Cornelia Lohs

Fettnäpfchenführer Schweden


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wird Katharina dieser Fehler kein zweites Mal passieren. Wenn sie allerdings keine Unisex-Toilette benutzen möchte, weil sie das nicht gewohnt ist oder ihr der Gedanke nicht behagt, dass ihr ein fremder Mann vor dem Waschbecken dabei zusieht, wie sie ihren Lippenstift nachzieht oder sich die Haare kämmt, kann sie die behindertengerechte Toilette benutzen. In Schweden wird sie kein Mensch dafür rügen, dass sie als Nichtbehinderte diese Toilette auswählt, da Schweden sich generell nicht in die Angelegenheiten und Beweggründe anderer einmischen. Ganz abgeschafft sind die nach Damen und Herren getrennten Toiletten übrigens noch nicht – in Luxushotels und in der gehobenen Gastronomie sind sie durchaus noch verbreitet.

      3

       KATHARINA KOMMT AN – IRRT ABER ÜBER SKANDINAVIEN

      Endlich angekommen, denkt Katharina, als der Taxifahrer unterhalb des alten Observatoriums in der Drottninggatan hält. Bis vor das Haus, in dem sie die nächsten sechs Monate wohnen wird, kann er nicht fahren, da dieses in der Fußgängerzone liegt. Der Fahrer hievt ihr Gepäck aus dem Kofferraum und stellt es vor ihr auf den Gehweg. Dass sie die beiden schweren Koffer nun schleppen muss, passt ihr gar nicht. Wer weiß, wie weit es ist. Ratlos schaut sie die Drottninggatan hinunter. Ob der nette Taxifahrer ihr eventuell helfen kann? Als sie ihn fragen will, steigt gerade ein neuer Fahrgast ein. »Pech gehabt!«, flucht Katharina leise und rollt ihre Koffer den Gehweg entlang. Das ist ganz schön umständlich, denn nun hat sie keine Hand mehr frei, und ihre Umhängetasche rutscht ihr immer wieder von der Schulter.

      Nach zehn Minuten steht sie vor einem pastellgelben Jugendstilhaus und ist der Hausnummer nach am Ziel. Am Abend zuvor hatte Emma, die Stockholmer Vermieterin, ihr eine E-Mail geschickt mit Anleitungen für den Zugang zur Wohnung. Emma, die als freiberufliche Fotografin für diverse Agenturen arbeitet, würde bei ihrer Ankunft nicht zu Hause sein, da sie kurzfristig einen Auftrag außerhalb der Stadt erhalten hat. Praktischerweise gibt es zum Haus keine Schlüssel, sondern einen PIN-Code, den Katharina nun in die Tastatur der kleinen Apparatur eingibt. Als die Tür sich öffnet, steht sie in einem gigantischen Treppenhaus. »Sorry«, hatte in der Mail von Emma gestanden, »aber wir haben keinen Fahrstuhl im Haus.« – »Nee, oder?«, stöhnt Katharina und schaut nach oben. Ihre neue Bleibe liegt im vierten Stock. »Und keiner da, der mir hilft!« Katharina trägt erst einen Koffer mit vielen kleinen Pausen hoch, dann den anderen.

      Als sie den PIN-Code für die Wohnungstür eingibt, ist sie völlig außer Atem. Doch schon wenige Augenblicke später macht sich beim Betreten der Wohnung Genugtuung breit: Ganz schön großzügig geschnitten, freut sich Katharina, und versucht erst einmal sich auf der lichtdurchfluteten Etage zu orientieren. Laut Beschreibung liegt ihr Zimmer rechts am Ende des langen Flurs. Dahin rollt sie nun ihre Koffer. Die Zimmertür steht offen. »Wow, was für eine Pracht!«, ruft sie, als sie ihr Zimmer betritt und das riesige Fenster sieht, das von der Decke bis zum Boden reicht. »Willkommen, Katharina, fühl dich hier wie zu Hause. Ich bin gegen 15 Uhr zurück. Emma«, steht auf einem Blatt Papier, das auf dem Bett liegt. Katharina wundert sich, dass keine Ikea-Möbel in ihrem Zimmer stehen, denn das hätte sie in Schweden doch erwartet. Sie inspiziert den Rest der wunderschönen großen Altbauwohnung und kehrt danach in ihr Zimmer zurück, um ihre Koffer auszupacken.

      Kurze Zeit später hört sie, wie jemand durch die Wohnungstür tritt, und gleich darauf steht Emma in ihrem Zimmer. Katharina schätzt ihr Alter auf Ende 20. Sie ist groß, schlank hat kastanienbraune kinnlange Haare und ist ganz in Schwarz gekleidet. Katharina findet sie auf Anhieb sympathisch. »Willkommen in meinem Reich. Schön, dass alles so gut geklappt hat«, sagt Emma zu ihrer neuen Untermieterin und fügt hinzu: »Komm mit in die Küche, ich habe Zimtschnecken mitgebracht, die essen wir jetzt zu einer Tasse Kaffee. Du hast doch sicher Hunger, oder?« Katharina folgt Emma in die Küche. Als sie am Tisch sitzen fragt Emma: »Bis du das erste Mal in Stockholm?« – »Ich bin überhaupt das erste Mal in Schweden«, antwortet Katharina. »Aha, dann kennst du unsere Sitten, Eigenheiten und Gebräuche noch gar nicht«, erwidert Emma lächelnd. »Nee, eigentlich nicht. Aber ich war schon oft in Dänemark, und ihr Schweden seid mit den Dänen ja quasi verwandt, oder? Ich meine, geografisch gesehen seid ihr Nachbarn und im Süden sogar nur durch eine Brücke voneinander getrennt. Und auch kulturell dürftet ihr als Skandinavier so einiges gemeinsam haben.« Emmas Augenbrauenschnellen in die Höhe, und sie schaut Katharina entgeistert an. Oh je, denkt diese, habe ich etwas Falsches gesagt?

