und sich verbargen.
Einmal erwachte Sibylle in der Nacht durch ein absonderliches Krachen der Stiege unter dem Dache, und da sie, vorsichtig schleichend, dem Geräusch nachging, kamen ihr ihres Bruders Bedienstete verstört entgegen und meldeten, dass er in Begleitung eines einzigen Edelknaben auf die Zinne des Schlosses gestiegen sei, um nach dem Feinde auszulugen, und dass er gedroht habe, es dürfe ihnen niemand folgen. Sibylle weckte zitternd den Alten, kleidete ihn notdürftig an und zog ihn, der kaum verstand, was vorging, mit sich fort aus dem Tor hinaus auf den Schlossplatz. Es war November, und der Sturm heulte feucht von Westen her über den Rhein. Nach oben blickend, gewahrte Sibylle auf dem Dache eine schattenhafte Bewegung und unterschied zwei Gestalten, von denen die kleinere eine Fackel trug, deren Flamme die sausende Luft flackernd auseinanderbog; die andere, hoch und schmal, warf lange Arme in die Luft, bückte sich, kniete nieder und beugte sich weit zwischen den Zinnen vor in die Tiefe. Mit entsetztem Finger deutete Sibylle auf das herabhängende Haupt, dessen langes Haar der Wind hin und her blies; plötzlich erlosch die Fackel, die von dem Knaben gehalten wurde, worüber der in seinem Pelz schaudernde Alte erschrak und, beide Arme nach oben ausbreitend, den Namen seines Sohnes hinaufjammerte. Angstvoll drückte Sibylle ihre Hand auf seinen Mund, weil sie glaubte, es sei gefährlich, einen Nachtwandler anzurufen; ohnehin hatte der Wind die schwachen Greisenlaute verweht, und es schien nicht, als ob der irre Träumer sich der Gegenwart seiner Angehörigen bewusst geworden sei.
Jakobe war erwacht, als ihr Mann das Lager verließ; da sie aber daran gewöhnt war, hatte sie sich nicht darum bekümmert und war wieder eingeschlafen. Als Sibylle mit grämlich scharfen Worten darauf hindeutete, sagte Doktor Solenander, der Schlaf sei der armen Frau wohl zu gönnen, die tagüber Plage und Sorge vollauf habe. Vielleicht sei es ratsam, um verderbliche Zufälle zu verhüten, dass Jakobe künftig das Schlafgemach zuschließe und ihren Mann nicht hinausgehen lasse, vorausgesetzt, dass sie sich getraue, ihn zu bemeistern. Übrigens sei da nichts zu machen, als dass der Körper des Kranken verständig durch gute Luft und milde, bekömmliche Nahrung gepflegt werde, damit von dort aus das trübe Wesen nicht noch genährt werde; er habe auch erfahren, dass die absterbenden Monate November und Dezember Schwermütigen gefährlich wären, und vertröstete auf das neue Jahr, dessen wachsendes Licht Besserung bringen könne.
Diese Hoffnung versiegte in den Frühlingsmonaten, da sich in dem Zustande des Kranken nichts Wesentliches änderte, wie er auch wechselte. Jakobe vermochte ihn wohl nachts im Schlafzimmer festzuhalten, indem sie seinen Wutausbrüchen tapfer standhielt; nun aber weigerte er sich zu essen, weil die Speisen, die man ihm vorsetzte, vergiftet seien, und bezichtigte die kalvinischen Ärzte, dass sie ihm nach dem Leben stellten. Wenn der Alte, Sibylle oder Jakobe vor seinen Augen aus seiner Schüssel aßen, nahm er wohl auch ein wenig davon, aber mit Seufzen und Ekel, und wendete sich bald stillschweigend weg nach der Wand; denn er blieb meistens im Bett liegen und stand erst am späten Abend auf, um stundenlang im Gemach auf und ab zu gehen.
