbehelligt der Oberfläche des Planeten entgegen, die Angreifer hatten ihn nicht geortet.
Der Abstand zu dem Raumer wuchs. Trotzdem wagte der Maahk nicht, die Energieversorgung wieder in Betrieb zunehmen.
Das Kastun-Kriegsschiff glitt über die Ruinen von New Dillingen hinweg und nahm das Gebirge unter Beschuss. Augenblicke später beschleunigte es und war nach wenigen Sekunden aus Greks Sichtfeld verschwunden.
Endlich konnte er seinen Sturz mit dem Antigrav abfangen. Und er aktivierte den Funk-Suchlauf. Doch falls es Überlebende gab, schwiegen sie lieber. Das Land wurde von einer dichten Wolkendecke verborgen. Die Ortungen verrieten Grek, wie es unter der brodelnden Schwärze aussah: Die Hauptstadt war in einem See aus Staub und Schlamm versunken, in den Bergen hatten zahlreiche Felsstürze die Täler verschüttet.
Maahkrit, die ständige Vertretung der Maahks, nordöstlich der Hauptstadt in einem weitläufigen Talkessel gelegen, existierte nicht mehr. Vergeblich suchte Grek nach der acht Kilometer durchmessenden, im Zenit 3000 Meter hohen Schutzkuppel, die eine Wasserstoff-Methan-Ammoniak-Atmosphäre festgehalten hatte. Offenbar war die Vertretung von dem Intervallgeschütz ausgelöscht worden, und die Überreste hatte ein Bergrutsch verschüttet.
Grek-665½ betrachtete die Situation nüchtern. Es gab auf Chemtenz keine funktionsfähige Infrastruktur mehr, der Raumhafen lag ebenso in Schutt und Asche wie die Hauptstadt und vermutlich alle anderen Siedlungen. Einige Raumer waren von den Angreifern noch am Boden zerstört worden, und was aus den Schiffen geworden war, denen der Start rechtzeitig gelungen war, blieb dahingestellt. Auf jeden Fall bedeutete es vergebliche Mühe, in den brennenden Ruinen nach einem noch funktionsfähigen Hyperfunkgerät zu suchen. Verwundeten konnte er ohnehin nicht helfen, dazu fehlten ihm die nötigen Kenntnisse.
Der Maahk entschloss sich, nicht auf dem zerstörten Planeten zu landen. Das belastete seine Energievorräte, die keineswegs unbegrenzt waren; ganz zu schweigen davon, dass ihm der Aufenthalt in der lebensfeindlichen Sauerstoffatmosphäre ohnehin keine Vorteile einbrachte. Ob er im Vakuum des Weltraums erstickte oder in der Giftgasatmosphäre von Chemtenz, machte keinen Unterschied.
Grek überprüfte den Wasserstoffvorrat, der ihm vorerst das Überleben sicherte. Die Anzeige stand bei ›Halb‹. Das bedeutete, dass ihm gut drei Standardtage der Terraner blieben. Danach war sein Tod besiegelt.
Die Logik sagte dem Maahk, dass er nicht auf Rettung hoffen durfte. Welche Flotte stand bereit, um ausgerechnet auf Chemtenz Hilfe zu leisten? Möglicherweise waren auch andere Welten angegriffen worden. Und falls sich doch einzelne Schiffe ins Kraltmock-System wagten, würden bis dahin Tage vergehen.
Grek-665½ fühlte sich elend. Das war etwas, was er bislang nicht kannte, als hätte ein Virus sein physisches Befinden attackiert.
Er bedauerte den Tod vieler unschuldiger Opfer.
Und er begann, die Angreifer zu hassen.
Beides entsprang nicht der Logik. Es machte die Toten nicht wieder lebendig, wenn er Trauer empfand und sich vorzustellen versuchte, wie sie ums Leben gekommen waren. Vor allem wurde sein Blick auf das Wesentliche getrübt, wenn er seine Kraft mit Hass auf die Invasoren vergeudete.
Es war nur logisch, wenn er sich schnellstmöglich in einen Orbit um Chemtenz begab. So weit entfernt, dass ihn die Anziehungskraft nicht mehr dazu zwang, Energie mit Positionskorrekturen zu vergeuden. Andererseits aber immer noch nah genug, um nicht abzutreiben.
Der LemSim wollte ihm einreden, dass er um sein Leben kämpfen musste. Selbst auf die Gefahr hin, dass er damit seinen Luftvorrat schneller verbrauchte. Dieses verwirrende Wühlen in seinem Inneren wurde stärker. Grek-665½ ahnte, dass er über kurz oder lang dem unheilvollen Einfluss nachgeben würde. Nie zuvor hatte er einen ähnlichen Zwiespalt erlebt. Er nahm die Gefühle eines Lemurer-Abkömmlings wahr, konnte sie aber nur schwer einordnen. Sie würden ihn in den Tod treiben, oder in den Wahnsinn. Jedenfalls hatte er keine Möglichkeit, den implantierten LemurEmotio-Simulator zu entfernen. Andererseits hätte er das auch nicht mehr getan. Diesen Selbstversuch musste er bis zum Ende durchstehen.