       Was ist schiefgelaufen?

      Katharina hat sich vor ihrer Abreise nach Stockholm weder über Land noch Leute kundig gemacht. Zu Skandinavien zählen für sie alle nordischen Länder, und ihrer Meinung nach können die Schweden sich doch nicht so sehr von ihren südlichen Nachbarn, den Dänen, unterscheiden. Weit gefehlt! Geografisch gesehen gehört Dänemark nicht einmal zur Skandinavischen Halbinsel. Die Schweden und Dänen lagen jahrhundertelang im Zwist miteinander. Nachdem das kleine Nachbarland 1370 die Vorherrschaft der deutschen Hanse im Ostseeraum hatte anerkennen müssen, schielte es nach Schweden und Norwegen. Die dänische Königin Margarete I. vereinte die Länder in der Kalmarer Union und ernannte sich zur Unionskönigin. Schweden verlor damit seine Unabhängigkeit. Freiwillig hatten sich die Schweden nicht in das Bündnis gefügt. Die machthungrige Margarete, Tochter des verstorbenen Waldemar IV., war nie zur Königin von Dänemark gekrönt worden. Mangels eines erwachsenen männlichen Erben übernahm sie nach dem Tod ihres Vaters 1375 die Regierungsgeschäfte. Offiziell wurde ihr damals fünfjähriger Sohn, Olav Håkonson, König von Dänemark. Margarete (1353–1412) war aus politischem Kalkül als Zehnjährige mit dem zwölf Jahre älteren Håkon VI. Magnusson, Sohn des Schwedenkönigs und König von Norwegen, verheiratet worden. Als Håkon 1380 starb, übernahm Margarete die Regentschaft für ihren Sohn, der allerdings jung starb und niemals König wurde. Nun war sie Königin von Dänemark und Norwegen. Und da ihr verstorbener Mann aus dem schwedischen Königshaus stammte, machte sie ihr Anrecht auf den Thron von Schweden geltend. Auf diesem saß aber Albrecht III, Herzog von Mecklenburg, dessen Mutter eine Schwester von König Magnus II. Ericsson war. Als sich eine günstige Gelegenheit bot, ließ Margarete ihr Heer in Südschweden einmarschieren, das den Mecklenburger 1389 in der Schlacht bei Åsle besiegte. Dieser kehrte wieder als Herzog in sein mecklenburgisches Herzogtum zurück und Margarete wurde Herrscherin über Schweden. Ihre Macht über Dänemark, Norwegen und Schweden festigte sie 1397 mit der Gründung der Kalmarer Union, die bis 1523 bestand. In der Zeit der Union kam es immer wieder zu Aufständen gegen die dänische Herrschaft, bis Gustav Wasa der Regentschaft der Dänenkönige über die Schweden ein für allemal ein Ende setzte. Die Länder sind zwar längst nicht mehr verfeindet, spotten aber gern übereinander. Die eher risikobereiten und spontanen Dänen nennen die Schweden rigide und halten sie für gefangen in ihrer politischen Korrektheit. Ein dänischer Witz etwa lautet: »Wussten Sie schon, dass alles, was in Schweden nicht verboten ist, Pflicht ist?«, während die Schweden ihrerseits kontern: »In Dänemark kann man die Menschen im Namen der Meinungsfreiheit verletzen!«

       DER SCHWEDISCHE BEFREIUNGSKRIEG

      Seit dem Tod von Margarete I. kam es öfters zum Zerfall des Unionskönigtums. Nur unter den Königen Erich von Pommern (Margaretes Großneffe), Christoph von Bayern, Christian I. und Johann I. hatte die Kalmarer Union realen Bestand. »Na so was, Erich und Christoph! Da saßen mal Söhne von deutschen Herzögen auf dem schwedischen Thron«, denkt Katharina. In den Zeiten einer Thronvakanz regierten der schwedische Reichsrat und die von ihm gewählten Reichsverweser das Land. Letzterer war der Ritter Sten Sture der Jüngere, der 1520 gegen den dänischen Unionskönig Christian II. zu Felde zog und unterlag. Christian zwang Schweden wieder unter dänische Herrschaft und ließ sich am 4. November desselben Jahres in der Stockholmer Storkyrka zum König der Schweden krönen. Seinen Gegnern aus Adel und Klerus hatte er Amnestie versprochen. Drei Tage später widerrief er sein Versprechen und ließ auf dem Stortorget, dem Marktplatz, die Köpfe rollen. 92 politische Gegner wurden als Ketzer hingerichtet. Das Massaker ging als Stockholmer Blutbad in die Geschichte ein. Unter den Getöteten befand sich der Vater von Ritter Gustav Eriksson. Dieser organisierte