Die Kunde von der seltsamen Erkrankung des Erben von Jülich-Cleve war nicht geheimzuhalten und regte viele Höfe auf, indem die Fürsten das Anrecht und die Anwartschaft überlegten, die sie etwa an der beträchtlichen Erbschaft könnten geltend machen. Die schwächliche Leibesbeschaffenheit Jan Wilhelms hatte schon in seinen Knabenjahren allerlei besondere Gedanken in der Verwandtschaft aufkommen lassen; als jedoch der junge Herzog mannbar wurde und heiratete, hatte man es dabei bewenden und auf sich beruhen lassen. Wie nun die Nachkommenschaft ausblieb und ein Gebrechen um sich griff, das aller ärztlichen Kunst spottete, setzte man sich allerorten in Bereitschaft, um bei der ersten Gelegenheit zuzugreifen, ehe ein anderer zuvorkäme. Vollends als im Jahre 1592 der alte Herzog starb, dessen erloschener Geist dem Zusammenbruch noch gewehrt hatte, wie eine von Dünsten verhüllte Mondscheibe die Bilder der Erde trübe zusammenhält, die nach ihrem Untergange in Nacht versinken, nahm die Verwirrung und Entzweiung im Schlosse auf das ärgste zu und ebenso die Begier der beteiligten Anverwandten, sich einzumischen.
Sibylle und Jan Wilhelm hatten drei ältere Schwestern, die in der Zeit aufgewachsen waren, als der nun verstorbene Herzog, Wilhelm der Reiche, noch rüstig und seines Geistes mächtig gewesen war. Im evangelischen Glauben erzogen, waren sie froh, den Verfolgungen, die sie durch den wachsenden Einfluss der katholischen Räte erdulden mussten, zu entrinnen, indem sie sich mit protestantischen Fürsten vermählten, die älteste, Marie Eleonore, mit dem brandenburgischen Herzog von Preußen, die beiden anderen mit zwei Wittelsbacher Vettern, dem Pfalzgrafen Philipp Ludwig von Neuburg, der eine unerschütterliche Säule des lutherischen Bekenntnisses war, und dem Pfalzgrafen Johann von Zweibrücken, einem unerschrockenen Vorkämpfer des Kalvinismus. Als Marie Eleonore, von ihrem Vater selbst geleitet, in Preußen anlangte, ergab es sich, dass der Bräutigam blödsinnig und also keineswegs der stattliche Freier war, als welchen man ihn am Jülicher Hofe empfohlen hatte; allein die Braut, von deren Entscheidung abhängig gemacht wurde, was nun geschehen sollte, dachte an ihre trübselige Gefangenschaft im Schlosse zu Düsseldorf, wo ihr Vater, um sie zur Messe zu zwingen, sie an den Haaren geschleift hatte, und urteilte, dass sie es als Herzogin von Preußen eher besser als schlimmer haben und wenigstens in Sicherheit ihrem Glauben obliegen können werde. Demgemäß erklärte sie sich bereit, des Schwachsinnigen Frau zu werden und ihn treu und geduldig zu pflegen. Jetzt ließ sie es sich angelegen sein, ihr väterliches Land den Brandenburgern zuzuwenden, damit es nicht in die Gewalt der Katholiken käme.
Der Pfalzgraf von Zweibrücken, ein biederer, ungestümer Herr, der es nicht anders wusste, als dass die Protestanten Söhne des Lichts und die Katholiken Söhne der Finsternis wären, und die letzteren bekämpfte, wie und wo er vermochte, misstraute der Jakobe, die erst kürzlich vom Papst durch die Goldene Rose ausgezeichnet worden war; aber als er in das Treiben am Düsseldorfer Hofe mit eigenen Augen hineinsah, gewann es damit eine andere Gestalt. Es wurde deutlich, dass der erzkatholische Schenkern, der es mit Spanien hielt, und Sibylle, die täglich lange Briefe voll Heimlichkeiten an die jesuitischen Wittelsbacher in München schrieb, ihre Feinde waren und sie in allen ihren Rechten kränkten.
Die protestantischen Stände, Graf von Falkenstein, die Herren von Bongart, Orsbeck und Palland, mit denen der Pfalzgraf sich in Verbindung setzte, erzählten, die arme Herzogin sei übel daran; obwohl sie stolz und leidenschaftlich sei, vermöge sie allein nichts