Grek-665½ hatte mit seinem Experiment nachvollziehen wollen, wie Menschen dachten und was sie wirklich wahrnahmen. Es hatte ihm fern gelegen, wie ein Mensch zu sterben. Wenn du den Tod nahen siehst, nimm ihn an oder kämpfe, das war die Ethik eines Maahks. Doch die menschlichen Empfindungen wollten ihm einreden, nicht nur eine Chance wahrzunehmen, sondern schlicht und einfach ums Überleben zu kämpfen, ohne vernünftige Aussicht, dass dieser Kampf von Erfolg gekrönt sein konnte.
Grek-665½ ignorierte sein Unbehagen. Mit einem knappen Befehl aktivierte er den Rückentornister und ließ sich von der Schubkraft des Triebwerks weiter hinauf tragen. Tief unter ihm schrumpften die Zerstörungen zur Bedeutungslosigkeit. Chemtenz war eine Wasserwelt mit lediglich drei größeren Landmassen. Der Kontinent Chem mit dem Raumhafen, der Hauptstadt New Dillingen und der terranischen Botschaft lag als Einziger auf der Nordhalbkugel des Planeten.
Dann wartete der Maahk – auf ein Raumschiff, dessen Besatzung ihn retten würde, oder auf den Tod.
Irgendwann streiften seine Gedanken das Gelege, in dem er aufgewachsen war, und sie befassten sich auch jetzt noch ständig mit den Menschen. Vielleicht, dachte Grek-665½, wäre in der Geschichte unserer Völker vieles anders verlaufen, würden sie nicht giftigen Sauerstoff, sondern wie wir Wasserstoff atmen.
Er verspürte Bedauern, dass bald alles zu Ende sein würde. Aber dieses Gefühl war eine typisch menschliche Regung. Grek-665½ mochte es nicht. Trotzdem musste er es ertragen, weil er den LemSim nicht abschalten konnte.
Schwärze. Allgegenwärtig, undurchdringlich, zäh und klebrig. In ihr fühlte er sich wohl. Er schwebte in diesem Medium.
Er war zeitlos ...
Aber er bewegte sich. Und er vernahm Geräusche.
Anfangs ängstigten sie ihn, doch sie wurden schnell vertraut. Da war ein fernes, dumpfes Dröhnen, aber auch eins in ihm, wenn auch leiser und rhythmischer. Mit diesen Lauten kamen die Schatten; die Schwärze wich einem trüben Schleier, in dem sich zuckende Schemen bewegten.
Irgendwann wurden seine Bewegungen kräftiger, und er berührte dieses diffuse Etwas. Er spürte nachgebenden Widerstand. Sobald er sich dagegenstemmte, geriet das zähe Medium in gurgelnde Unruhe. Dann veränderten sich die Schemen, als wollten sie ihr wahres Aussehen verbergen. Er begann zu verstehen, dass sie sich jenseits der Schale bewegten, in einem Kosmos, den er noch nicht verstand. Zugleich wusste er, dass jene Welt auf ihn wartete. Sie war seine Bestimmung, und ganz gleich, was ihn dort erwartete, er konnte ihr nicht entgehen.
Seine Bewegungen wurden hastiger, er streckte sich und drückte gegen den trüben Widerstand, der langsam nachgab. Längst empfand er sein Universum als Behinderung; es engte ihn ein und hinderte ihn daran, weiter zu wachsen.
Die Geräusche von draußen wurden stärker und deutlicher, immer neue Lautfolgen erkannte er – und versuchte, sie nachzubilden. Wenngleich sein Gurgeln wenig mit dem gemeinsam hatte, was er nachzuahmen versuchte.
Seine Unruhe wuchs, wurde unerträglich. Endlich wich der Widerstand, und er spürte die Kälte des Unbekannten. Er krümmte sich, streckte die Gliedmaßen, stieß sich ab; ein weiteres Stück der eng gewordenen Höhle brach aus, und dann spülte ihn der letzte Rest der Flüssigkeit aus dem Gefängnis. Kälte raubte ihm den Atem, er schrie, bis er sich hustend und stockend übergab und ein Schatten die nutzlos gewordene Höhle entfernte.
Da waren noch weitere bleiche Gebilde. In allen bewegten sich dunkle Schemen, als wollten sie ebenfalls den Widerstand durchbrechen.